US Supreme Court: Texas’ Gesetz gegen Zensur ist Zensur

Seite 3: Die Anweisungen des Supreme Court

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Die Höchstrichter erachten es für notwendig, genauere Ausführungen zu machen, an die sich die untergeordneten Gerichte gefälligst zu halten haben. "Der erste Schritt einer ordentlichen Analyse (einer Anfechtung der Gesetze an sich) ist, die Reichweite der Gesetze zu bestimmen", erklärt der SCOTUS die Hausaufgabe, "Welche Tätigkeiten welcher Akteure verbieten oder regeln die Gesetze?"

Bei Sozialen Netzen gehe es nicht nur um die im Verfahren erörterte Zensur öffentlicher Postings, sondern auch um etwaige Auswirkungen auf Livestreams sowie nicht öffentliche Mitteilungen zwischen Nutzern. Über Soziale Netze hinaus muss erhoben werden, wie sich die Gesetz auf (Spam)Filter bei E-Mail, Rezensionen in Online-Shops, Online-Geldüberweisungen zwischen Freunden oder Fahrtenvermittlungsplattformen wie Uber und Lyft auswirken würden. Das seien nur Beispiele, unterstreicht der SCOTUS, zumal es laufend neue Online-Anwendungen gibt, die erfasst sein könnten.

Erst danach sei zu prüfen, welche dieser Auswirkungen die Redefreiheit verletzen. Die Gesetze enthalten auch Bestimmungen, wonach Online-Betreiber jedes Mal eine individuelle Begründung liefern müssen, wenn sie einen Beitrag sperren, eine Anmerkung hinzufügen, keine finanzielle Belohnung ausschütten oder einen Beitrag nicht hervorheben. So eine Pflicht könnte verfassungswidrig weil zu aufwändig sein, was ebenfalls von den untergeordneten Gerichten zu erheben sei.

Ausdrücklich dem Bundesberufungsgericht für den Fünften Bundesgerichtsbezirk (Fifth Circuit) erteilen die Höchstrichter eine ausführliche Lehrstunde zur Redefreiheit. Sie verweisen auf mehrere frühere Entscheidungen, wonach private Betreiber öffentlicher Foren das Recht haben, zu entscheiden, was dort wiedergegeben wird und was nicht. Zeitungen können demnach nicht gezwungen werden, die Meinung eines bestimmten Politikers zu präsentieren, Kabelnetzbetreiber können nicht zur Übertragung bestimmter TV-Sender verpflichtet werden, und Organisatoren von Paraden sind nicht dazu verpflichtet, homosexuelle Teilnehmer zuzulassen.

Entsprechend dürfen auch Betreiber von Online-Diensten entscheiden, was sie wie anzeigen und was nicht, selbst wenn die Beiträge selbst von Dritten stammen. Denn diese Auswahlentscheidungen seien für sich genommen Ausdruck einer Meinung, selbst wenn nur ganz wenige Beiträge gesperrt würden. Der Betreiber bringe dann eben zum Ausdruck, welche Inhalte er ablehne. Das Argument Texas’, die in öffentlichen Foren verbreiteten Meinung besser ausbalancieren zu wollen, sei vielleicht über Wettbewerbsrecht zu erreichen, doch dürfe der Staat Private nicht dazu zwingen, bestimmte Äußerungen häufiger oder seltener zu verbreiten: "Texas is not likely to succeed in enforcing its law against the platforms’ (...) content-moderation (...)".

Der Fifth Circuit war einst für bahnbrechende Entscheidungen für Bürgerrechte bekannt, doch inzwischen eilt ihm der Ruf voraus, besonders republikanisch ideologisiert zu sein. Der Supreme Court, selbst republikanisch dominiert, hat in jüngerer Zeit ungewöhnlich viele Entscheidungen aus dem Fifth Circuit umgedreht, am Montag kam eine weitere hinzu.

Die Verfahren vor dem US Supreme Court heißen Moody v Netchoice (Az. 22-277 bezüglich Florida) respektive Netchoice v Paxton (Az. 22-555 bezüglich Texas). Alle neun Höchstrichter unterstützen die Zurückverweisung an die unteren Instanzen. Drei der Richter führen allerdings teilweise abweichende Begründungen aus.

(ds)