Raw-Entwicklung: Rohkost für Feinschmecker (II)

Seite 2: Die Gradationskurve – ein Fast-Alleskönner

Inhaltsverzeichnis

Zunächst verdeutlichen wir die Wirkung der Kurven und Einsteller anhand von Balkenhistogrammen: Ein künstliches "empfindungsmäßig gleichabständiges" TIFF-RGB-Graufstufenbild mit 16 Tonwerten erzeugt ein Histogramm mit 16 Spitzen in gleichen Abständen. Parallel dazu ist ein korrekt belichtetes reales Fotomotiv eingeblendet, auf das nach der Raw-zu-RGB-Wandlung dieselben Transformationen der Tonwerte einwirken. Das Graustufenbild können Sie für eigene Versuche herunterladen (siehe Links am Ende des Artikels).

Die Gradationskurven kann man an einer beliebigen Stelle mit dem Mauszeiger anfassen und durch automatisch entstehende "Ankerpunkte" von Hand verbiegen. Fotoprogramme bieten aber auch fertige Kurven an, die mit entsprechenden Bezeichnungen wie "starker Kontrast", "Heller", "Dunkler" usw. abrufbar sind und als Vorlage für eigene Verfeinerungen dienen können.

Die folgenden Screendumps stammen von Adobes Photoshop 11.0.1 aus CS4, dürften aber mit vielen anderen Programmen nachvollziehbar sein, die einstellbare Gradationskurven anbieten (leider schränkt ausgerechnet Adobe Lightroom den Umgang mit Gradationskurven gegenüber Photoshop und ACR stark ein). Je nachdem, wie komplex die Kurven sind, haben sie einen oder mehrere solcher "Ankerpunkte" (als kleine Quadrate auf der Kurve dargestellt). Angewendet wurden die Kurven zunächst auf RGB-Dateien, also nach der Übertragung aus der Raw-Datei.

Die in die Graufelder einbeschriebenen Zahlen geben die RGB-Werte wieder. Die Tonwerte der 16 Graustufen wachsen jeweils um einen Betrag von 17 von 0 bis 255. Die subjektiv empfundenen Abstufungen der verschieden hellen Quadrate sind im ersten Bild gleich, im Histogramm sieht man gleichabständige Balken. Der deutlich höhere Balken in der Mitte steht für das flächenmäßig dominierende mittlere Grau des äußeren Rahmens. Das miteingeblendete Foto hat ein ausgewogenes Histogramm, aber etwas flau wirkende Kontraste.


Bei "Starker Kontrast" wird eine S-Kurve angewendet. Diese spreizt die Mittenwerte auseinander und drängt zugleich Schatten und Lichter zusammen, was im Graustufenhistogramm zu sehen ist. Auch die Differenzen der eingetragenen numerischen Werte in den Graufeldern haben sich geändert. Die von Photoshop vorgegebene Kurve für "Starker Kontrast" schneidet die lineare Gradationslinie nicht in der Mitte des Wertebereiches, daher liegt der Grauwert, der unverschoben bleibt, nicht in der Mitte zwischen dem 8. und 9. Feld, sondern zwischen dem 9. und 10. Eine solche S-Kurve ist auch in der analogen Fotografie üblich gewesen, weil sie den Fotomaterialien einerseits erlaubt, einen größeren Tonwertbereich zu erfassen, andererseits aber ein "knackig" wirkendes Bild zu erzeugen, das vor allem vom Kontrast in den bildwichtigen Mitten lebt.


Die Z-Kurve ist die Umkehrung der klassischen "S"-Kurve. Sie verflacht den Verlauf der Mitten (hier werden die Tonwerte zusammengedrängt), zieht aber Schatten und Lichter auseinander (helle und dunkle Felder), was sich im Zusammendrängen der Histogrammbalken in der Mitte und Aufspreizen der Bereiche links und rechts wiederspiegelt, da dort die Kurve steiler verläuft. Normalerweise ist dies ein höchst ungünstiger Ansatz, es gibt aber Spezialfälle, wo er angebracht ist.

Die Z-Kurve ist nicht als Vorgabe in Photoshop enthalten, sie wurde von Hand eingestellt und verläuft genau durch den Mittelpunkt des Diagramms, sodass der mittlere Grauwert nicht verschoben wurde. Daher findet der Übergang zwischen diesen Werten und dem linearen Ansatz zwischen Feld acht und neun statt. Ähnlich wie diese gegensätzliche S-Z-Verbiegung arbeitet ein Kontrasteinsteller (siehe weiter unten).


Die nach unten gebogene Gradationskurve läßt das Bild dunkler erscheinen. Die Mitten werden abgesenkt, aber die Endwerte für Schatten und Lichter bleiben unverändert. Der hohe Balken für den mittleren Grauwert ist nach links verschoben. Die Schattenwerte (links im Histogramm) werden zusammengedrängt, die Lichter (rechts) auseinandergezogen.


Die nach oben gebogene Gradationskurve läßt das Bild heller erscheinen. Die Mitten werden angehoben, aber die Endwerte für Schatten und Lichter bleiben unverändert. Der hohe Balken für den mittleren Grauwert ist nach rechts verschoben. Die Schattenwerte (links im Histogramm) werden auseinandergezogen, die Lichter (rechts) zusammengedrängt. Die Wirkung der letzten beiden Kurven ähnelt dem später besprochenen Helligkeitseinsteller von ACR.


Schiebt man den Fußpunkt der Gradationskurve nach oben und den Zielpunkt nach unten, so wird aus Schwarz Dunkelgrau und aus Weiß Hellgrau – es wird nur ein Teil des Zielfarbraumes genutzt. Ebenso könnte man den Fußpunkt nach rechts oder den Zielpunkt nach links schieben, um nur einen Teil des Quelltonwertraumes zu verwenden, was manchmal hilft, sehr flaue Bilder, die hier eh keine Werte im Histogramm aufweisen, durch Abschneiden der Endbereiche kontrastreicher zu machen. Ein Extremfall sind gewollte "Scherenschnitteffekte", wie sie in Belichtungshelfer: Histogramme richtig anwenden auf Seite 3 als Übersteigerung der Kontraste in einer Gegenlichtaufnahme gezeigt wurden.


Man kann die Steigung der geraden Gradationslinie auch einfach umkehren – und erhält dann ein Negativ. Das kann eine mögliche Ausgangsbasis für SW-Negative sein, doch ist dies, und insbesondere die Umwandlung von Farbnegativen in Positive, ein eigenes Thema, das nicht ganz so simpel ist. Wie Sie sehen, verlaufen hier die RGB-Werte genau in umgekehrter Reihenfolge wie beim linearen Original, und das "Histogramm-Gebirge" erscheint gespiegelt.


Bei einer "kreativen Verfremdung" kann man die Gammakurve nach Belieben einstellen: Im Verlauf mehrfach ansteigend und wieder abfallend. Die resultierenden RGB-Werte bilden ein wildes Chaos – aber es kommt ja hier nur auf die künstlerische Inspiration an!

Wie Sie sehen, kann man mit Gradationskurven sehr viel anstellen, wird dabei aber auch an Grenzen stoßen. Eines haben wir aber noch ausgespart: kanalweise Gradationskurven. Diese verstellen die Tonwerte nach Rot, Grün und Blau (RGB) getrennt. Darüber und über Farbräume und Farbraumprofile später mehr.

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