Terrorismus und Hass: Facebooks geheime Zensurliste ist offen im Netz​

4000 Einträge hat Facebooks schwarze Liste "gefährlicher Einzelpersonen und Organisationen". Darunter sind islamistische Terrorgruppen und deutsche Neonazis.

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Facebook

(Bild: dpa, Uli Deck/dpa)

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Bereits seit vielen Jahren unterhält Facebook eine schwarze Liste "gefährlicher Einzelpersonen und Organisationen". Sie soll die fast drei Milliarden weltweiten Nutzer des sozialen Netzwerks davor bewahren, etwa mit Terrorpropaganda, Hassbeiträgen inklusive Gewaltandrohungen und schweren kriminellen Aktivitäten in Kontakt zu kommen. Der US-Konzern hat die Liste auch trotz der Kritik des eigenen Kontrollgremiums "Oversight Board" bisher geheimgehalten.

Das US-Portal The Intercept hat nach eigenen Angaben die Daten erhalten und eine "Reproduktion" der schwarzen Liste ins Netz gestellt. Darauf sind über 4000 Personen und Gruppen verzeichnet. Neben aktiven und ehemaligen Terrorvereinigungen wie dem Islamischen Staat, al-Qaida, IRA oder der Roten Armee Fraktion (RAF) sind darunter viele Politiker, Schriftsteller, Wohlfahrtsverbände, Krankenhäuser, Hunderte von Musikern und Bands sowie längst verstorbene historische Persönlichkeiten.

Die aufgeführten "Dangerous Individuals and Organizations" (DIO) sind selbst auf der Plattform gesperrt. Sie dürfen dort aber laut den Gemeinschaftsregeln auch nicht frei diskutiert und teils nicht einmal billigend erwähnt werden, was eine weitgehende Zensur darstellt. Unterteilt ist die veröffentlichte Liste nach Terrorgruppen aus der ganzen Welt sowie ihnen angehörenden Individuen, ferner nach organisierter Kriminalität und deren Vertretern sowie nach Organisationen und Personen, die Hass verbreiten und zu Gewalttaten anstiften.

Dazu kommen "gewalttätige nicht-staatliche Akteure" wie Rebellengruppen aus dem Mittleren Osten und Afrika. Seit 2020 wird zudem eine "militarisierte gesellschaftliche Bewegung" erfasst, in der vor allem bewaffnete rechtsradikale Milizen aus den USA angeführt werden. Aus Deutschland sind hier und unter den Hassgruppen etwa die Partei der III. Weg, die Identitäre Bewegung und verbotene Neonazi-Vereinigungen wie der Nationale Widerstand Dortmund vertreten.

Die Definition von "gefährlich" geht bei Facebook laut den enthaltenen Namen recht weit. Sie umfasst neben Adolf Hitler, Joseph Goebbels und Benito Mussolini etwa den verstorbenen 14-jährigen Kindersoldaten Mudassir Rashid Parray aus Kaschmir, Fernsehsender, ein Videospielstudio, Fluggesellschaften und die medizinische Universität, die an Irans selbstentwickeltem Impfstoff gegen das Coronavirus arbeitet. Unter den "bewaffneten Milizen" finden sich die linken Medienorganisationen "Crimethinc" und "It’s Going Down", die nach eigenen Angaben über Demonstrationen, Streiks und Aufstände berichten, sich aber nicht daran beteiligen.

In der Kategorie Terrorismus übernimmt Facebook die meisten Namen direkt von der US-Regierung: Fast 1000 Einträge verweisen hier auf die vom Finanzministerium geführte Sanktionsliste "SDGT" (Specially Designated Global Terrorists), die Ex-Präsident George W. Bush unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September erstellen ließ. Vielfach sind auch Pass- und Telefonnummern angeführt, die zugleich im offiziellen SDGT-Verzeichnis vermerkt sind.

Als weitere Quellen werden unter anderem das Terrorism Research & Analysis Consortium, eine private, auf Abonnements basierende Datenbank angeblicher gewalttätiger Extremisten, und SITE genannt, ein nicht unumstrittenes Unternehmen mit dem Ziel, Terroristen aufzuspüren. Offenbar hat Facebook auch mit Konkurrenten zusammengearbeitet: Ein Eintrag enthält den Hinweis, dass ein hochrangiger Mitarbeiter von Google dafür verantwortlich gewesen sein soll.

Die DIO-Kategorien hat Facebook laut dem Bericht Ende Juni in ein dreistufiges System eingeteilt, wobei jede höhere Stufe strengere Beschränkungen mit sich bringt. Ebene 1 ist am stärksten eingeschränkt; Nutzer dürfen keine Unterstützung für dort eingeordnete Gruppen und Personen signalisieren, auch nicht bei gewaltfreien Aktivitäten. Ein von "The Intercept" ebenfalls veröffentlichtes Anleitungsdokument macht parallel transparent, wie Moderatoren abwägen sollen, welche Beiträge zu löschen und welche Nutzer zu sperren sind. Oft bleiben dabei aber Fragen offen.

Bürgerrechtlicher kritisieren den Ansatz. Wenn eine globale Plattform ihre Politik mit der US-Regierung abstimme, sei dies diskriminierend, monierte Jillian York von Electronic Frontier Foundation (EFF)". Facebook nehme teils auch "gefährdeten Gruppen und Einzelpersonen die Handlungsfreiheit". Faiza Patel vom US-Thinktank Brennan Center for Justice kritisiert, dass weiße rechtsgerichtete Milizen zur Stufe 3 zählten und so "mit leichter Hand behandelt" würden, wohingegen die schwersten Strafen auf muslimisch geprägte Gemeinschaften angewendet würden.

"Unsere Definition von Terrorismus ist öffentlich, genau ausformuliert und wurde unter maßgeblicher Beteiligung von externen Experten und Wissenschaftlern entwickelt", betonte ein Facebook-Sprecher gegenüber The Intercept. Sie sei "unabhängig von Religion, Region, politischer Einstellung oder Ideologie". Der Social-Media-Riese hatte zuvor die Publikation der Liste mit dem Argument abgelehnt, dass dies Mitarbeiter gefährden könnte. Zudem würde ein solcher Schritt es Betroffenen erlauben, den Bann zu umgehen.

(vbr)