RIAA-Verfahren: Anwalt schmeißt kurz vor der Wiederaufnahme hin

Nach dem Scheitern der Vergleichsverhandlungen und kurz vor Wiederaufnahme des ereignisreichen Filesharing-Prozesses gegen Jammie Thomas will ihr Anwalt aussteigen. Es geht offenbar um Geld und ein gestörtes Vertrauensverhältnis.

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In dem bisher einzigen vor Gericht verhandelten Filesharing-Verfahren der US-Musikindustrie droht eine weitere Verzögerung. Der Anwalt von Jammie Thomas will sich aus dem in Duluth (US-Bundesstaat Minnesota) anhängigen Verfahren zurückziehen, das kurz vor der Wiederaufnahme steht. Am 15. Juni sollte Thomas zum zweiten Mal der Prozess gemacht werden, nachdem die spektakuläre Verurteilung im ersten Anlauf wegen eines Verfahrensfehlers später wieder aufgehoben worden war. In seinem am Freitag eingereichten Rückzugsgesuch (PDF-Datei) führt Rechtsanwalt Brian Toder finanzielle Gründe an. Auch um das Vertrauensverhältnis zwischen Mandantin und Anwalt scheint es nicht mehr zum Besten zu stehen. Toder hatte das Mandat kurz vor dem ersten Prozess schon einmal niederlegen wollen.

Thomas erhebt in einer separaten Eingabe (PDF-Datei) keinen Widerspruch gegen Toders Rückzug. Der begründet seinen Schritt unter anderem mit Kosten von knapp 130.000 US-Dollar, die durch den Prozess bisher aufgelaufen seien. Für den weiteren Verlauf des Verfahrens rechnet der Anwalt mit noch einmal dieser Summe. Thomas ist weitgehend mittellos, hatte sich in der Vergangenheit aber zu regelmäßigen Zahlungen an Toders Kanzlei bereiterklärt. Das Gericht hatte darin ein Zeichen des guten Willens gesehen und unter Hinweis auf ein intaktes Vertrauensverhältnis Toders erstes Rückzugsgesuch verweigert. Das Gegenteil sei der Fall, argumentiert nun Toder, führt Einzelheiten dazu aber nur in einem vertraulichen, nicht veröffentlichten Antrag aus.

Gegenüber der Lokalzeitung Duluth News Tribune äußerte der Anwalt, er sei bis zu den Vergleichsverhandlungen in der vergangenen Woche an Bord geblieben. Am vergangenen Dienstag hatten sich Thomas, Toder sowie die Klagevertreter des US-Labels Capitol Records auf Anordnung des Gerichts getroffen, um zu einer außergerichtlichen Lösung des Konflikts zu kommen. Das Label wirft Thomas Urheberrechtsverletzung in 24 Fällen durch die Verbreitung von Musikstücken über ein P2P-Netz vor. Nach dem Scheitern der Verhandlungen will Toder nun aussteigen. Die Gegenseite erhebe keine Einwände, wolle aber keine weitere Verzögerung des Verfahrens, schreibt Toder. Am kommenden Mittwoch soll der Antrag vor Gericht zur Sprache kommen.

Wie das auch ausgeht, für Thomas wird es schwer: Auch wenn sie kurzfristig einen neuen Verteidiger findet, muss der sich erst einarbeiten. "Auf keinen Fall kann ein anderer Anwalt diesen Fall am 15. Juni verhandeln", meinte Toder dazu gegenüber Wired. Sollte der Richter das ähnlich sehen, könnte er Toders Antrag allerdings ablehnen. Sollte er den Anwalt dagegen aus seinen Pflichten entlassen, könnte es auch eine weitere Verschiebung geben. Im für die Beklagte schlimmsten Fall steht sie am 15. Juni ohne Anwalt vor Gericht. Kritiker der vom US-Branchenverband Recording Industry Association of America (RIAA) koordinierten Klagewelle gegen mutmaßliche Filesharer hatten wiederholt auf das Ungleichgewicht hingewiesen, dass in den Verfahren hochbezahlte Branchenanwälte auf Bürger treffen, die sich eine angemessene Verteidigung nicht leisten können.

Das Verfahren gegen Jammie Thomas hatte weltweit Aufsehen erregt. Zum ersten Mal war es der amerikanischen Musikindustrie gelungen, eine Verurteilung wegen der Verbreitung urheberrechtlich geschützter Werke über ein Filesharing-Netzwerk zu erreichen. Thomas war von den Geschworenen der Urheberrechtsverletzung in 24 Fällen für schuldig befunden und zu einer Geldstrafe von 222.000 US-Dollar verurteilt worden. Der vorsitzende Richter hatte später einen Verfahrensfehler eingeräumt, das Urteil kassiert und eine neue Verhandlung angeordnet.

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(vbr)