Urheberrechtsreform: Wenn der Nutzer im Kampf gegen Filter als Täter haftet

Die geplante Klausel für freie Inhalte-Schnipsel auf Online-Plattformen und der Pre-Flagging-Ansatz enthalten Fallstricke, zeigte eine Bundestagsanhörung.

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(Bild: Blackboard/Shutterstock.com)

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Das Konzept der "mutmaßlich erlaubten Nutzungen" auf Plattformen wie Facebook und YouTube im Urheberrecht, mit dem laut der Bundesregierung als erlaubt gekennzeichnete Inhalte im geringfügigen Maß nicht schon vorsorglich durch Upload-Filter blockiert werden dürfen, könnte Anwender in die Bredouille bringen. Der Nutzer hafte dabei teils als Täter, gab Christian-Henner Hentsch von der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht am Montag bei einer Anhörung im Bundestag zu bedenken.

Niemand sollte auf Basis der im Rahmen der laufenden Urheberrechtsreform vorgesehenen Klausel leichtfertig hochgeladene Inhalte als legal kennzeichnen ("flaggen"), mahnte Hentsch. Nutzer müssten zunächst abklären, ob sie mit einem Upload tatsächlich unter die vorgesehenen Bagatellausnahmen vom exklusiven Verwertungsrecht für geringfügige Nutzungen von Schnipseln aus Video-, Audio- und Textmaterial für nicht-kommerzielle Zwecke fielen. Hentsch empfahl, besser auf "Trusted Flagger" über vertrauenswürdige Organisationen wie die Verbraucherzentralen zu setzen. Dies plane die EU-Kommission auch mit dem Entwurf für einen Digital Services Act.

Die Klausel umfasst laut dem Gesetzentwurf der Bundesregierung 15 Sekunden je eines Filmwerks oder Laufbilds und einer Tonspur, 160 Zeichen eines Texts sowie 125 Kilobyte eines Fotos oder einer Grafik. Rechteinhaber erhalten dem Plan zufolge parallel einen "Roten Knopf" zum unverzüglichen Blockieren insbesondere von "Premiuminhalten". Damit soll der Schaden in Grenzen gehalten werden, wenn ein Nutzer fälschlicherweise behauptet, dass ein Upload rechtlich zulässig sei.

Wenn ein Verwerter den "Red Button" unberechtigt drücke, "gibt es auch Sanktionen", warnte Hentsch ebenfalls vor einem unbedachten Einsatz dieses Instruments. Dieses sollte prinzipiell nicht nur für klassische Urheberrechtsverstöße etwa bei Live-Übertragungen dienen, sondern auch im Kampf gegen die Verletzung von Persönlichkeitsrechten etwa von Künstlern, die gegen das Abspielen ihrer Songs auf Parteiveranstaltungen seien und nicht politisch vereinnahmt werden wollten. "Upload-Filter per se sind nicht böse", meinte Hentsch generell. Ein Overblocking müsse aber verhindert werden, weswegen am Schluss des Entscheidungsprozesses eine natürliche Person sitzen sollte.

Das Haftungsregime müsse klargestellt werden, forderte Sabine Frank, Regulierungsleiterin von Google Deutschland, noch "Finetuning". Bei einem "Pre-Flagging" von Uploads durch Nutzer müssten die Plattformbetreiber derzeit als Richter fungieren und binnen sieben Tagen entscheiden, ob es sich tatsächlich um eine legale Kombination von Schnipseln geschützter Werke gehe. Dabei wisse etwa neben Maschinen auch "kein Mensch", was ein künftig wie Zitate und Parodien frei nutzbares Pastiche sei. Sollte ein Rechteinhaber später eine Schadensersatzforderung erheben, müsste YouTube gegebenenfalls zahlen. Dies lese sich wie ein "struktureller Anreiz, im Zweifel gegen die Nutzer zu entscheiden" und großzügig zu sperren.

Auch der Kölner Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Dieter Frey, sah hier die Gefahr des Overblocking. Zunächst hafteten die Diensteanbieter sogar strafrechtlich als Täter, nicht mehr nur als Störer wie bisher. Durch ein enges Pflichtenkorsett könnten sie dieses scharfe Schwert aber abmildern. So gebe es weiter die Möglichkeit, Inhalte "per Notice and Takedown" auf Zuruf individuell zu blockieren. Diese Karte könnten etwa auch Musiker ziehen, wenn sie einen Song nicht von einer Partei entstellt sehen wollten.

