eco Kongress: Buhlen um Spezialisten und Big Data

Wie sehr es der deutschen IT-Branche nun an Fachkräften mangelt, darüber waren sich die Podiumsteilnehmer beim Kongress des Branchenverbands eco uneins. Sicher sei aber, dass es schwieriger wird, neue Mitarbeiter zu finden.

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Von
  • Torsten Kleinz

Der vermeintliche Fachkräftemangel war am Mittwoch Thema auf dem Kongress des Verbands der deutschen Internetwirtschaft eco im Kölner Rhein-Energie-Stadion. Auch der Hype um Big Data lockt immer mehr Unternehmen an: Gerade Mittelständler sollen als lukrative Zielgruppe für die Datenanalysen gewonnen werden.

Wie groß der Bedarf nach Arbeitskräften gerade in der IT-Wirtschaft ist, ist unklar. So beklagt der Berliner Branchenverband Bitkom, dass über 40.000 Stellen im IT-Sektor nicht besetzt werden können, die Bundesanstalt für Arbeit hält die Lage jedoch für weniger dramatisch. Die EU-Kommission sieht in ihrem Gebiet mittlerweile 700.000 unbesetzte IT-Stellen und befürchtet aufgrund dessen eine sinkende Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft. Deshalb hat sie Anfang März die Große Koalition für Digitale Jobs gegründet, um den wachsenden Bedarf an IT-Kräften in ganz Europa decken zu können. In Köln waren sich alle Diskussionsteilnehmer einig, dass es für Firmen schwerer geworden ist, geeignete Mitarbeiter zu finden. Genügte es vor Jahren noch, eine Stellenanzeige zu veröffentlichen, um viele geeignete Kandidaten zu finden, müssten Firmen heute mehr Anstrengungen unternehmen.

Der Bedarf ist je nach Bereich höchst unterschiedlich: "Im Bereich Projektleitung und wenn es um Leute mit ganz spezifischen Fähigkeiten geht, ist die Herausforderung am größten", erklärte Hans-Christoph Kürn, Leiter des Social Media & e-Recruitings der Siemens AG. Bei Systemadministratoren könne der Bedarf relativ unproblematisch gedeckt werden. Um die Spezialisten zu finden, gingen die Personalabteilungen immer mehr dazu über, die Zielgruppe in ihrem Umfeld direkt anzusprechen – wie zum Beispiel in fachspezifischen Webforen oder mit YouTube-Videos. Gleichzeitig setzt Siemens aber auch auf Manpower: So beschäftige das Unternehmen mittlerweile drei Arbeitskräfte, die sich nur mit Sourcing, also dem Identifizieren geeigneter Kandidaten beschäftigten.

Dass es trotz enormen Bedarfs dennoch Arbeitslosigkeit im IT-Bereich gibt, liegt nach Überzeugung der Diskussionsteilnehmer auch an übersteigerten Erwartungen der Personalabteilungen: "Es gibt eine ganze Menge gute Bewerber, die aber nicht auf dem ersten Blick dem Idealbild entsprechen", sagte Lucia Falkenberg vom DE-CIX. So konzentrierten sich viele Unternehmen auf Arbeitskräfte um die 30 mit mehreren Jahren Auslandserfahrung und Führungsqualifikation. "Wir müssen uns da von Idealvorstellungen verabschieden, wenn wir dem demografischen Wandel standhalten wollen", sagte Falkenberg.

Ein relativ effektives Mittel der Mitarbeitergewinnung sei es inzwischen, seine eigenen Mitarbeiter als Headhunter einzusetzen. So würden teilweise vierstellige Prämien bezahlt, wenn geeignete Kandidaten für spezielle Posten in der Firma empfohlen werden. "Ebay hat zum Beispiel 40 bis 45 Prozent seiner Mitarbeiter über Empfehlung rekrutiert", erklärte Michael Blazek, Geschäftsführer der Firma JobCrowd. Insgesamt müssten sich Firmen mehr bemühen, eine offene und attraktive Firmenkultur entwickeln und dies auch nach außen kommunizieren.

Derzeit ist die Versuchung groß, seinen Bedarf an Fachkräften in Krisenländern wie Spanien und Griechenland zu decken. "Deutschland ist bestimmt 100 Prozent attraktiv für junge Leute", sagte Aikaterini Sylla vom e-Jobs observatory der EU-Kommission. Alleine in den vergangenen zwei Jahren sei die Nachfrage nach Deutsch-Kursen in Griechenland um 30 Prozent gestiegen. Doch dies sei keine nachhaltige Unternehmenspolitik, wie Kürn betonte: Entziehe man diesen Ländern die gut ausgebildeten Menschen, könnten die ihre Wirtschaft nicht wieder aufbauen.

Nachbesserungsbedarf sieht Kürn im deutschen Bildungswesen: "Dass Uni-Professoren Lehrer sind, müssen sie auch erst mal verstehen", sagte der Siemens-Manager. Positiv sahen die Teilnehmer Initiativen wie die US-Plattform code.org, die sich für eine Verbesserung des Informatik-Unterrichts an Schulen einsetzt.

Gerade im Bereich "Big Data" gibt es derzeit Bedarf nach spezialisierten Kräften, die sich mit Datenauswertungen auskennen. Während sich Branchengrößen wie Microsoft auf dem internationalen Markt schon ausgiebig mit Datenauswertungen beschäftigen, fangen deutsche Firmen erst an, das Thema zu entdecken. Da jedoch nicht jeder Mittelständler die entsprechende Infrastruktur vorhalten kann, wollen sich Spezialanbieter auf dem Markt etablieren.

Erste Anwendung sind Marketing und Werbung: „Wir versuchen unsere Kunden kennenzulernen, und zwar in Gänze", erklärte Holger Düwiger vom Berliner IT-Dienstleister Neofonie. Grobe Einordnungen des Kunden in Kategorien wie „männlich und zwischen 20 und 40 Jahre alt" seien nicht mehr zeitgemäß. Dabei würden die Firmen gerne auf möglichst viele Daten zugreifen, die bisher in den Datensilos von Google, Facebook und Co landeten. Der deutsche Datenschutz könne sich hier allerdings als Hindernis erweisen. (axk)