Vom Forschungslabor ins Startup: Neuromorpher Chip eröffnet neue Möglichkeiten
Die Physikerin Heidemarie Krüger verfolgt ein ambitioniertes Ziel: Die Herstellung neuromorpher Chips, die wie das menschliche Gehirn Informationen verarbeiten.
(Bild: cono0430/Shutterstock.com)
Am Leibniz-Institut für Photonische Technologien und der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitet Heidemarie Krüger an einer Technologie, die Daten direkt am Entstehungsort speichert und verarbeitet. Vorbild dafür ist die Informationsverarbeitung im menschlichen Gehirn. Diese als neuromorph bezeichnete Übermittlungsweise kommt ohne aufwendige und energieintensive Übertragungen zwischen Prozessor und Speicher aus.
Neuromorphe Systeme und neuromorphe Chips orientieren sich an der Art, wie Neuronen und Synapsen im Gehirn Informationen verarbeiten. Sie nutzen ähnliche Prinzipien wie parallele Datenverarbeitung, adaptive Lernprozesse und energieeffiziente Signalübertragung. Ziel ist es, leistungsfähige und energieeffiziente Hardware zu schaffen, die insbesondere in Bereichen wie Künstliche Intelligenz, maschinellem Lernen oder Sensorik einsetzbar ist.
Die Forschung in diesem Bereich wird von Krüger nun über das Start-up Techifab vorangetrieben. Mit ihrem Team entwickelt die Wissenschaftlerin dabei sogenannte Memristor-basierte Bauteile, die sowohl energieeffizient als auch leistungsstark sein sollen. Diese Technologie soll zukünftig in vielen Bereichen Verwendung finden. Als Beispiel nennt Krüger Anwendungen für selbstfahrende Autos oder smarte Industrieanlagen.
Memristoren mit Gedächtnis und Lernfähigkeit
Ein Memristor (Memory Resistor) ist ein elektronisches Bauelement, das nicht nur elektrischen Strom leiten kann, sondern auch seinen Widerstand in Abhängigkeit vom Stromfluss "merkt". Das bedeutet, dass ein Memristor seinen Widerstand speichert, auch wenn der Strom abgeschaltet ist. Dadurch lassen sich Memristoren als Speicher- und Verarbeitungsgerät nutzen. Der Einsatz von Memristoren ist dabei nicht ganz neu. Schon 2015 experimentierte das US-Startup Knowm damit. Allerdings unterscheiden sich die von Knowm eingesetzten Memristoren von denen, die Techifab entwickelt.
Wie der Informationsdienst Wissenschaft berichtet, unterscheidet sich der neuromorphe Chip von Heidemarie Krüger durch diese Memristor-Technologie von traditioneller Speichertechnik. Diese Bauelemente funktionieren wie Synapsen im menschlichen Gehirn: Sie speichern Informationen und verarbeiten sie gleichzeitig. Anders als herkömmliche Computer, die Daten unablässig zwischen Prozessor und Speicher hin- und herschieben, arbeitet diese Technologie direkt vor Ort. Das spart Energie und ermöglicht eine schnelle, dezentrale Datenanalyse.
"Memristoren können mehr als nur '0' und '1' verarbeiten – sie beherrschen auch Zwischenzustände", erklärt Krüger. Diese Fähigkeit erlaubt eine flexible Datenverarbeitung und eröffnet neue Perspektiven für Algorithmen, die neuronale Netzwerke simulieren. Die Einsatzmöglichkeiten reichen von der vorausschauenden Wartung von Maschinen bis hin zu Echtzeitanalysen für sicherheitskritische Anwendungen wie autonomes Fahren.
Zufällige Entdeckung stand am Anfang
Der Ursprung dieser Technologie liegt in einer unerwarteten Beobachtung aus dem Jahr 2011. Während einer Materialanalyse entdeckte Krügers Team eine charakteristische Schleifen-Kurve – ein eindeutiges Merkmal für das Verhalten eines Memristors. Diese Eigenschaft, sich an vorherige Rechenoperationen zu "erinnern", inspirierte das Team dazu, künstliche Synapsen aus einer Kombination von Bismut und Eisenoxid zu entwickeln.
Auf dieser Grundlage entstand die Vision eines funktionsfähigen Chips. Dank einer Förderung durch die Bundesagentur für Sprunginnovationen in Höhe von mehreren Millionen Euro konnte Krüger die Entwicklung vorantreiben. "Unsere künstlichen Synapsen bewältigen komplexe Rechenaufgaben wie Matrixmultiplikationen äußerst effizient", berichtet Krüger. Solche Berechnungen sind essenziell für das Training moderner KI-Systeme und Algorithmen zur Bildverarbeitung.
Videos by heise
In Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Bergakademie Freiberg testet Krügers Team die Technologie bereits in ersten Pilotprojekten unter realen Bedingungen. Dabei hat sich gezeigt, dass der neuromorphe Chip selbst kleinste Veränderungen präzise erkennt und Verschleißmuster zuverlässig vorhersagen kann.
Neue Möglichkeiten für KI-Anwendungen
Während klassische Prozessoren immer mehr Transistoren benötigen, um die steigende Datenmenge zu bewältigen, stoßen herkömmliche Chipdesigns an physikalische und energetische Grenzen. Neuromorphe Systeme, die Speicher- und Recheneinheit kombinieren, senken nicht nur den Energieverbrauch, sondern eröffnen auch neue Möglichkeiten für KI-Anwendungen. "Unser Ziel ist es, nicht nur Daten zu analysieren, sondern auch zu lernen, Muster zu erkennen und flexibel auf neue Situationen zu reagieren – ohne eine ständige Verbindung zu externen Rechenzentren", betont Krüger.
Diese Technologie könnte in Zukunft nicht nur Rechenzentren energieeffizienter machen, sondern auch KI-Systeme mit geringerem Ressourcenverbrauch ermöglichen. Der aktuelle Prototyp verfügt über 32 Memristoren. In der nächsten Entwicklungsstufe soll die Anzahl auf über 200 steigen, um komplexere neuronale Netze abzubilden und autonome Systeme weiter voranzutreiben.
(usz)