Vor der Bundestagswahl: Programm und Positionen der Grünen

Am 24. September steht wieder die Bundestagswahl an und sieben Parteien haben Aussichten, ins Reichstagsgebäude einziehen zu können. Die Grünen setzen vor allem auf ihre angestammten Themen, wollen aber auch bei Digitalisierung und Netzpolitik mitreden.

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Bundestagswahl 2017
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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

"Zukunft wird aus Mut gemacht" ist das Motto des Wahlkampfprogrammes der Grünen in Anlehnung an Nena. Für die Bürger*innen (so die durchgängige Schreibweise der Grünen) gibt es das komplette grüne Programm als barrierefreie PDF-Datei und als e-Book, zum Nachhören als MP3-Datei und als Video in Gebärdensprache. Außerdem gibt es eine Kurzfassung der 248 Seiten des Programmes und eine Zusammenfassung in leichter Sprache.

Ein Zehn-Punkte Plan fürs grüne Regieren und ein Blog zur Netzpolitik runden das Angebot ab. Mit Katrin Göring-Eckhardt und Cem Özdemir verfügen die Grünen über ein Spitzenduo. Mit rund zwei Millionen Euro geben die Grünen ein Drittel des gesamten Wahlkampfbudgets für Online-Werbung aus und haben aus Gründen der Transparenz alle Online-Anzeigen veröffentlicht.

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Vor der Bundestagswahl

Am 24. September ist Bundestagswahl und bis dahin konkurrieren die Parteien vor allem auch mit ihren Wahlprogrammen erneut um die Stimmen der Wähler. Wie schon vor vier Jahren nimmt heise online die Programme der aussichtsreichen Parteien wieder in täglicher Folge bezüglich der Ankündigungen fürs Digitale unter die Lupe:

  1. Positionen von CDU/CSU
  2. Positionen der SPD
  3. Positionen der Linken
  4. Positionen der Grünen
  5. Positionen der FDP
  6. Positionen der AfD

Gleich zu Beginn ihres Wahlprogrammes betonen die Grünen, dass sie eine Regierungsbeteiligung anstreben und dabei eine "soziale und ökologische Modernisierung" Deutschlands erreichen wollen. Diese Formulierung findet sich an vielen Stellen des Wahlprogrammes, auch dort, wo es um das Digitale geht. So sei die "Digitalisierung eine ökologische Chance", die mutig genutzt werden will und im Regierungskabinett "eigenständig vertreten" sein soll. Im Sinne der angestrebten Regierungsbeteiligung verweist das Wahlprogramm häufig auf Erfolge oder Initiativen der Grünen in Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg, gelegentlich auch auf Erfolge grüner Europapolitik oder der Bundespolitik. So enthält das Wahlprogramm mit der Forderung nach einem politischen Asyl für Edward Snowden in Deutschland einen Punkt, den der nicht mehr zur Wahl antretende Grüne Hans-Christian Ströbele bei seiner Arbeit im NSA-Untersuchungsausschuss energisch vertreten hat.

Digitalthemen sind im grünen Wahlprogramm zunächst nur vereinzelt zu finden, treten zum Schluss in den Kapiteln 17 "Wir machen das Internet frei und sicher" und besonders im letzten Kapitel 24 "Wir gestalten die Digitalisierung" aber massiv in den Vordergrund. Mitunter entsteht der Eindruck des Namedroppings, wenn etwa bei der ökologischen Landwirtschaft "Smart Farming" und beim sauberen Strom das "Smart Metering" angeführt wird. Welche Auswirkungen diese IT-Systeme auf den vielfach im Programm betonten Datenschutz haben, wird nicht erwähnt.

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Nur bei dem Projekt "grüner Mobilpass", einer einheitlichen Smartcard oder einer App für alle Verkehrsverbände Deutschlands, findet sich der Passus, dass Menschen weiterhin auch anonyme Tickets erwerben können müssen. In der politischen Diskussion spielt die grüne Forderung, ab 2030 nur noch "abgasfreie Autos" zuzulassen, eine wichtige Rolle. Die technische Realisierung des automobilen Fortschrittes hin zum autonomen Fahren bleibt hingegen überraschend vage, wenn ein "kluger Umgang" mit diesen Fahrzeugen gefordert wird. Die grünen Positionen im Einzelnen:

