c't deckt auf: Rückerstattungsbetrug bei Amazon & Co.

Seite 2: Corona als Helfer

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Den genauen Ablauf der Bestellung bekamen nur Kunden mitgeteilt, es handelt sich also potenziell um Täterwissen, das wir mit Rücksicht auf die noch laufenden Ermittlungen nicht veröffentlichen. Ein wesentlicher Punkt ist jedoch, dass aktuell bei vielen Paketdiensten wegen der Corona-Hygienevorschriften keine Empfangsbestätigung mehr unterzeichnet werden muss und dass manche Paketboten die Sendungen auch ohne vorherige Erlaubnis durch den Empfänger einfach vor die Tür legen, falls niemand zu Hause ist, statt sie beim Nachbarn abzugeben oder noch einmal wiederzukommen. Ohne Unterschrift durch den Empfänger können die Paketdienste kaum nachweisen, dass die Sendung ordnungsgemäß zugestellt wurde und müssen im Zweifel den Warenwert ersetzen, wie uns DHL auf Nachfrage bestätigte. Allerdings könne DHL keinen signifikanten Anstieg der Paketverluste im Zuge der Corona-Pandemie feststellen.

Diese ist nur eine von insgesamt fünf Maschen, die wir im Zuge unserer Recherchen aufdecken konnten. In anderen Fällen etwa werden Pakete abgefangen oder die Ware wird reklamiert, geht aber auf dem Rückweg verloren – erstattet wird das Geld trotzdem. Wie verbreitet Rückerstattungsbetrug ist, lässt sich kaum abschätzen. Selbst die Landeskriminalämter haben darüber keine Informationen, denn es gibt in der Kriminalstatistik dafür keinen eigenen Schlüssel. Die Delikte werden deshalb als Betrug oder Computerbetrug verbucht – wenn sie denn überhaupt zur Anzeige kommen. Und hier liegt der eigentliche Knackpunkt.

Da Amazon als größter deutscher Onlinehändler im Visier aller uns bekannter Refund-Anbieter steht, baten wir die Pressestelle um die Zahl der Fälle, die Amazon wegen Rückerstattungsbetrugs zur Anzeige bringt. Amazon wollte die Frage nicht beantworten, weshalb wir bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main und der für das Amazon-Versandzentrum Bad Hersfeld zuständigen Staatsanwaltschaft in Fulda nachhakten. Doch keinem der Staatsanwälte sind Anzeigen von Amazon bekannt, man habe nicht die Erfahrung gemacht, dass Amazon selbst aktiv werde.

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Es erweckt den Anschein, als würde Amazon diese Betrugsfälle generell nicht zur Anzeige bringen, sondern den Schaden als Verlust verbuchen oder von den Paketdiensten ersetzen lassen. Wir konfrontierten Amazon mit unseren Rechercheergebnissen und Schlussfolgerungen, erhielten allerdings nur die relativ unspezifische Stellungnahme, dass Amazon betrügerische Aktivitäten in keiner Weise dulde. Es gebe seltene Fälle, in denen jemand den Service missbrauche, Amazon würde Hinweisen aber nachgehen und Missbrauch konsequent verfolgen.

Eine Erklärung, wieso laut Staatsanwaltschaft keine Anzeigen vorliegen, bekamen wir nicht. Diese Untätigkeit hat jedoch weitreichende Konsequenzen: Ohne Anzeige werden die Seriennummern oder IMEI der mutmaßlich gestohlenen oder unterschlagenen Geräte nicht in die Fahndungsdatenbank der Polizei aufgenommen und damit auch nicht bei etwaigen Verkehrs- oder Personenkontrollen beschlagnahmt. Außerdem können die Ermittlungsbehörden so nicht bei Apple oder anderen Herstellern in Erfahrung bringen, welche Person ein solches Gerät aktiviert hat. Ein anderer großer Onlinehändler aus Norddeutschland etwa bringt Verdachtsfälle regelmäßig zur Anzeige und hat damit auch Erfolg – so überführte die Apple-ID eines unterschlagenen iPhone unmittelbar den Täter.

Ohne die Seriennummern aus der Fahndungsdatei haben Apple und andere Hersteller auch keine Chance, die betroffenen Geräte für die Aktivierung zu sperren. Dabei wäre das ein probates Mittel, um dem Geschäftsmodell der Rückerstattungsbetrüger ein schnelles Ende zu bereiten: Niemand zahlt 25 Prozent des offiziellen Kaufpreises für ein iPhone, das sich nicht aktivieren und somit nicht benutzen lässt. Sollte Amazon nicht konsequent Anzeigen erstatten, würde man den Betrügern indirekt dabei helfen, im Geschäft zu bleiben und weiter zu betrügen. Den Schaden haben alle ehrliche Kunden, die höhere Preise zahlen müssen, und die Paketdienste respektive deren Versicherer, die den Warenwert vorgeblich verloren gegangener Sendungen erstatten.

In Sicherheit dürfen sich die Betrüger und ihre Kunden dennoch nicht wähnen: Ende Oktober 2020, gerade als unsere Recherchen zur German Refund Crew abgeschlossen waren, schloss das Bundeskriminalamt deren Telegram-Gruppe, die weiteren Ermittlungen führt derzeit die Zentralstelle Cybercrime Bayern durch. Anfang Februar konnte c’t mit Oberstaatsanwalt Thomas Goger über die German Refund Crew sprechen. Dabei brachten wir in Erfahrung, dass nicht mehr nur gegen die Mitglieder, sondern auch gegen hunderte Kunden ermittelt werde. Insgesamt gehe es um mehrere hundert Taten, die über einen Zeitraum von nur gut vier Monaten begangen wurden und einen Schaden von mehreren hunderttausend Euro verursachten.

Die Telegram-Gruppe der German Refund Crew hatte in nur vier Monaten etliche hundert Mitglieder aufgebaut, als das BKA sie schloss.

Den Kunden der German Refund Crew droht dabei der gleiche Tatvorwurf wie den Mitgliedern der Gruppe: Bereits der Versuch des Betrugs ist strafbar, genauso wie die Anstiftung und die Mittäterschaft. Auch Amazon unterstützt die Ermittlungen und liefert die von der Staatsanwaltschaft angeforderten Daten. Den Kunden drohen bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafe. Das kann gerade für junge Menschen bei der Jobsuche ein ernstes Problem sein, wenn dem künftigen Arbeitgeber ein Führungszeugnis vorgelegt werden muss. Dieses Risiko ist ein trendiges iPhone, das spätestens in einem Jahr nicht mehr hip ist, nicht wert. (mid)