Sta(d|t)t Auto: Was kommt anstelle des individuellen Privatverkehrs?

Seite 2: Alles in einem: Mobilität als integrierte Dienstleistung

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Car-Sharing ebenso wie Ride-Sharing wird aber in diversen Studien auch skeptisch beurteilt was die Fähigkeit angeht, Städte mit einem modernen Verkehrskonzept zu versorgen. So kann das Ride-Sharing sogar dazu führen, dass die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zurückgeht und dafür der Verkehr durch die Sammelwagen ansteigt.

Auch beim Car-Sharing als alleinstehende Lösung befürchten viele Experten keine Reduzierung, sondern eine Zunahme des Individual-Verkehrs – wobei "Individual"-Verkehr in letzter Konsequenz der falsche Begriff wäre: Das massenhafte Car-Sharing mit autonomen Autos, wie es durch die Pläne aller Anbieter geistert, kann bedeuten, dass der Verkehr durch die autonom herumgurkenden Wagen auf der Suche nach Parkplätzen oder beim Warten auf den nächsten Auftraggeber stark ansteigt.

Insellösungen greifen insgesamt zu kurz: Jedes Angebot für sich hat Vor- und Nachteile, je nach Anforderung des Users. Die Integration der einzelnen Dienste gilt als der heilige Gral für ein modernes Verkehrskonzept. Grundsätzlich möchte der Nutzer ja vor allem möglichst schnell und unkompliziert von A nach B kommen – für den "Fahrspaß" (in den 60er Jahren nannte man sowas sogar "Autowandern") gibt es andere Gelegenheiten. Dabei ist es ihm eigentlich egal, welches Transportmittel er benutzt. Eine Mobilitätslösung besteht aus Nutzersicht also daraus, dass er Start- und Zielpunkt eingibt und das System ihm dann mitteilt, welches Transportmittel für welche Strecke ausgewählt wurde und die Dienste entsprechend bucht. Idealerweise werden dabei auch Umgebungs- und Umweltparameter berücksichtigt: Das System schickt den User also nicht bei strömenden Regen mit dem Elektroroller durch die Stadt, lässt ihn nicht ohne E-Bike den Hang am Rand der Stadt hinaufkeuchen, zwingt ihn nicht zu langen Wartezeiten.

Eine App, ein Weg, alle nur denkbaren Transportdienste: Trafi kombiniert in Vilnius ÖPNV, Taxi, Car-Sharing, Uber und, und, und ...

Ein Mobilitätssystem muss also nicht nur verschiedene Dienstleister unter einen Hut bringen, sondern sie so kombinieren, dass die optimale Fahrstrecke und die besten Dienste für den jeweiligen Streckenabschnitt zusammenkommen. Davon sind wir noch weit entfernt. Aber immerhin gibt es erste Ansätze, zumindest einmal mehrere Angebote unter einen Hut zu bringen. Überraschenderweise sind es die Berliner Verkehrsbetriebe, sonst nicht gerade bekannt für revolutionäre Neuerungen, die in Deutschland einem großen Schritt nach vorne machen wollen.

Mit Jelbi starten die BVG eine App, mit der ein Nutzer verschiedene Angebote automatisch buchen kann. Teilnehmer sind natürlich die BVG selbst, Taxi-Betreiber, Car- und Ride-Sharing-Plattformen und Anbieter von Miet-Rädern und -E-Rollern. Die App kombiniert für den Nutzer alle Anbieter, sodass er auf seinem Weg die jeweiligen Gefährte oder Dienste nutzen kann: Er muss nur Start- und Zielort eingeben, den Rest erledigt Jelbi.

Wenn's funktioniert (Jelbi soll "im Sommer" starten), dann ist das schon mal ein Schritt nach vorne, aber es ist nicht einmal bei solchen integrierten Mobilitätsdiensten der Weisheit letzter Schluss. Es ist auch recht kompliziert: Man muss in vielen Fällen sowohl direkte Konkurrenten als auch konkurrierende Dienste (etwa Car-Sharing vs. Taxis) unter einen Hut bringen. Und Lücken sollten nicht entstehen, denn ein Nutzer, den man zwischendrin auf eine kilometerlange Wanderung schicken muss, der ist das nächste Mal kein Nutzer mehr. Immerhin scheint Hoffnung zu bestehen, wenn selbst schwerfällige Kolosse wie die deutschen Autofirmen erkennen, dass sie sich solchen Mobilitätsdiensten öffnen müssen.

Andere Länder sind da schon weiter. Wie so oft bei größeren technischen Entwicklungen, die den digitalisierten Alltag organisieren, hilft ein Blick in die baltischen Staaten. In Litauen hat die Firma Trafi, die auch das Berliner System entwickelt, ein vollständiges System für die Hauptstadt Vilnius etabliert. Trafi findet die besten Pfade durch die Stadt, bezieht alle verfügbaren Verkehrsmittel mit ein, kombiniert diese, bucht die Fahrpreise ab und verwaltet die Tickets. Die App beachtet nicht einfach nur die ÖPNV-Fahrpläne, sie berücksichtigt auch die aktuelle Position der Busse und berechnet Verspätungen in Echtzeit. Ebenso zeigt sie die aktuellen Positionen von Taxis, Sammeltaxis und Uber-Fahrern an und berechnet angesichts der Verkehrslage deren Eintreffen und auch deren Fahrtzeit zum Ziel. Die Trafi-App berücksichtigt das Wetter, zeigt an, wo welche Mietwagen bereitstehen, in welchem Zustand sie sind und wie viele Leihfahrräder momentan an jeder Ecke zu haben sind. Sie öffnet Mietwagen oder Fahrradschlösser und rechnet die Fahrtzeiten minutengenau ab.

Für all das sind öffentlich zugängliche Daten und Echtzeit-Auswertung unerlässlich. Etwa, um den genauen Zeitpunkt zu bestimmen, wann der für eine Teilstrecke eingeplante Bus ankommt – sich auf statische Fahrpläne zu verlassen, würde allzu oft die Streckenplanung der App ad absurdum führen. Das alles funktioniert mit anonymisierten Benutzerdaten. Erst wenn Vorlieben oder Handicaps des einzelnen Users mit ins Spiel kommen, ist auch eine Personalisierung unumgänglich. Big-Data-Auswertungen sind jedenfalls für integrierte Mobilitätsdienste zwingende Notwendigkeit.

In Vilnius scheint das Anliegen, den Verkehr mit privaten Autos zu reduzieren, erfolgreich zu sein. Zumindest jedenfalls werden ÖPNV und Car-Sharing von den Trafi-Usern intensiv genutzt.