Grundsatzstreit: Porno-Sperren stehen auf der Kippe
Der Medienrechtler Marc Liesching hält es für fraglich, ob Regulierer weiter mit Verweis auf den Jugendschutz gegen Pornoportale im EU-Ausland vorgehen können.
Die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM NRW) will ihren Kampf gegen den einfachen Online-Zugang zu Porno-Angeboten ausweiten und Provider dazu verdonnern, nach xHamster auch die Hardcore-Portale Pornhub, YouPorn und MyDirtyHobby zu sperren. Doch es gibt Zweifel daran, ob die Medienwächter und die letztlich verantwortliche Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) überhaupt noch befugt sind, solche umstrittenen Anordnungen zu erlassen. Anlass ist, dass die Landesgesetzgeber voriges Jahr eine kleine Neuregelung in den ausschlaggebenden Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) eingefügt haben. Diese könnte große Auswirkungen auf das Vorgehen der Medienanstalten gegen Dienste zum Teilen von Videos in anderen EU-Staaten haben.
Die neue Passage legt prinzipiell fest, dass innerhalb der EU auf Basis der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-RL) der Geltungsbereich des JMStV auf in Deutschland niedergelassene Videoportale begrenzt ist. Wörtlich heißt es: "Im Anwendungsbereich der Richtlinie 2010/13/EU gilt dieser Staatsvertrag für Anbieter von Video-Sharing-Diensten, wenn sie nach den Vorschriften des Telemediengesetzes in Deutschland niedergelassen sind; im Übrigen gelten die Sätze 1 bis 3." Betreiber von Pornhub & Co. ist die Firma Aylo (vormals Mindgeek), der seinen Stammsitz auf Zypern hat.
Müssen alle Verfahren eingestellt werden?
Rechtsexperten wie der Leipziger Medienrechtler Marc Liesching folgern daraus, dass die LfM NRW aufgrund der Mini-Novelle wohl alle Verfahren gegen diese Plattformen einstellen müsste. Dem Professor zufolge, ist "eher davon auszugehen, dass sich die Landesgesetzgeber für eine ausschließliche Geltungsbereichskonzentration auf Video-Sharing-Dienste mit Sitz im Inland entschieden haben, soweit es den Anwendungsbereich der AVMD-RL betrifft". Dies entspreche auch dem Vorbild des Medienstaatsvertrags (MStV) in Paragraf 1 Absatz 8 mit einer fast gleichlautenden Bestimmung. Der Gesetzesbegründung dazu ist zu entnehmen: Es werde deutlich gemacht, dass Auflagen aus dem MStV nur dann gelten, wenn der Anbieter hierzulande sitzt.
Lediglich "im Übrigen", also außerhalb des Anwendungsbereichs der AVMD-RL, könnten die einschlägigen JMStV-Vorschriften etwa zum Einsatz zertifizierter Altersverifikationsverfahren auch Anbieter in anderen EU-Ländern erfassen, führt Liesching in einem Kommentar zu einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts NRW zur Untersagung von Porno-Portalen vom September 2022 aus. "Aus den genannten Gründen erscheint es nicht fernliegend, dass auch Verwaltungsgerichte einer solchen am Gesetzeswortlaut, an den Gesetzesmaterialien und auch an der Rechtssystematik orientierten Auslegung folgen könnten." Das Inkrafttreten der JMStV-Änderung wirkte sich dann auf die Möglichkeiten der Medienwächter und der KJM aus, künftig gegen entsprechende Video-Sharing-Plattformen in anderen EU-Mitgliedstaaten Aufsichtsmaßnahmen zu erlassen, "selbst wenn über deren Portale massenhaft pornografische Drittangebote verbreitet werden sollten".
Was "im Übrigen" bedeutet
Die LfM NRW ist anderer Ansicht und versteift sich auf den Zusatz mit den "im Übrigen" geltenden Bestimmungen. Der überarbeitete Paragraf 2 JMStV "ändert unserer Auffassung nach nichts an der Möglichkeit eines Vorgehens" gegen die umstrittenen Erotik-Dienste, erklärte eine Sprecherin der Anstalt gegenüber heise online. Die Formulierung möge "auf den ersten isolierten Blick Raum für eine Auslegung geben", wie sie Liesching als Option in den juristischen Diskurs gegeben habe. Der eigentliche Regelungsgehalt sei nach Gesamtwürdigung der Norm aber klar: Im Anwendungsbereich der AVMD-Richtlinie gelte der JMStV für im Inland ansässige Anbieter von Video-Sharing-Diensten uneingeschränkt. "Im Übrigen" – und damit unter anderem in Bezug auf im EU-Ausland ansässige Plattformen – komme der JMStV ebenfalls zur Anwendung. Hier aber unter den zusätzlichen Voraussetzungen von Artikel 3 der E-Commerce-Richtlinie. Im Prinzip bleibe alles beim Alten.
(mki)