ver.di und Telekom demonstrieren Schulterschluss [Update]

Die ver.di-Verhandlungskommission hat in der Auseinandersetzung um den Telekom-Konzernumbau wohl mehr herausgeholt, als anfangs möglich schien - aber die Telekom kann mit dem Abschluss ganz zufrieden sein.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Peter Lessmann
  • dpa

Das Donnergrollen in den Morgenstunden war vielleicht ein letzter Wink von ganz oben, die zermürbenden Verhandlungen endlich zu Ende zu bringen. Und dann stehen Telekom-Personalchef Thomas Sattelberger und ver.di-Bundesvorstand Lothar Schröder vor den Mikrofonen, schütteln die Hände und begraben ihr Kriegsbeil. Der Kompromiss im monatelangen Streit um die Auslagerung von 50.000 Mitarbeitern in neue T-Service-Gesellschaften ist erreicht. Autatmen bei Telekom-Personalchef Thomas Sattelberger: "Wir haben den finanziellen Zielkorridor beim Sparprogramm ordentlich getroffen".

ver.di-Mann Schröder bedankt sich artig bei den Beschäftigten: "Diese Lösung haben sich die Streikenden erstritten", sagt er. Diese hatten in den vergangenen fünf Wochen mit bundesweiten Arbeitsniederniederlegungen gegen die Pläne des Vorstands heftig protestiert. Stimmen sie jetzt in einer Urabstimmung zu, "geht der größte Arbeitskonflikt zwischen Telekom und ver.di zu Ende", sagt Schröder.

Auch wenn einige Gewerkschafter jetzt gegen die Lösung aus Bad Neuenahr wettern sollten, hat die Verhandlungskommission von Schröder mehr für die Beschäftigten herausgeholt, als am Anfang noch möglich schien. Denn die Telekom hätte ihren Stiefel auch durchziehen können, nachdem der Aufsichtsrat die Stellenumbaupläne von Konzernchef René Obermann abgesegnet hatte. Doch auf einen solchen Konfliktkurs mit ver.di wollten weder Obermann noch Sattelberger zusteuern. Immer wieder betonten sie, eine gemeinsame Lösung mit der Gewerkschaft anstreben zu wollen – allein schon um des Betriebsfriedens willen.

Doch was auf dem Verhandlungstisch lag, war für Schröder zunächst unannehmbar – unter anderem standen bis zu 12 Prozent Gehaltskürzungen im Raum und ein wesentlicher schlechterer Sicherungsmechanismus. Die Positionen waren verhärtet, die Tarifparteien hatten sich in einer Sackgasse verrannt. Mit dem Streik schien eine Annäherung zunächst ausgeschlossen. Unverschämt seien die Pläne des Vorstands, den Mitarbeitern so tief in die Tasche zu greifen, schimpfte ver.di-Mann Schröder.

Dann hatte Sattelberger mit einer neuen Initiative Anfang Juni die Verhandlungstür wieder aufgestoßen. Über alle Punkte wolle die Telekom verhandeln und er stellte gar einen Erfolgsbonus in Aussicht. Jetzt schlägt Schröder versöhnliche Töne an. Denn aus den geplanten tiefen Einschnitten sind Einbußen von 6,5 Prozent geworden mit Ausgleichszahlungen für 18 Monate. Der Kündigungsschutz wird bis Ende 2012 verlängert und Sattelberger verspricht Neueinstellungen in einem Volumen von 4000 Arbeitsplätzen – vor allem für die Nachwuchskräfte im Konzern.

Und auch die Telekom macht beim Kompromiss eine Schnitte. Einsparungen sind bei dem von der Konkurrenz heftig unter Druck gesetzten Konzern dringend notwendig. Eine genaue Summe, die zwischen 500 Millionen und 900 Millionen liegen soll, wollte Sattelberger aber nicht nennen. Und auch mit der Verlängerung der Wochenarbeitszeiten auf 38 Stunden ohne Lohnausgleich hat sich die Telekom auf der ganzen Linie durchgesetzt.

Dabei sah es in Bad Neuenahr keineswegs immer danach aus, dass die Verhandlungen zu einem positiven Abschluss gebracht werden könnten. Obwohl der Druck zur Einigung bei den Tarifpartnern hoch war, bemühte ver.di Streikleiter Ado Wilhelm das eine oder andere Mal das Abbruchszenarium. "Keine Einigung ist auch ein Ergebnis", sagte er noch, als das Grundgerüst des Kompromisses schon längst fest stand.

Eine Chronologie der Ereignisse

September 2006: Der damalige Telekom-Konzernchef Kai-Uwe Ricke kündigt angesichts bröckelnder Gewinne ein milliardenschweres Sparpaket an. Presseberichten zufolge will das Unternehmen bis 2010 rund 5 Milliarden Euro einsparen.

Oktober 2006: Die Telekom kündigt an, ihre Servicebereiche umzubauen, um einen weiteren Stellenabbau zu vermeiden. Dazu sollen 45.000 Mitarbeiter der Festnetztochter T-Com und der Callcenter in eine neue Geschäftseinheit gebündelt und die Kosten deutlich gesenkt werden. Die Gewerkschaft weist Forderungen nach einem Lohnverzicht zurück.

November 2006: Am 12. November tritt der Vorstandsvorsitzende der Telekom, Kai-Uwe Ricke, nach vier Jahren Amtszeit zurück. Als Nachfolger wird Mobilfunk-Chef René Obermann ernannt. Hauptgrund für den Wechsel an der Konzernspitze ist der starke Kundenrückgang in der Festnetzsparte T-Com.

