Ukraine-Krieg: Küstenkommunen und Verbände warnen vor Erdgasförderung

In der Nordsee zwischen den Niederlanden und Deutschland könnte ein Erdgasfeld erschlossen werden. Kommunen und Verbände sehen große Gefahren.

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Eemshaven in den Niederlanden

(Bild: Sander van der Werf/ Shutterstock.com)

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Die Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste (SDN) fürchtet angesichts der Pläne zur Erdgasförderung vor Borkum eine zunehmende Industrialisierung auf See und erhebliche Umwelt- und Klimaschäden. Auch die Schifffahrt könne negativ beeinflusst werden und Havarien schwerwiegendere Folgen haben. Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) und der Vorstandschef des niederländischen Unternehmens One-Dyas, Chris de Ruyter van Steveninck, könnten trotzdem noch am Mittwoch konkrete Pläne zu einer Förderung von Erdgas zwischen der deutschen Nordseeinsel Borkum und der niederländischen Inseln Schiermonnikoog verkünden.

Unter anderem an Borkum führt eine viel befahrene Fahrrinne vorbei, die in das niederländische Eemshaven führt. Diese wurde in den vergangenen Jahren für die Anlandung von größeren Schiffen bereits vertieft. Offshore-Windparks sind aber auch in der unmittelbaren Nähe. Zwischen den Inseln Schiermonnikoog und Borkum wurde 2017 ein Erdgasfeld entdeckt, das seitdem für Diskussionen sorgt. Das Gebiet liegt nahe des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer.

Dass die Gefahr von Unfällen in solch einer Umgebung fatal sein könnte, sei erst im Januar deutlich geworden, als der Frachter "Julietta D" vor der niederländischen Küste bei Ijmuiden nach einer Havarie in einen Offshore-Windpark trieb, so Gerd-Christian Wagner, Vorsitzender der Schutzgemeinschaft und Bürgermeister von Varel (SPD; Kreis Friesland). "Es ist einfach an der Zeit, nachhaltig umzudenken und nach wirklichen Lösungen zu suchen", erklärte er. Statt die Erdgasförderung vor Borkum zu erlauben, plädiert die Schutzgemeinschaft für einen stärken Ausbau erneuerbarer Energien und spricht sich auch für mehr Konzepte zur Energieeinsparung aus. Eine neue Förderung von fossilen Energien könne nicht der Ausweg aus der Energiekrise sein.

Wagner versuchte auch deutlich zu machen, was eine Genehmigung der Erdgasförderung unter den aktuellen Bedingungen noch zur Folge haben könnte. Sei diese Förderung erst einmal erlaubt, könnte dies ein Dammbruch für weitere Vorhaben sein. Es bestünde die große Gefahr, dass weitere künstliche Förderinseln oder Pipeline- und Kabelverlegungen – etwa auch für Ölförderungen – umgesetzt würden, jeweils mit Hinweis auf den Ukraine-Krieg. "Es bestünde einfach die große Gefahr, dass die Küstennatur – aus jeweils aktuell vorgetragenem 'gutem Grund' – noch mehr zum Industriegebiet mit all seinen negativen Folgen verändert würde", so der SDN-Vorsitzende.

Auch in Hinblick auf geplante LNG-Terminals in Wilhelmshaven, Brunsbüttel und Stade meldete sich Wagner für die Schutzgemeinschaft in einer Pressemitteilung zu Wort. Es ergebe keinen Sinn, trotz Klimaveränderungen weiter auf fossile Energien zu setzen oder sich von einzelnen Lieferländern erneut abhängig zu machen. Die angespannte Lage auf dem Energiemarkt dürfe nicht "als Anlass für erneute Umweltignoranz herhalten". In Sachen Erdgas müsse auch die große Freisetzung von Methan beachtet werden.

Zur Schutzgemeinschaft gehören laut eigener Angaben rund 200 Mitglieder. Dazu zählen viele Küstenkommunen, Naturschutzvereine, Einzelvertreter und Verbände, die das Wattenmeer und seine Küsten schützen möchten, das "Gebiet aber auch als Wirtschafts- und Lebensraum" des Menschen ansehen, "der gesichert und gestaltet werden muss".

Die rot-schwarze Landesregierung von Niedersachsen könnte ihre Meinung aber bereits geändert haben. Sie hatte sich im vergangenen Sommer zunächst gegen das Vorhaben positioniert. Angesichts der Unsicherheiten bei der Energieversorgung durch den Krieg in der Ukraine rückte sie aber von dieser Position ab und sprach sich für eine Neubewertung aus. Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann und der Vorstandschef des niederländischen Unternehmens One-Dyas, Chris de Ruyter van Steveninck, wollen dementsprechend an diesem Mittwoch in Hannover über das Gasförder-Vorhaben in der Nordsee informieren. In den vergangenen Wochen hatten Gespräche dazu zwischen dem Unternehmen und der Landesregierung stattgefunden.

Um das Erdgas zwischen den Inseln Schiermonnikoog und Borkum zu fördern, könnte eine Plattform auf See errichtet werden. Mit weiterem Widerstand könnte aber zu rechnen sein. Schon das erst 2015 in Betrieb gegangene niederländische Kohlekraftwerk in Eemshaven von RWE sorgte in der Region in den vergangenen Jahren für viele Proteste und politischen Streit. Es ist heute der größte Luftverschmutzer der Niederlande und unter anderem von Borkum aus gut zu sehen – auch dort hatte sich Protest formiert.

[Update, 21.04.2022, 11:45 Uhr] Wirtschaftsminister Bernd Althusmann hat die Erdgasförderung vor Borkum befürwortet. Bevor die Förderung beginnen könnte, muss aber noch ein Planfeststellungsverfahren mit Umweltverträglichkeitsprüfung und Öffentlichkeitsbeteiligung durchlaufen werden. Unter anderem der BUND Niedersachsen kommentierte die Entscheidung ablehnend. Susanne Gerstner, Geschäftsführerin des BUND Niedersachsen, erklärte: "Neue Bohrungen schaffen Fakten für die nächsten Jahrzehnte. Hinzu kommt, dass neue Erdgasfördervorhaben keinen Beitrag leisten werden, eine akute Energieversorgungskrise zu lösen. Planung und Bauphase werden Jahre dauern und die potenziellen Fördermengen sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein." Neue Fördervorhaben würden durch lange Laufzeiten sogar "die dringend notwendige Energiewende bremsen". [/Update]

(kbe)