Studien: Streaming schlägt klassisches TV – oder doch nicht?

Im Juli hatten laut Studie Streaming-Dienste in den USA erstmals mehr Zuschauer als die TV-Kabelanbieter. Ist der Trend in Deutschland ähnlich?

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(Bild: REDPIXEL.PL/Shutterstock.com)

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Im Juli haben die Streaming-Dienste in den USA den größten Anteil der TV-Zuschauer für sich verbuchen können, das geht aus einer Analyse von Nielsen hervor, einem Anbieter von Publikumsmessung. Die Streaming-Dienste konnten bereits in der Vergangenheit die Zuschauerzahlen der TV-Anbieter übertreffen, "aber dies ist das erste Mal, dass sie auch die der Kabelanbieter übertrafen", so Nielsen.

In den vergangenen vier Monaten hätten die Streaming-Zuschauer kontinuierlich Höchstwerte erreicht und diese gipfelten im Juli mit 190,9 Milliarden Minuten gestreamter Inhalte pro Woche – im Corona-Lockdown im April 2020 haben es die US-Zuschauer Nielsen zufolge auf 169,9 Milliarden Streaming-Minuten gebracht. Mit Ausnahme der letzten Dezemberwoche im vergangenen Jahr seien die Wochen im Juli 2022 die mit dem höchsten Streaming-Aufkommen aller Zeiten.

Mit einem Anteil von 34,8 Prozent lag Streaming im Juli vor der Kabelnutzung mit 34,4 Prozent und Rundfunk mit 21,6 Prozent – "Andere" werden mit 9,2 Prozent angegeben. Den Angaben zufolge wertet Nielsen lediglich die Wiedergabe auf TV-Geräten aus und nicht die Nutzung von Smartphones, Tablets oder PCs.

Nielsen gibt auch an, dass im Juni die NHL- und NBA-Playoffs und damit die Saison der in den USA beliebten Sportarten beendet ist und die Sportübertragungen um 41 Prozent zurückgingen – die NFL startet erst wieder im September den Spielbetrieb. Der Großteil der Rechte für die Sportübertragungen liegt derzeit noch bei den Kabelanbietern in den USA.

Allerdings bieten sowohl die NBA, NHL und NFL eigene (kostenpflichtige) Portale zum Streamen an. Apple sicherte sich einen Teil der Übertragungsrechte MLB und bietet ausgewählte Spiele in seinem Abo Apple TV+ an – die Spiele sind auch in Deutschland zu sehen.

Generell sind diese Auswertungen mit Vorsicht zu genießen, da aufgrund der Messmethoden (keine Mobilgeräte) einige Faktoren unberücksichtigt bleiben. So erklärt Nielsen etwa, dass die einzelnen Streaming-Anbieter, die über Kabel-Set-Top-Boxen konsumiert werden, derzeit nicht detailliert ausgewertet werden und unter die Rubrik "Sonstige" (Other Streaming) fallen.

"Sonstige" bilden mit 10,2 Prozent den größten Anteil an Streaming-Anbietern ab, gefolgt von Netflix (8 Prozent), YouTube (7,3 Prozent) und Hulu (3,6 Prozent). Amazons Prime Video landet in den USA mit 3 Prozent auf Platz fünf vor Disney+ (1,8 Prozent) und HBO Max mit 1 Prozent. In den USA ist Hulu der Dienst von Disney für Erwachsene.

Nutzerzahlen von Medieninhalten

(Bild: Nielsen)

In Deutschland zeichnet sich laut einer ARD/ZDF-Studie aus dem November 2021 ein ähnliches Bild ab. Demnach stieg die durchschnittliche Nutzungsdauer von Medien im Internet auf durchschnittlich 136 Minuten (99 Minuten im Jahr 2019). Die Treiber waren demnach überwiegend Streaming-Dienste wie Netflix, YouTube und die Mediatheken der TV-Sender.

Immerhin nutzten 42 Prozent der über 14-jährigen Deutschen demnach regelmäßig Streaming-Dienste – im Jahr zuvor waren es noch 36 Prozent. In Deutschland führt laut Statista Prime Video von Amazon die Liste mit 72,3 an (Stand März 2022), gefolgt von Netflix (71,9 Prozent) vor Disney+ mit 36,6 Prozent. Der Sport-Anbieter DAZN folgt auf Platz vier (17,6 Prozent) vor Sky Go, YouTube Premium, Apple TV und Google Play.

