Vier Jahre Neuer Markt: himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt

Vier Jahre ist er alt und hat schon alle Höhen und Tiefen erlebt: der Neue Markt.

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Von
  • Adolf Ebeling

Gerade mal vier Jahre alt wird er am 10. März 2001 und hat schon alle Höhen und Tiefen erlebt: der Neue Markt. Vor einem Jahr erreichte der Nemax-All-Share-Perfomance-Index seinen Allzeithöchststand von schwindelerregenden 8559 Punkten. Ein grandioses Geburtstagsgeschenk, das die Anleger dem Neuen Markt exakt zu seinem dritten Jahrestag (10. März 2000) machten. Die Euphorie war riesengroß, ein Ende der Hausse schien überhaupt nicht in Sicht. Doch von einem Tag zum andern war es vorbei, die Kurse trudelten gnadenlos nach unten, bis auf den historischen Tiefstand von 1946 Zählern Anfang März dieses Jahres.

Gegründet wurde der Neue Markt 1997 nach dem Vorbild der US-Technologiebörse Nasdaq als "Handelssegment mit hohem Chance-/Risikoprofil" für innovative Wachstumsunternehmen. Zwei Jahren später hatte sich der Neue Markt zur führenden Plattform für Neuemissionen in Europa entwickelt. Eine gut klingende Geschäftsidee reichte zuweilen zur Börsenzulassung aus, schon rissen sich die Anleger buchstäblich darum, eine Aktienneuemission zu erhalten. Überzeichnungen waren eher Regel denn Ausnahme, und nach dem Börsengang schossen die Kurse nur so in die Höhe. Als Spitzenreiter in Sachen Wertsteigerung firmiert der Filmrechtehändler EM.TV, der 1997 als zwölftes Unternehmen am Neuen Markt gelistet wurde. 24 Monate später konnte er phantastische rund 15.000 Prozent Wertsteigerung verzeichnen und erreichte Ende März 2000 einen Börsenwert, der über dem der Lufthansa lag.

Die "Kurse sind jenseits von Gut und Böse" titelte der Spiegel. Zu Recht. Denn alsbald kamen Hiobsbotschaften in Form von Gewinneinbrüchen. Sie betrafen nicht nur die kleinen Werte, sondern auch Schwergewichte wie EM.TV, Mobilcom (als erste Neue-Markt-Firma 1997 gelistet) und Intershop. Dass zudem die ersten Pleiten zu verzeichnen waren, ließ Stimmung und Kurse noch tiefer sinken. Unrühmlich machten Teamwork und Gigabell auf sich aufmerksam. Bei ihnen gingen Konkursverwalter ein und aus, während bei Metabox und Infomatec die Staatsanwaltschaft wegen Kursbetrugs und verbotenem Insiderhandel ermittelt.

Doch nicht allein die kriminelle Energie einiger Weniger hat den Neuen Markt in Verruf gebracht, viele andere Schuldige lassen sich ausmachen, allesamt verantwortlich für die ungeheure Geldvernichtung am deutschen Wachstumsmarkt: eine leichtfertige Börse, unfähige Manager, interessengebundene Bank-Analysten, und – nicht zu vergessenen – blind-gierige Anleger.

Nun versuchen alle dem Ganzen etwas Positives abzugewinnen. Der Vorstandsprecher der Deutschen Börse AG weist darauf hin, dass sich ihr neues Börsensegment mit den zurzeit 337 notierten Unternehmen geradezu zum Motor für Wachstum und Beschäftigung entwickelt und den Grundstein für eine neuartige Aktienkultur in Deutschland gelegt habe. Andererseits räumt man bei Deutschlands größter Börse Fehler bei der Tauglichkeitsprüfung von Börsenaspiranten ein, die sich durch schärfere Zulassungsbestimmungen zukünftig vermeiden ließen. Unternehmensmanager geloben nunmehr, bei Prognosen realistischer zu werden, während Bankanalysten durch strengere Standesrichtlinien mögliche Interessenkonflikte ausschalten möchten. Last, not least dürfte auch der Anleger in die Pflicht genommen werden, so sollte er sich nicht gleich von jeder Meldung zum Kauf oder Verkauf von Aktien hinreißen lassen, sondern sich Zeit nehmen und selbst nachrecherchieren. Die Möglichkeiten dazu jedenfalls sind im Internet en masse gegeben. (ae)