Tödlicher Titanic-Tauchgang: Familie eines Opfers fordert 50 Millionen Dollar

Auf dem Weg zur Titanic implodierte im Sommer 2023 das Kohlefaser-Tauchboot Titan. Der Nachlass eines Besatzungsmitglieds verklagt jetzt den Betreiber.​

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Titan unter Wsser

Die Titan bei einem früheren Tauchgang

(Bild: OceanGate)

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"Ab einem gewissen Punkt ist Sicherheit nur noch Verschwendung." So zitiert eine Klage auf 50 Millionen US-Dollar den verblichenen Stockton Rush, Mitgründer und Chef der Firma Oceangate. Unter Rushs Leitung baute Oceangate das Tauchboot Titan, für Besichtigungsfahrten zum Wrack der Titanic. Es soll das bislang einzige Kohlefaser-Tauchboot gewesen sein. Am 18. Juni 2023 implodierte die Titan bei einer solchen Tauchfahrt zur Titanic, die fünf Menschen an Bord starben, darunter Rush selbst sowie das französische Besatzungsmitglied Paul-Henri Nargeolet. Dessen Nachlass verklagt nun Oceangate, Rushs Nachlass und weitere Beteiligte auf Schadenersatz. Die Klage erhebt schwere Vorwürfe grober Fahrlässigkeit durch untaugliche Konstruktion und Verzicht auf übliche Sicherheitsvorkehrungen.

Nargeolet war ein Titanic-Fan und Mitarbeiter Oceangates. Schon vor seiner Zeit bei Oceangate machte er sich als Titanic-Taucher und -Experte einen Namen. Der Mann war laut der heise online vorliegenden Klageschrift allerdings kein U-Boot-Experte; er habe unwahren Darstellungen Rushs über die angebliche Sicherheit der Titan vertraut. Beispielsweise soll der Oceangate-Chef behauptet haben, Titan sei in Kooperation mit Boeing und einer Universität entwickelt worden, was diese in Abrede stellen. Tatsächlich hat Oceangate die Kohlenstofffaser laut Klage bei einem Abverkauf Boeings stark rabattiert erstanden, weil das für den Einsatz in Luftfahrzeugen gesetzte Haltbarkeitsdatum überschritten war.

Im Inneren der Titan habe es nur einen einzigen Bedienknopf gegeben, für die Stromzufuhr. Alles andere sei über Touchscreens und einen für Spielekonsolen entwickelter Controller abgewickelt worden, allesamt verbunden via Bluetooth. Diese Installationen soll Oceangate von unerfahrenen Studenten der Universität im Rahmen von Praktika entwerfen und bauen haben lassen.

Das einzige, kleine Fenster sei laut Unterlagen aus dem Jahr 2018 aus Plexiglas gewesen, das nur für 1.300 Meter Tiefe zugelassen war. Die Titanic liegt in etwa 3.800 Metern Tiefe. Dort herrscht enormer Wasserdruck. Die Dokumente würden zudem belegen, dass Oceangate auf taugliches Material verzichtet habe, um Geld zu sparen.

Ebenfalls 2018 habe der Sicherheitsverantwortliche der Firma einen detaillierten Bericht über mögliche Designmangel verfasst und einen Scan des gesamten Rumpfes empfohlen. Firmenchef Rush habe das abgelehnt und dem Mitarbeiter gekündigt. Auch Warnungen anderer Experten habe Rush in den Wind geschlagen. Sie hielten den Rumpf aus Kohlefaser und die Verbindungen zu Bauteilen aus anderen Materialien für untauglich. Titanium wäre wohl tauglicher, aber deutlich teurer gewesen.

Rush baute laut den Schilderungen eine Anlage ein, die Knistergeräusche des Rumpfes erkennen und dann die Besatzung warnen sollte. Das stellte er als innovatives Sicherheitssystem dar. Tatsächlich kann solches Knistern Anzeichen fatalen Materialversagens sein. Eine unabhängige Zertifizierung des U-Boots gab es nicht.

Vor der tödlichen Tauchfahrt am 18. Juni 2023 hätten alle Teilnehmer eine Erklärung unterschrieben, wonach sie auf etwaige Schadenersatzansprüche verzichten, zumal es sich um eine Fahrt in einem experimentellen, nicht unabhängig geprüften Fahrzeug handle, und die Teilnahme zum Tod führen könne. Diese Verzichtserklärung ist eine juristische Hürde für die Klage. Wenig überraschend beschreiben die Anwälte die Erklärung für unwirksam, weil Oceangate relevante Fakten nicht offengelegt habe, weil Rush Nargeolet angelogen habe und weil Oceangate grob fahrlässig gehandelt habe.

Nach 90 Minuten Fahrt, in 3.500 Metern Tiefe, habe die Titan ihren Ballast abgeworfen, führt die Klage aus. Das zeige, dass die Fahrt zur Titanic abgebrochen wurde und das U-Boot hätte auftauchen sollte. Das klappte nicht. Kurz darauf brach die Verbindung zu Titan ab, das Tauchboot implodierte. An Bord waren fünf Menschen, die keine Chance hatten: Der Pakistani Shahzada Dawood, sein Sohn Suleman Dawood, der Brite Hamish Harding, Rush und Nargeolet. Die Trümmer der Titan liegen auf dem Meeresboden, unweit der Titanic.

Die Klage stützt sich in erster Linie auf Seerecht und begehrt ein Geschworenenverfahren. Neben Oceangate und Rushs Nachlass sind beklagt der ehemalige Entwicklungschef Oceangates, zwei Firmen, die am Bau des Kohlenstoff-Rumpfes beteiligt waren, sowie der Lieferant des Plexiglassfensters. Die juristischen Vorwürfe lauten unter andrem rechtswidrige Tötung, Fahrlässigkeit, grobe Fahrlässigkeit, Betrieb eines nicht seetüchtigen Wasserfahrzeugs und Produktmängel. Gefordert wird Schadenersatz für Schmerzen und mentale Qualen, der Verlust finanzieller und anderer Unterstützung für die hinterbliebene Gattin und die drei Kinder des Paares, Nachlassschmälerung, Begräbniskosten, Strafschadenersatz und Zinsen.

Die Klage heißt The Estate of Paul-Henri Louis Emile Nargeolet v Oceangate et al und ist im US-Bundesstaat Washington am Kings County Superior Court unter dem Az. 24-2-17739-6 anhängig. "Unsere (Klage) behauptet, dass Stockton Rush gegenüber der Besatzung und den Passagieren einfach nicht offen war, was die Gefahren anbelangt, die er und andere kannten, die Passagiere und Besatzung aber nicht", fasst Matt Shaffer, einer der beiden Anwälte des Klägers, zusammen. Hätte Nargeolet Bescheid gewusst, wäre er nicht in die Titan eingestiegen. Die Beklagten haben sich noch nicht geäußert.

(ds)