Startups​: Konzerne als Beschleuniger​

Wenn etablierte Unternehmen mit innovativen Startups zusammenarbeiten, kann das für beide Seiten eine Win-Win-Situation sein.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht

(Bild: Rawpixel.com/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Peter Ilg
Inhaltsverzeichnis

Zunächst war Vivien Dollinger skeptisch: "Wieso sollte sich der große BMW-Konzern für unser kleines Startup interessieren?" Sie befürchtete, dass bei einer Zusammenarbeit der ungleichen Größen ihre junge Firma zur verlängerten Werkbank der etablierten wird. Ihre Befürchtung traf nicht ein. "BMW hatte von sich aus Interesse zu verstehen, wie unsere Lösung funktioniert. Sie wollten unser Produkt auch nicht für ihre Zwecke verbiegen und haben das auch in der Folge nicht getan", sagt Dollinger.

Seit drei Jahren arbeitet ihr Startup ObjectBox mit dem Automobilkonzern zusammen. Für junge Firmen kann es zum Glücksfall werden, wenn ein solcher Konzern ihr Kunde wird.

heise jobs – der IT-Stellenmarkt

Zu Arbeitsplätzen und Stellenangeboten in der IT-Branche siehe auch den Stellenmarkt auf heise online:

Dollinger, 44, hat Informatik, dann BWL studiert und in letzterem promoviert. "Anschließend hatte ich immer technische Aufgaben, überwiegend in der Spiele-Branche." Um 2015 entwickelte sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Prototypen der Softwarelösung ObjectBox. 2017 wurde die gleichnamige Firma in London gegründet, 2018 der Firmensitz nach München verlegt, 2020 nach Berlin. ObjectBox ist eine Edge-Datenbank für App-Entwickler.

Bei BMW gibt es eine Abteilung, "Startup Garage" genannt, die in der Gründerszene nach Innovationen sucht. "Ziel der Garage ist es, gemeinsam mit unseren Fachbereichen Technologien und Produkte junger Unternehmen zu testen und zu bewerten. Und, falls ihre Lösung das Potential dafür hat, sie zum Serienlieferanten zu qualifizieren", sagt deren Leiter Bernhard Schambeck.

Entweder kommt der Suchauftrag zu einem bestimmten Thema aus einer Fachabteilung oder die Startup Garage hat ein Startup mit einem interessanten Ansatz gefunden und schlägt es vor. "Unsere Aufgabe ist es, technische Lösungen innovativer Startups ins Unternehmen zu bringen", sagt Schambeck. Dabei orientiert sich das Team an den strategischen Innovationsfeldern des Unternehmens, etwa automatisiertes Fahren, E-Mobilität, Nachhaltigkeit.

Die Startup Garage gibt es seit 2015, sie unterstützt alle Fachabteilungen von BMW. Das Team ist mit fünf Mitarbeitenden überschaubar. "Startups zu finden ist nicht schwierig, weil wir sehr viele und sehr gute Quellen haben", sagt Schambeck. Das sind Kollegen in aller Welt und externe, etwa Risikokapitalgeber. Die Garage hat auch eine eigene Website, über die sich Startups bewerben können. "Schwierig ist es, von der Vielzahl an Startups die Perlen für uns herauszufinden und die Spreu vom Weizen zu trennen", sagt Schambeck.

In rund 150 Pilotprojekten wurde im Durchschnitt bislang gut jedes zehnte Startup Serienlieferant. Aktuell läuft ein Pilotprojekt mit gleich zwei jungen Tech-Firmen, deren Lösungen Autos automatisiert innerhalb der Produktion fahren lassen. Software der einen Firma berechnet den Fahrweg, die einer anderen das Umfeld. So fahren Autos ferngesteuert vom Bandende zum Parkplatz oder Verladepunkt. Diese beiden Startups, das eine aus der Schweiz, das andere aus Korea, sind, wie auch ObjectBox bereits Serienlieferanten von BMW.