Amazon und Netflix in Deutschland Kopf an Kopf

(Bild: Statista)

Auf ein ganz anderes Ergebnis kommt eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach, die sie mit "Totgesagte leben länger" betitelt. Der Allensbach-Studie zufolge gibt es keine Abkehr vom linearen Fernsehen. Demnach nutzen im Jahr 2022 immerhin noch 96 Prozent der Befragten ab 14 Jahren zumindest selten das klassische TV-Angebot, genau wie im Jahr 2010 (2000 waren es 97 Prozent) – täglich sind es 56 Prozent gegenüber 63 Prozent im Jahr 2010 und 65 Prozent im Jahr 2000.

Keine Abkehr vom linearen Fernsehen

(Bild: Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse)

Die tägliche Nutzung bei den 14- bis 29-Jährigen verteilt sich laut Allensbach-Studie relativ gleichmäßig: lineares Fernsehen (27 Prozent), YouTube und andere Online-Videoportale (29 Prozent) und Streaming-Dienste (22 Prozent). Mit steigendem Alter verschiebt sich die Nutzung zugunsten des linearen Fernsehens und nimmt bei den Anbietern über das Internet entsprechend ab.

Deutliche Generationsunterschiede bei der täglichen Bewegtbildnutzung

(Bild: Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse)

In der Streaming-Welt gibt es keinen Anbieter wie bei den Musikdiensten Spotify oder Apple Music, um nur die beiden größten Anbieter zu nennen, der alles anbietet. Der Markt wird zunehmend unübersichtlicher aufgrund steigender Zahl von Anbietern. Auch international ist die Lage schwer zu durchschauen: Während Kunden in den USA auf die Inhalte von HBO über den hauseigenen Dienst HBO Max zugreifen können, ist man in Deutschland auf WOW-TV (ehemals Sky-Ticket) oder Sky angewiesen. Allein Sky bietet mit Sky Q einen weiteren Onlinedienst an.

Auch das Lieblingsprogramm bedarf immer wieder einiger Recherche. Fans des Marvel-Universums waren einige Zeit bei Netflix richtig – jetzt müssen sie zu Disney+. Star-Trek Fans konnten "Star Trek: Discovery" von CBS in den USA bei CBS All Access sehen, in Deutschland auf Netflix – allerdings nur bis Staffel drei – sehen. Die vierte Staffel startete in den USA bei Paramount+, weil der Medienkonzern ViacomCBS sich in Paramount umbenannt hat. In Deutschland kann die Serie derzeit nur gekauft, Paramount+ sollte ursprünglich im Sommer in Deutschland starten – der Start ist nun für Dezember geplant. Mit Paramount+ kommt auch die "Star Trek"-Serie "Strange New Worlds" zu uns – "Star Trek: Picard" läuft bei Amazon Prime Video.

Neben der nahezu unüberschaubaren Angebotsvielfalt, den Rechten der Studios, den Eigenproduktionen und den ständig neu hinzukommenden Anbietern jagen sich die Streaming-Dienste gegenseitig die Kunden ab. Monatlich kündbar ist ein Wechsel zwischen den Anbietern einfach. Doch selbst das riesige Angebot der einzelnen Dienste scheint nicht ausreichend zu sein und selbst der Platzhirsch kämpft gegen schwindende Nutzerzahlen an.

Netflix verlor zuletzt nach dem Boom der Corona-Pandemie Kunden und im Juli kündigte das Unternehmen ein günstigeres Abo mit Werbeeinblendungen für Anfang 2023 an. Im November 2021 stieg Netflix ins Gaming-Geschäft ein, es stellte sich jedoch heraus, dass Netflix-Kunden keine Spieler sind. Gegen den Umsatzverlust testet Streaming-Anbieter unterschiedliche Maßnahmen gegen Konten-Sharing, das weitverbreitet ist und die Abo-Zahlen verfälscht.

Zuletzt schloss der Disney-Konzern mit seinem Portfolio zu Netflix auf. Mit den einzelnen Services (Disney+, Hulu und ESPN+) brachte es der Unterhaltungskonzern auf 221 Millionen Abonnenten. Die Neuauflage von "Wetten, dass..?" zog im vergangenen Jahr 13,8 Millionen Zuschauer zeitgleich vor den Fernseher. Die Unübersichtlichkeit der Anbieter und das erschlagend große Angebot eines jeden einzelnen Dienstes sind Dinge, mit denen das lineare Fernsehen außerhalb der eigenen Mediatheken nichts zu tun hat, und dann sind da noch YouTube, Vimeo, Twitch ...

Update

Die Zahl der Abonnennten des Disney-Konzerns wurden korrigiert.

(bme)