Die Grünen begreifen sich als die Partei, mit der die ökologisch-soziale Digitalisierung gelingen wird. "Die Digitalisierung trifft auf eine Wirtschaft, in der mit ökologischen Langzeitschäden, Investitions- und Nachfrageschwäche, zu starker Konzentration von Vermögen und zu großem Ressourcenhunger einiges im Argen liegt. Wir wollen Ordnung in dieses System bringen." Diese Ordnung soll aus klaren Regeln, dem Vorgehen gegen Machtkonzentrationen und dem strikten Einhalten von Datenschutzprinzipien bestehen. Keine Firma soll "auf Kosten der Verbraucher*innen, der Umwelt, der Persönlichkeitsrechte oder der Steuerzahler*innen ihre Profite hochschrauben und einen Missbrauchsvorteil ausspielen können." Großunternehmen wie Facebook und Google sollen in die Pflicht genommen werden, ihre Steuern vor Ort zu zahlen. Der gemeinsam von Politik, Unternehmen und der Zivilgesellschaft getragene "digitale Aufbruch" soll vielfältig abgesichert werden, etwa durch zinsfreie Startkredite von 25.000 Euro und das anschließende Crowdfunding von Start-Ups, für die "neue, geeignete Rechtsformen" geschaffen werden sollen. Anschließend sollen sie von einem bundesweiten "One-Stop-Shop" betreut werden, damit sie nicht in die Venture-Fallen großer Firmen wie Google oder Microsoft rutschen.

Zu den Regeln der Digitalisierung soll ein "Recht auf Home Office" als Ergänzung zum festen Arbeitsplatz gehören, mit dem die Arbeit 4.0 in allen Lebensbereichen gefördert wird und der Ausgleich von Arbeit und Freizeit neue Formen annimmt. Eine ökologische Netzpolitik ist dabei nach den Vorstellungen der Grünen gleichzeitig Verkehrspolitik: "Bits und Bytes können Energie und Material nicht nur reduzieren, sondern teilweise auch ganz ersetzen. Videokonferenzen ersetzen Geschäftsreisen, Arbeit im Homeoffice reduziert Pendler*innenströme. Nie zuvor war es so einfach, Dinge über Sharing-Plattformen zu teilen. Das reduziert materiellen Konsum."

Netzwirtschaftspolitisch wollen die Grünen zahlreiche Abkommen wir TTIP und TISA durch einen "Neustart für faire Abkommen" ablösen, Investor-Schiedsgerichte abschaffen und CETA nicht ratifizieren. Der faire Welthandel umfasst bei den Grünen Dinge wie das Recht auf menschenwürdige Arbeit bei der Ausbeutung von Rohstoffen, die Ablehnung von Saatgutpatenten und die Verpflichtung zu ökologischem Design. Auch soll die gesetzliche Mindestgewährleistungspflicht für Smartphones etc. deutlich verlängert und das jeweils stromsparendste Gerät einer Geräteklasse den gesetzlichen Mindeststandard bestimmen. Erwähnenswert ist noch, dass die Grünen herkömmliche Messgrößen wie das Bruttoinlandsprodukt durch einen Jahreswohlstandsbericht und eine Gemeinwohlbilanz ersetzen wollen.

Die Grünen wenden sich gegen die Überwachung im Namen der Sicherheit. "Wir sichern Freiheit" ist hier die programmatische Aussage des Kapitels im Wahlprogramm. "Es ist viel wirksamer, gezielt mit verhältnismäßigen Mitteln einige hundert Personen zu überwachen, die hierfür auch einen hinreichenden Anlass geboten haben, als 80 Millionen Bürgerinnen und Bürger anlasslos mit der Vorratsdatenspeicherung, flächendeckender Videoüberwachung oder automatisierter Gesichtserkennung zu erfassen. Wir lehnen diese jeweils ab." Neben der Ablehnung von Überwachungstechnologien und dem Aufbau einer qualifizierten Polizei auch für die Bekämpfung der Internetkriminalität gibt es konkrete Vorschläge, den Überwachungstaat entgegenzutreten.

