Offshore-Windkraft in Nordamerika: Welche Herausforderungen gibt es 2024?

Neue Projekte und finanzieller Gegenwind könnten 2024 zu einem holprigen Jahr für die Windenergie-Branche in den USA machen.

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Windkraft im Bremer Blockland.

(Bild: heise online / anw)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Casey Crownhart
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Es ist eine turbulente Zeit für den Sektor der Offshore-Windenergie. Windräder, die entlang der Küsten installiert werden, können die starken, beständigen Winde nutzen, die dort wehen. In Anbetracht der Tatsache, dass 40 Prozent der Weltbevölkerung in einem Umkreis von 100 Kilometern vom Meer entfernt lebt, könnten Offshore-Windparks ein Segen sein, eine saubere Energieversorgung auf der ganzen Welt zu erreichen.

Wie lief es aber im Jahr 2023? In den vergangenen Monaten haben sich Projekte weltweit verzögert oder einige wurden sogar ganz gestrichen, da die Kosten in die Höhe schnellten. Hinzu kamen Unterbrechungen in der Lieferkette. Die jüngsten Rückschläge könnten die Bemühungen um eine Verringerung der Treibhausgasemissionen, die bekanntermaßen den Klimawandel verursachen, infrage stellen.

Im kommenden Jahr und darüber hinaus wird es wahrscheinlich weiter verzögerte oder gar eingestellte Projekte geben, aber die Branche verzeichnet auch Neustarts und eine kontinuierliche technologische Weiterentwicklung. Es stellt sich die Frage, ob die derzeitigen Probleme nur ein kleines Hindernis oder ein echtes Zeichen dafür sind, dass die Branche 2024 von der Straße abkommen wird. Wie geht es also mit der Offshore-Windenergie weiter?

Der Windkraftriese Ørsted aus Dänemark führte Ende Oktober steigende Zinsen, hohe Inflation und Engpässe in der Lieferkette an, als er seine mit Spannung erwarteten Projekte "Ocean Wind 1" und "Ocean Wind 2" sang- und klanglos absagte. Die beiden Projekte hätten etwas mehr als 2,2 Gigawatt in das Netz des US-Bundesstaates New Jersey eingespeist – genug Energie, um über eine Million Haushalte zu versorgen. Ørsted ist einer der weltweit führenden Entwickler von Offshore-Windkraftanlagen und wurde vom MIT Technology Review in die Liste der "15 Climate Tech Companies to Watch" im Jahr 2023 aufgenommen.

Und die eingestellte Ørsted-Projekte sind bei Weitem nicht der einzige Rückschlag für die Offshore-Windenergie in den USA: Laut einer Analyse des Energieanalysten BloombergNEF wurden Verträge mit einer Leistung von mehr als 12 Gigawatt entweder gekündigt oder mussten 2023 neu verhandelt werden.

Ein Teil des Problems liegt in der Art und Weise, wie Projekte üblicherweise gebaut und finanziert werden, meint Chelsea Jean-Michel, Windanalystin bei BloombergNEF. Nachdem sich ein Entwickler einen Ort für den Bau eines Windparks ausgesucht (beziehungsweise gesichert) hat, schließt er Verträge über den Verkauf des von den Windturbinen erzeugten Stroms. Dieser Preis wird bereits Jahre vor der Fertigstellung des Projekts festgelegt. Das heißt: Für Projekte, die jetzt in Angriff genommen werden, wurden die Verträge in der Regel 2019 oder 2020 ausgehandelt. Und die müssen heute nicht mehr sinnvoll sein.

Allein in den letzten fünf Jahren hat sich viel verändert. Die Preise für Stahl, eines der wichtigsten Materialien für den Windkraftbau, sind von Januar 2019 bis Ende 2022 in Nordamerika und Nordeuropa um über 50 Prozent gestiegen, wie aus einem Bericht der American Clean Power Association für 2023 hervorgeht.

Durch die Inflation sind auch die Preise für andere Materialien gestiegen. Höhere Zinssätze bedeuten, dass auch die Kreditaufnahme teurer wird. Nun argumentieren die Entwickler, dass die Strompreise, die sie früher vereinbart haben, nicht mehr angemessen sind.

Die wirtschaftlichen Probleme der Branche sind global. Bei der letzten Auktion von Projektplätzen für Offshore-Windkraft im Vereinigten Königreich gab es keine Bieter. Außerdem wurde ein großes Vorhaben, das in der Nordsee geplant war, im Juli von seinem Entwickler abgesagt. Japanische Betreiber, die sich in neue Projekte in Taiwan gestürzt hatten, ziehen plötzlich wieder ab, da die Kosten in diesem sich noch entwickelnden Markt in die Höhe schießen. Der schwelende Konflikt zwischen Taiwan und China dürfte aber auch eine Rolle spielen..

China sticht in einer ansonsten schwierigen Landschaft positiv hervor, weil es die Regierung so will. Das Land ist heute der größte Offshore-Windmarkt der Welt, auf den fast die Hälfte der weltweit installierten Kapazität entfällt. Die rasante Entwicklung und der zunehmende Wettbewerb haben bei einigen Projekten dort aber zu sinkenden Preisen geführt.

Während viele Projekte in der ganzen Welt im letzten Jahr Rückschläge hinnehmen mussten, konzentrieren sich die echten Probleme vor allem auf neuere Märkte, darunter die USA. Die Probleme haben sich seit der großen Absage in New Jersey fortgesetzt: In den ersten Wochen des Jahres 2024 haben die Entwickler mehrerer New Yorker Projekte um eine Neuverhandlung ihrer Verträge gebeten, was den Fortschritt verzögern könnte – selbst wenn diese Projekte am Ende tatsächlich realisiert werden.

Zwar werden mehr als 10 Prozent des Stroms in den USA schon aus Windenergie gewonnen, doch der überwiegende Teil wird durch Turbinen an Land erzeugt. Der Offshore-Windmarkt in den USA hinkt den etablierten Märkten in Ländern wie Großbritannien und Dänemark um mindestens ein Jahrzehnt hinterher, meint Walt Musial, leitender Ingenieur für Offshore-Windenergie am US National Renewable Energy Laboratory.

Eine offene Frage für das nächste Jahr wird sein, wie schnell die Industrie die Kapazitäten für den Bau und die Installation von Windturbinen in den USA erhöhen kann. "Die Lieferkette in den USA für Offshore-Windkraftanlagen steckt im Grunde noch in den Kinderschuhen. Sie existiert eigentlich nicht", sagt Jean-Michel.