Urheberrecht: Keine Gnade für Omas Fototapete beim Landgericht Köln

Seite 2: Köln kritisiert Gesetzgeber

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Darauf wollten die Kölner Richter nicht warten. Auf rund drei Dutzend Seiten erklärt die Kammer in ihren Urteilsbegründungen, dass sie den Düsseldorfer (und Stuttgarter) Entscheidungen nicht folgt und an der Rechtsprechung ihres ersten bekannt gewordenen Foto-von-Fototapeten-Falles festhält. In den Urteilsbegründungen klingt leise Kritik am Gesetzgeber durch: "Kern der hiesigen Problematik (ist) das Fehlen einer passenden Schrankenregelung".

Das ist nicht falsch; zumindest hat der Gesetzgeber es verabsäumt, auf die 2014 ergangene Möbelkatalog-Entscheidung des BGH zu reagieren, die die Schranke für "unwesentliche Beiwerke" in Fotos so eng auslegt, dass sie kaum noch etwas bewirkt. Dabei ist das Problem keineswegs auf Tapeten beschränkt. Auch andere Gegenstände, die im Hintergrund online gestellter Fotos auftauchen, sind häufig urheberrechtsbeschwert. Ob sich im Bild nun eine verblassende Fototapete, ein schicker Radioempfänger oder eine bunte Vase verstecken, macht immaterialgüterrechtlich keinen Unterschied.

Nicht geprüft hat das LG Köln den Widerspruch seiner Auslegung deutschen Urheberrechts zu Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Der verbrieft das Recht auf freie Meinungsäußerung. Im Unterschied zum Gemälde der Möbelkatalog-Entscheidung kann eine Tapete nicht zerstörungsfrei von der Wand genommen werden. In so einem Fall führt die enge Auslegung der Beiwerk-Ausnahme schnell dazu, dass bildliche Äußerungen im Internet unterdrückt werden. Allerdings lassen die Kölner Urteilsbegründungen vermuten, dass die Beklagten nicht mit der EMRK argumentiert haben.

Immerhin eine Schranke zieht die Kölner Kammer: Die vierstelligen Schadensersatzforderungen des Fototapeten-Fotografen stutzt sie auf 100 Euro (Enkelin) beziehungsweise 200 Euro (Malermeister) pro Bild zurück. Diese Beträge verdoppelt sie dann allerdings "wegen fehlender Urheberbenennung".

In Fachkreisen wurde schon die erste bekannt gewordene Foto-von-Fototapete-Entscheidung des LG Köln (Az. 14 O 350/21) kritisiert, speziell die zu enge Auslegung der Ausnahme für unwesentliches Beiwerk. Jurist Markus Wypchol hat eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) angeregt. Das lehnt die Kölner Kammer ausdrücklich ab: Weil die Foto-von-Fototapete-Frage inzwischen beim Bundesgerichtshof anhängig ist, sei es Aufgabe des BGH, nicht des LG, gegebenenfalls den EuGH zu befassen.

Gleichzeitig aber meinen die Kölner Richter, dass ihre Fälle anders gelagert seien, als die beim BGH anhängigen. Denn in den Düsseldorfer Prozessen seien die Käufer der Fototapeten beklagt, in den aktuellen Kölner Fällen jedoch Dritte (die Enkelin respektive Tapezierer). Juristisch macht das in der Tat einen Unterschied, wenn man nur im Konzept urheberrechtlicher Lizenzen denkt. Denn dann müsste man zum konkludenten Lizenzerwerb beim Fototapetenkauf auch noch den konkludenten Erwerb des Rechts zur Unterlizenzierung an Dritte hinzudenken, um Enkelinnen oder Tapezierern zu schützen. Im Lichte der Urteile aus Düsseldorf und Stuttgart erweckt diese Differenzierung jedoch den Eindruck, als bauten die Kölner Richter einer BGH-Entscheidung gegen den Fototapetenfotografen vor. Das OLG Köln könnte dann vielleicht immer noch meinen, die BGH-Entscheidung sei auf seine Fototapeten-Konstellation gar nicht anwendbar.

Weil die Kölner Richter mit ihren Urteilen nicht zuwarten, bis der BGH entschieden hat, zwingen sie die Betroffenen, das Urteil zu schlucken oder eine Berufung zu riskieren. Bleibt der Gang in die zweite Instanz ohne Erfolg, kostet das weitere tausende Euro. Die Enkelin hat heise online verraten, dass sie bis jetzt etwa 4.500 Euro zahlen müsste: 200 Euro Schadensersatz, der Rest für die Abmahnung, Anwälte und Gericht. Weitere 900 Euro kommen nun alleine für die Erhebung der Berufung hinzu; verliert die Enkelin erneut, erwartet sie insgesamt etwa 8.500 Euro Unkosten – für eine vor zwölf Jahren legal für 22 Euro erworbene Fototapete. "Abgezockt", fühlt sie sich. Bei den Malermeistern sind die Streitwerte und damit auch die Kosten höher.

Dass das LG Köln bereits mindestens vier ähnliche Klagen zu entscheiden hatte, ist kein Wunder: In Deutschland dürfen Kläger, die eine Verletzung ihrer Immaterialgüterrechte im Internet behaupten, sich frei aussuchen, welches Gericht sie anrufen. Und das LG Köln hat sich für Klagen von Fototapeten-Fotografen einen Namen gemacht.

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(ds)