Verfassungsgericht: Hochrangige Besprechung zur Informationsfreiheit ist geheim

FragDenStaat verklagt das Bundesverfassungsgericht, weil es Unterlagen zu einem Austausch mit dem Menschengerichtshof über Akteneinsicht nicht herausgeben will.

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(Bild: Shutterstock)

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Das Verwaltungsgericht Karlsruhe muss sich mit einer heiklen Frage zur Informationsfreiheit in Deutschland beschäftigen. Das Transparenzprojekt FragDenStaat hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) dort verklagt, weil letzteres Dokumente zu einer hochrangigen Besprechung mit einer Delegation des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) am 19. Juni 2023 in Karlsruhe nicht herausrücken will. Eines der Hauptthemen dabei: Informationszugangsrechte.

Die sich darum kümmernde zivilgesellschaftliche Organisation wollte wissen, was das höchste deutsche Gericht dazu mit den Straßburger Kollegen erörtert hat. FragDenStaat stellte daher eine Anfrage auf Akteneinsicht nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) des Bundes. Doch das Bundesverfassungsgericht hält die begehrten Unterlagen wie Protokolle, Handouts und sonstigen Materialien des Gipfeltreffens aus verschiedenen Gründen für besonders schutzwürdig.

Die Arbeitssitzung des Austauschs zur Informationsfreiheit fand unter der Leitung des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth (CDU), statt, mit Einführungen von Heinrich Amadeus Wolff von Seiten der Karlsruher Institution und Branko Lubarda vom EGMR. Das ist aus dem Programm und der Tagesordnung des Treffens ersichtlich, die das BVerfG als einzige Dokumente dazu auf die IFG-Anfrage hin übersandte. Das Manuskript des Vortrags von Wolff, das im Zentrum der sich inzwischen schon fast über ein Jahr hinziehenden Auseinandersetzung steht, war nicht dabei.

FragDenStaat hält Transparenz in dieser Sache beim BVerfG nicht nur für eine Kür, sondern für eine Pflicht. Was beide Seiten bei dem Fachgespräch diskutiert haben, sei besonders wichtig, weil der EGMR die Instanz über dem Bundesverfassungsgericht ist. Wer mit einer Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe keinen Erfolg habe, könne mit einer Menschenrechtsbeschwerde nach Straßburg gehen. Der EGMR überwacht die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention in 47 Staaten. Dazu zählt auch das Recht auf Informationsfreiheit. In seiner bisherigen Rechtsprechung zeigte sich der EGMR vergleichsweise offen dafür.

Das Verfassungsgericht hält mit Verweis auf die eigene Rechtsprechung dagegen: Der Bundesregierung stehe für ihre exekutive Tätigkeit ein unantastbarer Kernbereich zu, der einen grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich einschließe. Dieser Schutz setze sogar dem parlamentarischen Auskunftsrecht Grenzen und sei folglich erst recht bei IFG-Ersuchen zu beachten, handle es sich dabei doch "lediglich um eine einfachgesetzliche Maßnahme zur Förderung von in der Verfassung verankerten Prinzipien". Derlei Grundsätze müssten auch auf die Verwaltungstätigkeit des Bundesverfassungsgerichts übertragen werden.

Die im Rahmen der Fachgespräche entstandenen Dokumente genössen "besondere Vertraulichkeit", heißt es weiter aus Karlsruhe. Ein zusätzlicher Verweigerungsgrund nach dem IFG bestehe, wenn internationale Verhandlungen beeinträchtigt werden könnten. Gerade ein Vortragsmanuskript gebe ferner die Meinung des Verfassers eindeutig wieder. Andererseits seien die Niederschriften vorläufigen und unverbindlichen Charakters gewesen und hätten nur den Dolmetschern als vorbereitende Stütze gedient.

Die Unterredungen dienten laut dem BVerfG dem innerhalb des europäischen Verfassungsgerichtsverbunds zwingend notwendigen fachlichen Austausch über die Gewährleistung des Grundrechtsschutzes. Der bewusst gewählte nichtöffentliche Rahmen habe die dafür erforderliche offene Gesprächsatmosphäre erst ermöglicht und dürfe nicht durch eine nachträgliche Herausgabe von Unterlagen unterlaufen werden. Letztere scheide auch aufgrund des Erstveröffentlichungsrechts des Urhebers aus.

FragdenStaat rief zunächst den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI), Ulrich Kelber, als Vermittlungsstelle an. Diesem erschienen die Einwände gegen die ablehnende Entscheidung als "nachvollziehbar". Sein Team wies darauf hin, dass es bei der begehrten Auskunft um amtliche Informationen im Sinne des IFGs gehe und etwa die Notwendigkeit eines Schutzes von besonderen öffentlichen Belangen nicht bestehe. Trotz mehrfacher BfDI-Interventionen blieb das Verfassungsgericht bei seiner Position.

In der Klage argumentiert FragDenStaat nun, für die Rechtsprechung seien keine besonderen Tätigkeitsbereiche genannt, auf die sich das IFG nicht erstrecken solle. Dies gelte auch für die Pflege internationaler Beziehungen und den fachlichen Diskurs innerhalb des Verfassungsgerichtsverbundes. Fachgespräche seien als materielle Verwaltungstätigkeit zu qualifizieren. Bei diskursiven Wortbeiträgen der Gesprächsteilnehmer handle es sich nicht um spruchrichterliche Tätigkeit. Sie dienten dem allgemeinen Erkenntnisgewinn im wechselseitigen Meinungsaustausch auf Grund verschiedener Erläuterungen der Anwesenden zur abstrakten Gesetzesauslegung und Rezeption der Rechtsprechung.

Die vom BVerfG für die Zukunft befürchtete "Flucht in die Mündlichkeit" würde den Klägern zufolge von einer wenig selbstbewussten Richterschaft zeugen und wäre mit dem Bild eines unabhängigen, unparteiischen Richters nur schwer zu vereinbaren. Mit der Übermittlung der Manuskripte an die Dolmetscher und ihre Bekanntmachung gegenüber den Teilnehmern liege eine hinreichend verfestigte Festlegung der Auffassung der Verfasser vor. Ausschlussgründe zum Schutz der Vertraulichkeit bestünden genauso wenig wie aufgrund des Urheberrechts. Die Nutzungsrechte dürften auf den Dienstherren übergegangen sein.

Auf eine Bitte von heise online um Stellungnahme und eine Einschätzung, ob der Fall als Beschwerde letztlich vor dem Bundesverfassungsgericht landen könnte und wie dann dort damit umgegangen würde, erklärte ein Sprecher: Man werde sich zu dem laufenden Verfahren nicht äußern, "zumal die gewünschten Auskünfte nicht vom presserechtlichen Auskunftsanspruch umfasst sind".

(bme)