Studie: Neue Produktionsmodelle in offenen Werkstätten
Wer arbeitet an welchen Projekten in Makerspaces und wie finanziert sich das eigentlich? Eine Studie hat die Makerbewegung in Deutschland untersucht, um Antworten auf diese Fragen zu finden.
- Roland Hieber
Die Maker-Szene krempelt althergebrachte Produktionsmodelle und Machtstrukturen von unten her um – zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie des Projekts COWERK (Commons-based Peer Production in Offenen Werkstätten). Das vom BMBF geförderte Projekt untersucht kollaborative Wirtschaftsformen, speziell anhand von offenen Werkstätten.
Die Datenbasis der Studie bildet eine empirische Befragung von über 400 offenen Werkstätten in Deutschland im Sommer 2015. Neben Makerspaces und FabLabs wurden hierbei auch Hackerspaces, Repaircafés, Siebdruck- und Fahrradwerkstätten befragt. Die 76 Fragen zielten einerseits auf die Organisations- und Finanzstruktur der Initiativen, zum anderen auf Strukturen des sozialen Umfeldes und der Wissensvermittlung, auf Herkunft und Verarbeitung der Materialien sowie die persönliche Biografie der Involvierten.
Welche Werkstätten gibt es?
Schon früh stellen die Autoren Bastian Lange, Valentin Domann und Valerie Häfele fest, dass sich die Szene kaum kategorisieren lässt, sie sei regelrecht "chaotisch" angeordnet. Aufgrund der Antworten aus etwa 100 verwertbaren Fragenbögen bilden sie drei Archetypen, um die verschiedenen Ausrichtungen der Werkstätten zu beschreiben: Reparatur, Neuproduktion und Modifikation.
Der Archetyp "Reparatur" zeichnet sich aus durch seinen hohen Anteil an Ehrenamtlichen, sein soziales Einzugsgebiet ist aber meist auf einen Stadtteil begrenzt. Der Fokus liegt hier stark auf den Themen Umwelt, Ökologie und Konsum; folglich ist auch der Anteil von recycletem Material besonders groß. Dieser Typ hat als wichtigstes Ziel, Alternativen zu kapitalistischen Wirtschaftsformen zu schaffen. Ebenso ist der durchschnittliche Maschinenwert mit nur 750 Euro sehr gering. Die Initiativen finanzieren sich hauptsächlich durch Spenden.
Im Kontrast dazu deckt das soziale Umfeld des Archetyps "Neuproduktion" im Durchschnitt eine komplette Region ab. Sein Maschinenpark kann einen Wert von 20.000 Euro und mehr umfassen, ebenso sind die Räumlichkeiten hier am größten. Bei der Finanzierung hilft der große Anteil an öffentlicher Förderung, der mit durchschnittlich 35 Prozent am höchsten von allen Typen ist. Das wichtigste Ziel dieses Typs ist die Entwicklung von Prototypen, der Anteil an Materialrecycling ist hier besonders niedrig. Da ein großer Fokus die Bildung betrifft, ist hier der Grad an verschriftlichter Dokumentation hoch. Bemerkenswert ist aber der geringe Frauenanteil, der nur 20 Prozent der Aktiven beträgt – nur halb so hoch wie beim Typ "Reparatur".
Der dritte Archetyp "Modifikation" ist schließlich in vielerlei Hinsicht zwischen beiden Typen angesiedelt. Genau wie der Typ "Neuproduktion" liegt sein Fokus auf der Entwicklung von Prototypen, als Themen sind hier insbesondere auch Open Source, Kunst und gemeinschaftliche Produktion anzutreffen. Seine Hauptfinanzierungsquelle sind dabei die Mitgliedsbeiträge. Gleichwohl ist hier der höchste Anteil an eingetragenen Vereinen zu finden. Bemerkenswert ist bei diesem Typ die hohe Anzahl an Arbeitsstunden: 50 Stunden sind pro Woche und Werkstatt zu leisten, gegenüber 30 Stunden beim Typ "Neuproduktion" und nur 12,5 Stunden beim Typ "Reparatur".
Wer arbeitet in den Werkstätten?
Außerdem trägt die Studie einige allgemeine Ergebnisse zusammen. So sind bei allen Werkstätten hauptsächlich Personen mit naturwissenschaftlichem und künstlerischen Hintergrund zu finden, davon 75 Prozent mit Studium. Der Berufsschwerpunkt liegt aber außerhalb der Werkstatt, die zur Freizeitgestaltung dient – ihr tägliches Brot verdienen hier nur 14 Prozent der Befragten. Trotzdem wird eine Werkstätte meist nur von wenigen Personen getragen, 39 Prozent der Befragten geben an, mehr als 10 Stunden pro Woche zu investieren. Die Altersverteilung zeigt dabei Häufungen in den Bereichen von 25 bis 34 Jahren, 40 bis 44 Jahren und ab 60; mit Berufseinstieg, Mid-Life-Crisis und Rente lassen sich hier stereotypische biografische Umbrüche erkennen. Als besonders wichtige Themen empfinden die Befragten: Wissensvermittlung (82% Zustimmung), gesellschaftliche Transformation (78%), sowie praktisches Arbeiten, Arbeiten in der Gruppe und der Aufbau von Netzwerken (je 60-70%). Als Antithesen finden sich "Startups unterstützen" (23%), Zusammenarbeit mit Unternehmen (19%) und Kommerzielle Dienstleistungen (nur 18% Zustimmung).
Unter diesem Hintergrund sehen die Autoren die Szene als Triebfeder von Innovation: In offenen Werkstätten ließen sich neue Ideen erst einmal ohne finanziellen Verwertungsdruck ausprobieren. Die meist flachen Hierarchien förderten – ganz nach dem Vorbild Open Source – eine Dezentralisierung der Machtverhältnisse. Durch die Reichweite des Internets und dem leichteren Zugang zu Produktionsmitteln würden bestimmte Nischenprodukte erst geschäftsfähig. All dies stehe im starken Gegensatz zu etablierten wirtschaftlichen Produktions- und Vertriebsformen, trage zum kreativen Potenzial bei und erlaube es nicht zuletzt auch marginalisierten Gruppen, sich in den Prozess einzubringen. "Wir erleben die Renaissance der urbanen Manufakturen im digitalen Zeitalter", fasst die Studie diese Bewegung zusammen. So übe die Maker-Szene schließlich Einfluss auf Politik und Wirtschaft aus – digitale Bürgerbeteiligung, Crowdsourcing und offene Entwicklungsmodelle sind in aller Munde – und schaffe durch ihren Pragmatismus möglicherweise das, was der ideologisierten Reformbewegung der 70er Jahre nicht gelungen sei. (hch)