So soll das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik unabhängig vom Innenministerium eine eigenständige Behörde werden. Eine andere Behörde, die neue "Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich" (ZITIS), wird von den Grünen indirekt abgelehnt, wenn es heißt: "Daher lehnen wir es ab, dass staatliche oder private Akteur*innen IT-Sicherheitslücken für den eigenen Nutzen und zum Schaden der Allgemeinheit geheim halten". Weil der Verfassungsschutz bei seiner Überwachung sich "dauerhaft auf dem rechten Auge blind" gezeigt habe, soll er zerschlagen und durch ein "Bundesamt für Gefahrerkennung und Spionageabwehr" ersetzt werden.

Sofern die Bundeswehr die Sicherheit Deutschlands im Cyberraum gewährleisten soll, darf sie nach Ansicht der Grünen den Cyberwar nur unter parlamentarischer Kontrolle führen. Dabei soll ihr jegliche Form von "Angriffen auf zivile Netzinfrastrukturen" untersagt werden. International will man sich für eine allgemeine Konvention für Cybersicherheit stark machen. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Grünen das Verbot autonomer Waffen und das Verbot der Entwicklung bewaffnungsfähiger Drohnen in ihr Wahlprogramm aufgenommen haben.

Mehrfach kritisert das grüne Wahlprogramm die irreführende Debatte um Dateneigentum und Datenreichtum, die geführt wird, um die angelegten Persönlichkeitsprofile von Google, Facebook & Co zu verharmlosen. "Personenbezogene Daten sind unveräußerlich und daher kein Handelsgut." Gegen den Daten-Ausverkauf sollen Rechtsmittel helfen: "Die Menschen müssen sich auf ihr Recht auf kostenfreie Auskunft, Korrektur und Löschung ihrer Daten verlassen können. Diesen Pflichten dürfen sich Unternehmen auch nicht dadurch entziehen, dass ihre Zentralen sich außerhalb Europas befinden."

Weitere Regeln sollen für die von Unternehmen benutzten Algorithmen eingeführt werden: "Gegen Ausspähung und Diskriminierungseffekte braucht es klare Regeln – für Transparenz und Verbraucher*innenschutz im Digitalen. Dies gilt auch für die Bestandsdatenauskunft bei der Abfrage von IP-Adressen. Hier fordern die Grünen eine Berichtspflicht der Internetzugangsanbieter. Zum privatwirtschaftlichen Datenschutz gehört nach Ansicht der Grünen auch, alle Anbieter von Gerätschaften für das "Internet der Dinge" anzuhalten, die Sicherheit der Geräte durch "Built-In-Design" von Schutzkonzepten nachzuweisen. Nur wenn der Datenschutz von Anfang an mitgedacht werde, ist er am Ende auch enthalten, so der Gedanke.

In der Medienpolitik sprechen sich die Grünen gegen das "kontraproduktive Leistungsschutzrecht der Presseverleger*innen" aus und wollen dies baldmöglichst abschaffen. Sie fordern die Beibehaltung und Stärkung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der dank Beiträge der Allgemeinheit komplett ohne Werbung auskommen und alle Inhalt dauerhaft im Netz zur Verfügung stellen soll. Obendrein soll der Jugendmedienschutz ausgebaut und vereinheitlicht werden. Zu den wichtigen Medien zählen auch die Computerspiele: "Wir wollen die Computerspielekultur in ihrer Vielfalt und als E-Sport weiter stärken und prüfen, inwiefern sie als Sportart anerkannt werden kann".

Zur Medienpolitik gehört, dass die großen Anbieter von sozialen Mediendiensten aus Sicht der Grünen in die Pflicht genommen werden müssen und Inhalte löschen, die den Hass ins Netz transportieren. Dafür müssen sie eine inländische Kontaktstelle für Gerichte und Strafverfolgungsbehörden vorhalten. Dieser medienrechtliche Aspekt soll mit einer Kennzeichnungspflicht für Social Bots ergänzt werden, damit sichtbar ist, ob hier ein Computerprogramm Fake News oder Hassnachrichten produziert. All das soll nicht in stärkerer Überwachung und Kontrolle der Teilnehmer münden: "Einer Aushebelung der anonymen und pseudonymen Nutzung von Online-Diensten und damit der Meinungsfreiheit und -vielfalt stellen wir uns klar entgegen.