Februar 2007: Der Telekom-Aufsichtsrat gibt gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter dem neuen Vorstandschef grünes Licht für seine Strategie zum Konzernumbau. Das Gremium segnet die Gründung der neuen T-Service ab, in die 50.000 Beschäftigte transferiert werden sollen. Die Gewerkschaft ver.di droht mit Streik.

März 2007: Wegen der Vorstandspläne kommt es zu ersten Warnstreiks. Zum Monatsende beginnen die Verhandlungen zwischen ver.di und Management.

April 2007: Nach fünf Runden scheitern die Gespräche. ver.di kündigt eine Ausweitung der Protestaktionen an.

Mai 2007: Einen Tag nach der Urabstimmung beginnen am 11. Mai bundesweite Arbeitsniederlegungen. Es sind die ersten Streiks sei Privatisierung der Telekom vor 12 Jahren. Bis zu 16.000 Beschäftigte legen täglich die Arbeit nieder. Betroffen sind vor allem der technische Kundenservice und die Callcenter.

Juni 2007: Der neue Telekom-Personalchef Thomas Sattelberger zeigt sich kompromissbereit und stellt einen Erfolgsbonus zur Abfederung der Gehaltskürzungen in Aussicht. Wenig später kehrt ver.di an den Verhandlungstisch zurück. Nach einem einwöchigen Verhandlungsmarathon wird der Streit am 20. Juni vorerst beigelegt. Stimmen ver.di-Tarifkommission und die Gewerkschaftsmitglieder in einer Urabstimmung zu, ist der Konflikt zu Ende.

Die Hauptpunkte der Einigung im Telekom-Tarifstreit

Arbeitszeitausweitung: Die Mitarbeiter der neuen Gesellschaften müssen vier Stunden länger als bisher arbeiten. Ihre wöchentliche Arbeitszeit beträgt damit 38 Stunden. Einen Lohnausgleich gibt es nicht. Als Teil der Serviceoffensive werden von den vier Stunden 0,5 Stunden für die Qualifizierung im Service-Bereich verwendet. Der Samstag wird ein regulärer Arbeitstag.

Gehälter: Das Einkommen sinkt um 6,5 Prozent. In den ersten 18 Monaten erhalten die Mitarbeiter allerdings weiter ihren gewohnten Lohn, denn die Entgeltreduzierung wird durch einen Ausgleichsfonds abgefedert. Die Zahlungen aus dem Fonds werden dann schrittweise abgesenkt. Von 2011 an entfallen sie. Für alle Mitarbeiter der Deutschen Telekom AG gibt es 2008 eine Nullrunde.

Kündigungsschutz: Für die Beschäftigten der neuen T-Service- Gesellschaften wird der Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen bis Ende 2012 ausgeweitet. Bestehende Regelungen zur betrieblichen Altersvorsorge, Krankengeld, Sonderurlaub und Wohnungsfürsorge gelten für die Mitarbeiter laut ver.di weiter.

Verkaufsschutz: Die Service-Einheiten dürfen bis Ende 2010 nicht verkauft werden.

Neueinstellungen: Beide Seiten verständigten sich auf eine so genannte «Beschäftigungsbrücke» für Nachwuchskräfte. Diese sieht die Einstellungen von mehr als 4000 Auszubildenden vor. Die Einstiegsgehälter werden um mehr als 30 Prozent auf 21 400 bis 23 200 Euro abgesenkt.

Einsparungen: Die Telekom will durch den Umbau zwischen 500 Millionen und 900 Millionen Euro einsparen.

In der kommenden Woche hat ver.di mehrere Regionalkonferenzen geplant. Danach werden die Telekom-Mitarbeiter voraussichtlich am Donnerstag und Freitag in einer Urabstimmung über die Vereinbarung entscheiden.

[Update]:
Mittlerweile hat die Große Tarifkommission von ver.di dem Kompromiss zum Stellenumbau bei der Deutschen Telekom zugestimmt und damit den Weg für ein Ende der Streiks frei gemacht. Nach einer mehrstündigen Sitzung am Mittwoch in Köln habe das Gremium mit überwältigender Mehrheit entschieden, die mit der Telekom erzielte Lösung anzunehmen, sagte ver.di-Bundesvorstand Lothar Schröder am Ende der Sitzung am Mittwoch in Köln. Schröder betonte erneut, dass die Entgelte trotz einer Absenkung des Lohnniveaus von 6,5 Prozent für die von der Auslagerung betroffenen Mitarbeiter gesichert bleiben.

Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) begrüßte den Einigung als "sehr vernünftige Lösung der Tarifparteien". Beide Seiten hätten eine gute Lösung für Arbeitnehmer, Arbeitsplätze und das Unternehmen erzielt, sagte Steinbrück in Berlin. Es sei klug gewesen, dass die Politik die Beratungen nicht mit permanenten Ratschlägen belastet habe. Der Bund hält derzeit noch direkt oder indirekt rund 30 Prozent der Telekom-Anteile.

Auch bei Wettbewerbern der Telekom sorgt die Einigung derweil für Aufatmen. "Die Branche ist heilfroh, dass der Streik vorbei ist", sagte ein Branchenkenner. So seien andere Anbieter bei der Aufschaltung von DSL-Anschlüssen auf die Telekom-Techniker angewiesen und hätten in den vergangenen Wochen mit Verzögerungen leben müssen. Die Einigung selbst sieht der Experte als einen "wichtigen ersten Schritt dazu, dass die Telekom von ihren Kosten runterkommt", es müssten aber noch weitere Schritte folgen. Zwar könnten Einschnitte für die Beschäftigten möglicherweise auch zu Lasten der Servicequalität gehen, das Unternehmen habe aber keine andere Wahl, sagte der Experte. "Sie steht unter einem enormen Kostendruck."

Siehe zum Arbeitskonflikt bei der Telekom auch:

(Peter Lessmann, dpa) / (jk)