TikTok: "Chinesisches Recht berührt uns nicht, Daten sind sicher"

Seite 4: Informationskrieg

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Neben dem Risiko, eine Diktatur in sozialen Netzwerken Daten ernten oder Informationen zensieren zu lassen, besteht vielleicht eine noch größere Gefahr in dem, was soziale Netzwerke aktiv verbreiten. "Die Reichweite dieser Apps zu ignorieren könnte sich als fataler Fehler herausstellen. Die Durchdringungskraft sozialer Netzwerke und die Tiefe der Nutzerdaten, die sie sammeln, macht sie zu einem sehr starken Werkzeug sowohl für Spionage als auch für die Manipulation öffentlicher Meinung", warnte die bei der aktuell bei der Nationalbank Italiens arbeitende Ökonomin Claudia Biancotti schon Anfang 2019.

In dieses Horn stieß auch Cook im Gespräch mit heise online. Den Schutz von Userdaten zum entscheidenden Kriterium zu machen, greife vielleicht zu kurz. Denkbar sei auch die Manipulation von Inhalten, oder auch nur bei Lügenkampagnen Dritter ein Auge zuzudrücken.

"TikTok selbst wird seine Reichweite vielleicht nie über Teenager hinaus ausdehnen, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bevor eine chinesische App mit breiterer Attraktivität die Märkte Europas und der USA betritt", schrieb Biancotti. Das könnte sich zu einem "Problem der Größe Huaweis" auswachsen "was den Zugriff chinesischer Geheimdienste auf den Westen" betrifft.

"So schwerwiegend diese Bedrohung ist, sie ist bei Weitem nicht die einzige", legte Biancotti nach, "Wenn China weiterhin westliche Plattformen verbietet während es die Internationalisierung seiner eigenen vorantreibt, hat es die Chance, globale Vorherrschaft zu erringen. Dieser Aufschwung könnte zu Vorteilen in anderen Bereichen führen, da soziale Netzwerke generell Teil eines größeren Ökosystems sind, wo personenbezogene Daten viele Produkte und Dienstleistungen treiben, darunter die Entwicklung Künstlicher Intelligenz (KI)."

"Unschuldig wirkende Apps wie TikTok könnten zu den trojanischen Pferden des KI-Wettrennens zählen", warnte die Ökonomin, "China sollte sie nicht in alle Welt bringen dürfen, während es den Wettbewerb im Heimatmarkt umbringt."

TikTok ist die internationale Version der chinesischen App Douyin. Beide setzen stark auf kurze, nutzergenerierte Videos, in der Regel mit Musikuntermalung. Stand November hatte Douyin 400 Millionen aktive Nutzer in China, wie eine ByteDance Managerin, die gleichzeitig Parteisekretärin des Unternehmens ist, damals angegeben hat. Wie bei großen chinesischen Unternehmen üblich gibt es auch bei ByteDance ein Parteigremium, das innerhalb der Firma nach dem Rechten sieht.

Außerhalb Chinas dürfte TikTok mindestens ebenso viele monatlich aktive User zählen, wie eine Schätzung Datareportals zeigt. Bis April war die App mehr als zwei Milliarden mal von Google Play und Apples App Store heruntergeladen worden. Der schnelle Aufstieg gelang durch die Einverleibung der US-App Musical.ly im August 2018 und nachfolgend starkes Wachstum, dieses Jahr speziell durch die Coronavirus-Pandemie genährt. Alleine im ersten Quartal des Jahres ist die TikTok-App 315 Millionen mal heruntergeladen worden.

Vorwürfen, Postings der Demokratiebewegung aus Hongkong unterdrückt zu haben, entgegnete ByteDance bereits mit dem Argument, TikTok sei ein Ort der Unterhaltung, nicht für politische Inhalte. Mit Inkrafttreten des neuen "Sicherheitsgesetzes" hat ByteDance TikTok aus Hongkong zurückgezogen.

(ds)