Studie: Noch große Reserven im Stromnetz zur Integration der Erneuerbaren

Über deutsche Leitungen könnte schon jetzt viel mehr Strom transportiert werden, hat der VDE herausgefunden. Es gelte, vorhandene Substanz besser zu nutzen.

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Stromnetz
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Das Stromnetz selbst bietet noch umfangreiche Hebel, um den Ausbau der erneuerbaren Energien zu beschleunigen. Darauf verweisen Experten der Energietechnischen Gesellschaft (ETG) im Elektrotechnik-Verband VDE in einer jetzt veröffentlichten Studie vom August. Sie geben darin Empfehlungen, wie durch eine temporäre höhere Auslastung von Betriebsmitteln im Strombestandsnetz Reserven für das Netzengpassmanagement genutzt werden können. So ließen sich die Leitungen und entscheidende Netzbausteine schnell an die Integration von Solar- und Windkraft anpassen, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden.

Aktuell wächst die Zahl der Stromerzeuger vor allem über Balkonkraftwerke. Der Netzausbau konnte in den vergangenen Jahren nicht mit dieser Entwicklung Schritt halten. Immer häufiger gebe es stellenweise mehr Stromangebot als Abnehmer, schreiben die Autoren. Windräder müssten abgeschaltet werden. Große Photovoltaik- und Windparks könnten nicht ans Netz gehen, da die Kapazitäten dafür fehlten. Zudem komme es im Netzbetrieb zu Engpässen, bei denen die Netzbetreiber kurzfristig eingreifen müssen.

Da der Ausbau holprig laufe und noch viele Jahre dauern dürfte, hat die ETG eine höhere Auslastung von Betriebsmitteln im Netz der Energiewende und deren tatsächliche physikalische Belastbarkeit genauer untersucht. Sie beschränkte sich dabei auf Komponenten, die für die Übertragung von Strom besonders wichtig sind. Um eine Überlastung mit inakzeptablen Risiken für die Technik auszuschließen, nahmen die Experten nach eigenen Angaben nur Potenziale zur "zulässigen Höherauslastung innerhalb der Materialgrenzen" in den Blick.

Im Ergebnis errechnete das Team bei Kabeln eine höhere Strombelastbarkeit von bis zu 60 Prozent, bei Transformatoren bis zu 50 Prozent. Leiterseile können demnach bis zu 58 Prozent mehr Beanspruchung aushalten, wenn sie auf witterungsabhängigen Freileitungsbetrieb eingestellt werden. Dabei wird aus Wetterdaten dynamisch die aktuelle Strombelastbarkeit berechnet und an die Leittechnik übergeben. Bei Schaltanlagen liegt die zusätzliche Belastbarkeit der Analyse zufolge bei 15 Prozent, was durch eine verbesserte Kühlung oder digitale Überwachung mit Sensoren erreicht werden könne.

Die Autoren geben aber zu bedenken, dass für einen flächendeckenden Einsatz solcher Maßnahmen etwa noch das Zusammenspiel aus technischer Regelsetzung, den tatsächlichen physikalischen Möglichkeiten und rechtlicher Restriktionen aus Haftungsrisiken fachbereichsübergreifend verbessert werden müsste. Sie meinen: "Eine übermäßig sicherheitsorientierte Herangehensweise von Herstellern und Betreibern bei diesen Fragen kann Innovationen hemmen." Während Normen und Standards die zyklische Belastbarkeit etwa von Transformatoren eindeutig abbildeten, fehlten für Schaltanlagen entsprechende Grenzwerte. Sinnvoll wäre die Erstellung eines Handbuchs für die gesamte Stromübertragungskette.

Auch eine höhere "Flexibilität auf der Nachfrageseite" beim Stromverbrauch gilt als Ansatz, um die Erneuerbaren ins Netz zu integrieren, das Problem der unzureichenden Stromerzeugung in sonnen- und windarmen Stunden zu lösen, Angebot und Nachfrage anzugleichen sowie die Strominfrastruktur effizient zu nutzen. Demnach könnten etwa als Speicher dienende E-Autos die Verbraucher bei einem flexibel gestalteten System finanziell deutlich entlasten. Die Verteilernetzbetreiber beschränkten sich mit Redispatch 2.0 zur Abwehr von Überlastungen auf die Stromerzeugung, ist oft zu hören. Es existierten aktuell zwar Vorschläge, die "eine Fernsteuerung von Lasten durch die Netzbetreiber" ermöglichten. So soll die Bundesnetzagentur das Laden von E-Fahrzeugen zur "Spitzenglättung" drosseln können.

"Erzeugungsanlagen abzuschalten, sollte immer das letzte Mittel sein", unterstreicht Maik Koch von der Hochschule Magdeburg-Stendal als Leiter der ETG-Arbeitsgruppe. "Wir schlagen daher vor, das Problem auf technischem Weg anzugehen." Mit den gelieferten praktisch umsetzbaren Ansätzen "für eine moderne Betriebsführung" wolle man Betreiber und Planer ermutigen, diese umzusetzen. Mit vergleichsweise einfachen Mitteln ließen sich so letztlich auch Millionen Tonnen CO2 einsparen.

(nen)