Die beiden Gründer von ObjectBox nahmen an einem "Supplierthon", also einem Lieferantenscouting von BMW in Indien teil und wurden so als möglicher Lieferant ausgewählt. "Wir profitieren in der Zusammenarbeit mit BMW in vielerlei Hinsichten", sagt Dollinger. Ihr Softwareprodukt wurde auf Herz und Nieren getestet und dadurch optimiert. Außerdem ist das Unternehmen dabei, sich ISO 9001 zertifizieren zu lassen. "BMW setzt dieses Gütesiegel für eine Kooperation voraus und ohne die Zusammenarbeit hätten wir es nicht", sagt Dollinger. Große Unternehmen legen großen Wert auf Zertifikate.

In den nächsten Schritten will das Gründerduo dafür sorgen, dass die ObjectBox gut läuft, einige inhaltliche Erweiterungen implementieren und neue Mitarbeiter finden. Acht sind es aktuell. Das Unternehmen an BMW verkaufen, will Dollinger nicht: "Wir haben eine branchenübergreifende Lösung entwickelt, die sich auch, aber nicht nur für die Automobilindustrie eignet." Es sei eine Basistechnologie auf Infrastrukturebene, die sie irgendwann am liebsten als weltweiten Standard sehen würde. Mit EDEKA hat ObjectBox bereits einen weiteren renommierten Nutzer.

Nur jedes vierte Unternehmen in Deutschland kooperiert mit Startups, hat der Verband Bitkom in einer Umfrage herausgefunden. In der Befragung von 604 Unternehmen ab 20 Beschäftigten sagten fast jeweils die Hälfte, dass ihnen für eine Zusammenarbeit Zeit, Geld und Kontakte fehlen. Etwa ein Drittel sieht keinen Mehrwert in einer solchen Kooperation. Wenn Startups und Unternehmen zusammenarbeiten, dann überwiegend in der Entwicklung neuer Produkte oder Dienstleistungen.

BMW sucht Startups selbst. Die Startup Autobahn in Stuttgart bietet solchen Service als Dienstleister an. Startup Autobahn ist sieht sich als eine offene Innovationsplattform; dahinter steht ein US-amerikanischer Investor und der Name ist eine Produktmarke. Als Gründungsmitglieder der Plattform sind Mercedes-Benz, die Uni Stuttgart und der Forschungscampus Arena 2036 an Bord.

Inzwischen sind 33 Unternehmen Mitglieder der Startup Autobahn, darunter Bosch, Porsche, ZF. Alle aus der Automobilbranche. "Wir sind weltweit in 34 solcher Zentren auf bestimmte Themen fokussiert", sagt Hannah Boomgaarden, Programmdirektorin bei der Stuttgarter Startup Autobahn. Sie vernetzt Automobilunternehmen mit jungen Firmen.

Die Startup Autobahn in Stuttgart besteht seit 2017 und hat bislang etwa 380 Projekte initiiert. "Durchschnittlich werden von 20 vorgeschlagenen Firmen sechs mit einem bezahlten Konzept beauftragt und eine schafft den Sprung in die Serienfertigung. In und um Stuttgart gibt es zahlreiche Startups und noch viel mehr Ansprechpartner in der Firmen der Automobilbranche. Die Startup Autobahn findet die richtigen und vernetzt sie. Fast immer geht es um technische Projekte, die Software und Hardware betreffen.

Startups sollen schnell wachsen, damit sich ihr Produkt möglichst rasch im Markt breit macht. Dafür brauchen sie viel Geld. "Wer etablierte Kunden hat, bekommt leichter Venture Capital oder kann sich das Wachstum selbst finanzieren", sagt Boomgaarden. Die Startup Autobahn und die Startup Garage sind letztendlich Acceleratoren, die das Wachstum der jungen Unternehmen beschleunigen.

(axk)