Auf nächster Ebene komme das brenzligere automatisierte Verfahren mit Filtertechnologien, erläuterte Frey. Der Ansatz für die mutmaßlich erlaubten Nutzungen sei hier im Kern vernünftig. Auch nach der Wochenfrist zum Einschätzen als legal markierter Inhalte sieht der Jurist hier Betreiber aber nicht schadenersatzpflichtig, da dann wieder die Störerhaftung greifen dürfte. Die Stellschrauben müssten aber noch etwas gedreht werden, um einen verhältnismäßigen Interessenausgleich etwa auch mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit zu erreichen.

"Wenn sie nicht gegen das Urheberrecht verstoßen, müssen Inhalte frei ausgetauscht werden können", hieb Julia Reda von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) in die gleiche Kerbe. Wer die Bagatellausnahmen weiter schwächen wolle, "steuert geradewegs in die Europarechtswidrigkeit". Ein Flagging müsste aber für alle legalen Inhalte möglich sein, nicht nur für Kombinationen von Auszügen zu den Zwecken von Zitat, Karikatur, Parodie und Pastiche mit anderen Werken.

Der Gesetzgeber sollte zudem noch eine Lücke bei Maßnahmen gegen Missbrauch schließen, empfahl die Ex-EU-Abgeordnete. Derzeit könnten Dritte etwa Livestreams von Demonstrationen gezielt unterbinden, indem sie geschützte Musik abspielten im Hintergrund und so Upload-Filter aktivierten. Dagegen könne ein Nutzer derzeit nicht vorgehen, sodass stärkere Schutzvorkehrungen zwingend seien.

"Strategisches Overblocking" müsse verhindert werden, betonte auch die Bonner Informationsrechtlerin Louisa Specht-Riemenschneider. Nutzer sollten wissen, ob ein Inhalt etwa aufgrund der Geschäftsbedingungen einer Plattform oder aufgrund der nicht greifenden Bagatellgrenze blockiert werde. Ein bereits vorgesehener Auskunftsanspruch sollte daher entsprechend erweitert werden. Auch die Anforderungen an den "Roten Knopf" müssten erhöht werden. Karikaturen, Parodien und Zitate dürften zudem nicht vergütungspflichtig werden, da sie elementar seien zum Ausüben wesentlicher Grundrechte.

Als "verfassungsrechtlich sehr problematisch" stufte dagegen der Berliner Staatsrechtler Christoph Möllers die geplanten freien Schnipsel ein. Schon eine "5-Sekunden-Nutzung" eines Lieds könnte einen ungerechtfertigten Eingriff in die Grundrechte der Verwerter darstellen. Formelle quantitative Vorgaben an diesem Punkt sollte es daher nicht geben. Für einen grundlegenderen Ansatz plädierte der Erfurter Rechtsanwalt Sascha Schlösser: Ihm zufolge bräuchte es eine umfassendere Reform, "damit es auch der Influencer versteht". Sich über Upload-Filter "die Zensur ins Haus" zu holen sei fragwürdig und unnötig etwa angesichts verfügbarer "Legal-Tech-Lösungen", mit denen Fotografen ihre Rechte einfach gegenüber Agenturen und Plattformen durchsetzen könnten.

Auf ein breites Für und Wider stießen auch der vorgesehene Direktvergütungsanspruch für Urheber, die bei bestehenden Verträgen zwischen Rechteverwertern sowie YouTube & Co. oft außen vor bleiben, sowie die vom Bundesrat gewünschte Norm für die Online-Ausleihe von E-Books ("E-Lending"). Eine Lanze für das neue Leistungsschutzrecht für Presseverleger brach Eduard Hüffer. Der Geschäftsführer der Westfälischen Nachrichten drängte darauf, dass die von Suchmaschinen lizenzfrei nutzbaren "einzelnen Worte und sehr kurze Auszüge" sich allein auf Textinhalte beziehen dürften, nicht auf Grafiken oder Audio- und Videobeiträge. Frank von Google verlangte: Überschriften und Snippets von einer Länge bis zu 200 Zeichen sollten vom Schutzbereich ausgenommen werden.

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