Wild-West-WLAN: Markt ohne Standard

Derzeit erscheinen Draft-N-Produkte, die alle zumindest familienintern schneller funken als das etablierte WLAN. Der zugehörige IEEE-Standard wird indes noch länger auf sich warten lassen.

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Gut drei Jahre nach der letzten Revolution (802.11b zu 802.11g, 11 auf 54 MBit/s brutto) schicken sich die populären Funknetze an, wieder einen Gang höher zu schalten. Die nächste WLAN-Generation nach dem erst noch kommenden IEEE-Standard 802.11n soll nun auch auf Anwendungsebene mit dem Fast-Ethernet-LAN über Kabel gleichziehen und dort 100 MBit/s netto übertragen. Unter günstigen Bedingungen schaffen das einzelne Vertreter der neuen Geräteklasse auch tatsächlich. Allerdings entpuppte sich die Technik als wählerisch: Der beste Durchsatz stellte sich stets nur innerhalb einer Chipsatz-Familie ein, wie sich im Test der c't-Redaktion erwies (siehe dazu den Schwerpunkt "Netzwerk ohne Kabel" in c't 18/06, ab Montag, den 21. August, im Handel).

Die herstellerübergreifende Nutzung der unter der Flagge "Draft-N" segelnden Schnellfunker gerät zur Glückssache, denn die Chip-Produzenten können sich derzeit nur an einem Entwurf orientieren, der als Kompromiss dreier Vorschläge lediglich grundlegende Funktionen definiert und viele Freiheiten bei der Implementierung lässt. Da die Verabschiedung des Standards nach aktueller Planung der IEEE-Arbeitsgruppe TGn nun frühestens Anfang 2008 stattfindet, bleibt die Technik noch ein weiteres Jahr in der Schwebe. So steht bei den jetzt in die Elektronik-Marktregale drängenden Frühstartern zu befürchten, dass sie später nicht durch ein simples Auffrischen der Firmware standardkompatibel werden. Käufer der Draft-N-Geräte werden diese später entweder austauschen oder sich mit geringerem Durchsatz zufrieden geben müssen, falls sie das Funknetz mit fremden Adaptern erweitern.

Beim Turnustreffen im Juli in San Diego hat sich TGn auf die Version 1.02 des Entwurfs geeinigt, dabei aber erst rund die Hälfte der im Mai erhaltenen Kommentare abgearbeitet. Einer der Hauptstreitpunkte liegt bei der automatischen Kanalbreitenwahl: 11n-Geräte können optional doppelt breite Funkkanäle nutzen (40 statt 20 MHz), um den Durchsatz hochzutreiben. Heikel daran ist, dass 11n-Geräte vor dem Senden bislang nur ihren Standardkanal auf Belegung überprüfen. Noch ist keine Methode festgeschrieben, nach der die Geräte auch den dynamisch herangezogenen 20-MHz-Zusatzblock checken. Eine TGn-Fraktion sieht kein Problem darin, sich die Vorfahrt zu erdrängeln, denn schließlich möchte man die dort eventuell funkende Erblast älterer WLAN-Geräte lieber heute als morgen loswerden. Ihre Opposition hält dagegen an der "heiligen" Kompatibilität fest und fordert mehr Rücksichtnahme, selbst wenn das Durchsatz kostet.

Eine weitere Kontroverse betrifft die mit mehreren Antennen möglichen Techniken Beam Forming (Strahlformung) und Spatial Multiplexing (Nutzung mehrerer räumlicher Ausbreitungswege). Ersteres verbessert durch richtfunkartiges Anpeilen die Funkverbindung zwischen zwei Stationen und fördert so den Durchsatz. Letztere macht Gebrauch von den innerhalb von Gebäuden immer vorhandenen Reflexionen und schleust mittels ausgefeilter Signalverarbeitung mehrere Datenströme durch einen 20- oder 40-MHz-Kanal.

Parallel arbeitet die Herstellervereinigung Wifi Alliance (WFA) an ihrem Prüfprogramm. Die WFA erteilt nach Prüfungen ihr Siegel – für die Draft-N-Generation gibt es das auf keinen Fall. Da die Teilnahme freiwillig ist, kann man das Siegel indes nicht mit der TÜV-Plakette vergleichen. Interessanterweise soll die WFA überlegen, zwei Funkmodule für zertifizierbare 11n-Geräte vorzuschreiben, von denen wohl mindestens eins dualband-fähig ist und auch im bislang wenig genutzten 5-GHz-Bereich funken kann. Damit könnte es WLAN-Nutzern leichter fallen, dem Gedränge im 2,4-GHz-Band auszuweichen – das mit den bei 11n optionalen 40-MHz-Kanälen noch zunimmt. (ea)