Wissing: "Digitalisierung hat auch was Altruistisches"

Wie steht es um die Digitalisierung und KI in Deutschland? Der zuständige Minister äußerte sich dazu in einem Interview.

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Volker Wissing im Januar 2024 während eines Besuchs in Los Angeles.​

Volker Wissing im Januar 2024 während eines Besuchs in Los Angeles.

(Bild: BMDV)

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Volker Wissing (FDP) ist überzeugt davon, dass Deutschland bei der Digitalisierung mithalten kann. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung sagte der Digitalminister, Deutschland weise in Sachen Künstlicher Intelligenz die zweitmeisten Patentanmeldungen auf. "Wir haben Unternehmen im Land wie Aleph Alpha, insgesamt mehr als 500 KI-Start-ups. Wir sind neben den USA die führende KI-Nation weltweit, gefolgt von Japan und China." Zudem habe Deutschland eine der modernsten Infrastrukturen der Welt. "Wir haben 97 Prozent Abdeckung mit 4G, 91 Prozent mit 5G", sagte Wissing in dem SZ-Interview.

Darin äußerte sich Wissing noch einmal zu seinen Vorbehalten in den Verhandlungen zum AI Act der EU, dem Deutschland letztlich doch zustimmte. Er hätte die Basismodelle weniger reguliert, auf denen Anwendungen wie Chatbots basieren. "Aber am Ende musste ich mir die Frage stellen: Ist es besser, keinen AI Act zu haben, oder den jetzigen Kompromiss?"

Wissing erhob keine Einwände gegen den Eindruck, dass in Deutschland das Internet langsamer ist als in anderen Ländern und die Digitalisierung in den Behörden nicht vorankomme. "Einerseits wollen die Deutschen, dass man die Verwaltung schneller digitalisiert. Andererseits wollen Teile der Gesellschaft und der Politik an den bewährten analogen Strukturen festhalten – zum Beispiel an einem Busticket auf Papier", sagte Wissing.

Ein Papierfahrschein generiere keine Daten. "Wenn wir aber wissen, wie viele Menschen zu welcher Uhrzeit von wo nach wo fahren, können wir den öffentlichen Nahverkehr effizienter und präziser planen – und das wollen ja alle", betonte Wissing. Schließlich gehe es bei der Digitalisierung darum, Daten zu generieren und zu verknüpfen und dabei der Gesellschaft mehr Wissen zu verschaffen.

"Digitalisierung hat auch etwas Altruistisches", meinte Wissing. Es gehe um Daten, mit denen die Einzelnen vielleicht gar nichts anfangen könnten. "Wer auf der Autobahn seinen Scheibenwischer einschaltet, generiert präzise Echtzeitinformationen über Regen. Werden die Daten in eine Cloud geschickt, können andere vor Aquaplaning gewarnt werden", erläuterte der Minister. "So kann man Leben retten!"

Zum mangelnden Fortschritt bei der Digitalstrategie der Bundesregierung erklärte Wissing, sie habe erst einmal entwickelt werden müssen, dann seien die Zuständigkeiten geklärt worden. Dabei könne die Digitalisierung sämtlicher Verwaltungsvorgänge nicht in einem Ministerium gebündelt werden. "Wir können hier im Digital- und Verkehrsministerium nicht die digitale Patientenakte planen."

Zum Verhalten der Länder zum Onlinezugangsgesetz (OZG) sagte Wissing, Digitalisierung scheitere nicht am Geld, sondern in den Köpfen, auch in der Politik. Der Bundesrat hatte im März dieses Jahres dem OZG nicht zugestimmt. Es sei nicht das erste Mal, dass im Bundesrat Gesetze gestoppt werden, die die Länder hinterher dann doch für wichtig erachteten. Grundsätzlich dürfe im Jahr 2024 kein Digitalisierungsgesetz gestoppt werden, sonst verliere Deutschland die technologische Führung.

Die andere Seite der Medaille, wenn Daten generiert und verknüpft werden – wie sie Daten- und Verbraucherschützer beispielsweise anhand der digitalen Bahncard beleuchten –, scheint auch Wissing bewusst. "Ich weise unentwegt darauf hin, dass Autos Datensammelstellen sind. Die Automobilhersteller haben mittlerweile ein mindestens genauso großes Interesse an den Daten ihrer Kunden wie am Verkauf des Fahrzeugs selbst."

Am kommenden Wochenende werde Wissing zusammen mit Bundeskanzler Olaf Scholz nach China reisen. Dabei werde es auch um das Thema autonomes und vernetztes Fahren gehen und darum, dafür internationale Zulassungsvorschriften zu erarbeiten. "In manchen Ländern hat die Regierung Zugriff auf die Daten von privaten Unternehmen", sagte Wissing und bezog sich dabei indirekt auf China. "Wenn man ein Produkt aus einem solchen Land nutzt, muss man sich klarmachen, dass die Regierung diese Daten jederzeit erhalten kann."

Einen Einblick in die Zukunft der Mobilität hat sich Wissing nach eigenen Angaben bei einem deutschen Hersteller in Los Angeles verschafft. Dabei würden "Trends im Bereich Ernährung, Freizeit, Kunst beobachtet, und die KI berechnet, wie sich das in Zukunft auf die Erwartung der Kunden an die Marke und ihre Formsprache auswirkt". Als Beispiel führte der Minister einen veganen Fitnessstudio-Besucher an und wie das Auto aussehen müsse, das er in zehn Jahren fahren wolle. Seine Schwiegermutter würde sagen: "Ich brauch ein Auto doch nur, um von A nach B zu kommen." Wissing findet es hingegen "hoch spannend".

(anw)