Sta(d|t)t Auto: Was kommt anstelle des individuellen Privatverkehrs?

Wir haben ein Problem mit dem Verkehr vor allem in den Städten. Alternativen zum Auto und zum massenhaften Individualverkehr müssen her.

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Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Jürgen Kuri
Inhaltsverzeichnis

Utopien können so schön sein. Glückliche Menschen spazieren über sonnendurchwirkte Straßen in modern anmutenden Stadtvierteln, manche etwas eiliger, weil sie möglicherweise zur Arbeit oder zu einem Termin müssen. Von Enge, Platzmangel, dreckiger Luft und verstopften Straßen keine Spur. Abgesehen davon, dass die vorherrschende allgemeine Glückseligkeit in solchen Bildern von Werbern und Städteplanern auch Angst machen kann, haben sie mit der Realität wenig zu tun.

Niemand kann sich der Suche nach Alternativen zum gegenwärtigen Individualverkehr in den Städten entziehen, das ist nicht erst seit Dieselskandal und Feinstaub-Fahrverboten deutlich. Aber Elektromobilität hin oder her, der Austausch des Antriebs allein ist keine Lösung. Genauso wenig aber allein der Ersatz des Autos durch Fahrräder und Klein-Mobile wie E-Scooter: Durch Radfahrer verstopfte Straßen mögen zwar mit sauberer Luft beeindrucken, den Verkehr erträglicher machen sie kaum. Und die Auto-Betontrassen der 50er und 60er Jahren durch vergleichbare Schnell-Trassen für Radfahrer-Massen zu ersetzen, die durch Wohngebiete und Stadtzentren geschlagen werden, mag dem Radverkehr entgegenkommen, fördert aber keineswegs die Wohnlichkeit der Städte.

Schwerpunkt: E-Mobilität

Zukunftsvorstellungen in der Science Fiction zeigen dafür eine interessante Entwicklung auf, die die jeweilige Realität der Zeit reflektiert: In Fritz Langs "Metropolis" war die hochtechnisierte Oberstadt noch von Monster-Straßen durchzogen, auf denen sich große Züge und unzählige Gefährte für den Individualverkehr bewegten, während in der Luft Geräte herumschwirrten, die man heute Lufttaxis nennen würde.

In "Bladerunner" war die Stadt dann schon von Menschenmassen verstopft, der Luftraum ein einziges Chaos konkurrierender Individual-Fluggeräte. In "The Expanse" ist mit solchen Vorstellungen Schluss: Die Straßen New Yorks sind im 23. Jahrhundert vor allem von Fußgängern bevölkert, während Flug-Shuttles die Anbindung über weite und sehr weite Entfernungen gewährleisten. An die Dystopien der Stadt erinnern hier nur noch die Bedingungen auf den Stationen im sogenannten Gürtel.

Bis ins 23. Jahrhundert haben wir aber keine Zeit mehr, mit neuen Konzepten Städte nicht nur bewohnbar, sondern auch wohnlich zu machen. Das Wachstum nicht nur der Metropolen, sondern auch der Mittelstädte scheint trotz neuer, auch technischer Möglichkeiten zur Stärkung der Peripherie unaufhaltsam. Und auch ihr Kollaps, wenn die gegenwärtige Verkehrstechnik einfach in die Zukunft verlängert wird.

Alternative Verkehrskonzepte sind immer auch Stadtplanung, unter Einbeziehung von Plänen zur Anbindung der Peripherie (auch Vorstadt, ländlicher Raum oder Provinz genannt). Die wesentlichen Vorschläge, die derzeit auf Umsetzung drängen, beschäftigen sich aber immer noch vor allem mit ... dem Auto.

Der erste Schritt, der neue Verkehrskonzepte voranbringen soll, weist nämlich dem Auto eine neue Rolle zu: Nicht als reines Individual-Verkehrsmittel im Privatbesitz, sondern in einem erweiterten Car-Sharing. Im Endstadium soll das nichts mehr mit dem immer noch recht umständlichen Car-Sharing zu tun haben, das es in vielen Städten schon seit Jahren vor allem über Vereine mit Mitgliedschaften gibt. Nach den Plänen vieler großer Anbieter rollt dann ein autonomes Elektro-Auto vor, wenn ich gerade eines brauche, und sucht sich anschließend selbstständig wieder einen Parkplatz oder fährt zum nächsten Car-Sharer.

Der Anfang ist mit diversen Angeboten auch der großen Autohersteller gemacht, bei denen Car-Sharing einfach über eine Smartphone-App ohne große Vorbestellung des gewünschten Autos funktioniert. Der Druck zu solchen Lösungen ist so groß, dass sich selbst eingefleischte Konkurrenten zusammentun: BMW und Daimler etwa legen ihre Car-Sharing-Angebote zusammen. Mit "Share Now" ist aber nicht nur eine gemeinsame Offerte zur einfachen Nutzung öffentlich verfügbarer Autos verbunden, sondern auch das Versprechen, über die zugehörige App künftig unter anderem auch Ride-Sharing zu ermöglichen: Also nicht nur serielles Car-Sharing, sondern die gemeinsame Nutzung eines öffentlichen Autos, wenn mehrere Nutzer die gleichen oder zumindest ähnliche Wege zurückzulegen haben.

VW ist beim Ride-Sharing schon vorgeprescht: Die Tochter Moia, die sich die Abteilung für neue Mobilitätskonzepte im Konzern ausgedacht hat, ist bereits mit ihren Fahrzeugen in Hannover unterwegs. Sie stellen eine Art halbprivaten Bus dar: Über eine App gibt man Start- und Zielort ein, das Moia-System berechnet dann für eines der Fahrzeuge mit einer vergleichbaren Fahrtstrecke, wo es den Interessenten abholt und absetzt sowie die Strecke, die zum Aufnehmen weiterer Fahrgäste optimal ist. Moia verspricht dabei, dass man maximal 250 Meter zu dem Ort laufen muss, an dem man vom Fahrzeug aufgenommen wird. Moia soll absehbar mit E-Autos arbeiten und in Zukunft dann autonome Fahrzeuge einsetzen.

Hört sich erstmal gut an, hat aber seine Tücken. Und die liegen zuvörderst in regulatorischen Gegebenheiten. Sammeltaxis (in diese Kategorie wird Moia gezählt) sind in Deutschland genehmigungspflichtig und stoßen auf großen Widerstand beim Taxi-Gewerbe. In Berlin wurde Moias Antrag auf eine Betriebserlaubnis erst einmal abgelehnt. Ob eine Initiative von Verkehrsminister Andreas Scheuer, Fahrdienste zu liberalisieren, große Änderung bringt, bleibt abzuwarten – er will mit einem Schlag nicht nur Ride-Sharing erleichtern, sondern auch Fahrdienste wie Uber ermöglichen. Da werden noch einige Lobby-Kämpfe auszufechten sein, die beim Verkehrsministerium bislang eher zugunsten der alten Industrien ausgingen.