"Wir wollen ein Urheber*innenrecht, das der Nutzungs- und Verwertungsrealität im Digitalen Rechnung trägt." Eine Reform muss nach Vorstellung der Grünen europaweit erfolgen und das Recht dann auch auf europäischer Ebene durchgesetzt werden können. Urheber*innen sollen einerseits angemessen vergütet werden, haben aber, soweit es um Inhalte für Lehre und Forschung geht, dort Einbußen, wo es im freie Zugänge zu Lern- und Lehrmaterialien im Sinne von Open Access geht. Außerdem: "Bei der Digitalisierung des kulturellen Erbes wollen wir die Gemeinfreiheit erhalten."

Auch für die Grünen hat der Breitbandausbau hohe Priorität, weil ein schnelles Internet im ganzen Land den Erfinder*innengeist befördere und dem "digitalen Gründer*innengeist" wichtige Impulse geben soll. Dafür haben die Grünen für ihre Forderung von "Glasfaser überall in Deutschland bis zu jeder Haustür (FTTB)" einen konkreten Vorschlag: "Wir wollen dazu den Bundesbesitz an Telekom-Aktien im Wert von rund zehn Milliarden Euro veräußern und in den Breitbandausbau investieren."

Die Netzneutralität soll nach den Vorstellungen der Grünen netzübergreifend sein, also für Internet wie für Mobilfunk gleichermaßen gelten und so die Voraussetzungen für einen "fairen digitalen Wettbewerb" durch einen offenen, barrierefreien Zugang zum Netz schaffen. Zur Netzneutralität wird auch die Abschaffung der Störerhaftung und die gesellschaftliche Förderung der Freifunk-Bewegung gerechnet.

Bildung wird von den Grünen neben der klassischen Schulbildung als allgemeine "Ausprägung der digitalen Kompetenz als Grundvoraussetzung für gleichberechtigtes und selbstbestimmtes Leben" gesehen. Zudem wird die Förderung einer "multiperspektivische Bildung" angeregt, die die Realtitäten der neuen Einwanderungskultur wiedergibt und rechtsautoritären Tendenzen entgegentritt. Bei Fragen der Weiterbildung soll das Modell der "flexiblen Vollzeit" die Nutzung von entsprechenden Angeboten unterstützen. Innerhalb der Bildungsangebote wollen die Grünen einen "feministischen Aufbruch" unterstützen und der zunehmenden Frauenfeindlichkeit gegenüber keinen Millimeter nachgeben. Zur Sicherung der kulturellen Bildung wird der freie Zugang zu allen Museen gefordert.

Mindestens 7 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung (aktuell: 4,2 Prozent) soll nach den Vorstellungen der Grünen in die allgemeine Bildung einfließen und 3,5 Prozent (aktuell 2,9 Prozent) soll der bei Forschung und Entwicklung investiert werden. Hinzu müssen drei Milliarden Euro pro Jahr gerechnet werden, mit der die frühkindliche Bildung im Kindergarten unterstützt werden soll. Wenn kleine und mittlere Unternehmen eigenständige Forschung betreiben, sollen sie mit Steuergutschriften von 15 Prozent gefördert werden.

"Freie, quelloffene Software und freie Formate und Standards sind für uns einer der Eckpfeiler für sichere und zukunftsfähige IT- Systeme. Wir wollen diese deshalb bei öffentlichen IT-Beschaffungen bevorzugen, insbesondere dann, wenn Bürger*innen diese einsetzen sollen." Die Forderung nach quelloffenen Systemen steckt auch in der Forderung nach besserer Kontrolle der IT-Gerätschaften von Bürger*innen: "Selbstbestimmung im digitalen Zeitalter bedeutet auch, dass Verbraucher*innen die Kontrolle über ihre Geräte haben. Sie müssen bei Bedarf die Software unabhängig vom Hersteller verändern können, sodass Hersteller Geräte nicht durch ausbleibende Updates in Elektroschrott verwandeln können."

Daneben fordern die Grünen von Firmen wie von Behörden "mehr Mut für Open Data", damit Open Government möglich gemacht werden kann. Für Behörden sind Verpflichtungen vorgesehen, "vorhandene Daten von sich aus leicht auffindbar, maschinenlesbar und kostenfrei und unter freier Lizenz verfügbar zu machen." Der freie Zugang zu Forschungsdaten wird schließlich mit einer gewagten These begründet: "Wissenschaftliche Erkenntnisse bedeuten gesellschaftliche Teilhabe. Deswegen unterstützen wir Open Access." (jk)