Kritik: Geplante EU-Whistleblower-Richtlinie birgt hohe Risiken für Hinweisgeber

Der geplante Entwurf für eine Whistleblower-Richtlinie der EU birgt Nachteile für Whistleblower und stößt auf Widerstand.

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Whistleblower

(Bild: CarpathianPrince, Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti
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Am Montag treten die Verhandlungen für eine Whistleblower-Richtlinie in der Europäischen Union in die abschließende Phase. Auf einer letzten Verhandlungssitzung sollen dann Vertreter des Europäischen Parlaments, des Rats und der Kommission einen finalen Entwurf verhandeln, der noch vor den europäischen Parlamentswahlen im Mai verabschiedet werden soll. Der aktuelle Entwurf sieht einen dreistufigen Meldeweg vor: Whistleblower in Unternehmen, Behörden und Organisationen müssen demnach zunächst intern Alarm schlagen, bevor sie sich an Bürgerbeauftragte wenden oder Strafanzeige stellen. Erst in einem letzten Schritt sei der Gang an die Öffentlichkeit über Journalisten oder Medien legitim. Wie aus Verhandlungsunterlagen der Bundesregierung, die heise online vorliegen, hervorgeht, entspricht dies der deutschen Position.

In mehreren anderen europäischen Mitgliedstaaten sehen Whistleblower-Gesetze wesentlich freiere und effizientere Regelungen vor. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte schreibt in seiner ständigen Rechtsprechung kein Stufenmodell der internen-externen Meldewege vor. Er überlässt die Entscheidung dem Arbeitnehmer beziehungsweise der Arbeitnehmerin. Das Europäische Parlament folgte dieser Position. In den Trilog-Verhandlungen haben sich aber dem Vernehmen nach nun Kommission und Rat mit dem Stufenmodell gegen das Parlament durchgesetzt.

Annegret Falter, Vorsitzende des Whistleblower Netzwerks, hält den verpflichtenden internen Meldeweg für "eine Perversion der Idee des Whistleblowings und ein Schlag ins Gesicht aller Arbeiternehmer". Der Gesetzgeber nehme damit an, dass Hinweisgeber der jeweiligen Organisationen Schaden zufügen wollten und über kein ausreichendes Urteilsvermögen verfügten, um zu entscheiden, wen sie über Missstände als erstes unterrichten wollen.

Annegret Falter verweist in einem Schreiben an Bundesjustizministerin Katharina Barley auf den Fall des Whistleblowers Joachim Wedler. Er versuchte zunächst intern zweieinhalb Jahre lang darauf hinzuweisen, dass die Toll Collect GmbH seiner Beobachtung nach für den Betrieb des LKW-Maut-Systems zu hohe Betriebskosten beim Bund in Rechnung stellte. Erst dann stellte er eine externe Anzeige bei den Strafverfolgungsbehörden.

Erst nachdem die Ermittlungen eingestellt worden waren, trat er an die Öffentlichkeit: Zeit online und Panorama berichteten über den Fall. Obwohl sich Wedler damit an die Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts gehalten hatte, stehe er nun, so Falter, "privat und beruflich vor dem Scherbenhaufen". Eine Kompensation seiner finanziellen und beruflichen Nachteile lehnte die Deutsche Telekom vor kurzem ab.

Handeln Hinweisgeber gemeinnützig? Für Annegret Falter stellt sich hier die Frage: "Wollte Joachim Wedler sein Unternehmen TollCollect schädigen oder vielmehr die Bundesregierung und die SteuerzahlerInnen vor Abrechnungsbetrug schützen?" Der gesetzlich festgezurrte "Vorrang der internen Abhilfe" provoziere solche Schicksale und pervertiere die Idee des Whistleblowings, warnt Whistleblower-Expertin Falter. Mit diesem Meldeweg werde der Erstzugriff der betroffenen Unternehmen und Behörden auf brisante Informationen gesichert und sei "die höchste Hürde für öffentliche Aufklärung".

Aus Sicht des Whistleblower Netzwerks unterstellt der Richtlinienentwurf dem Hinweisgeber niedere Motive, wenn er zunächst auf dem internen Meldeweg besteht. Der Fall des Whistleblower Martin Porwoll zeigt, dass diese Vorgabe kontraproduktiv ist: Porwoll deckte in der Alten Apotheke in Bottrop die systematische Unterdosierung von Krebsmitteln durch seinen Arbeitgeber auf. Diesen hätte er aber nach dem aktuellen Richtlinien-Entwurf über seinen Verdacht informieren müssen. Porwoll schreibt daher an Justizministerin Barley: "Wollte ich, Martin Porwoll, einen ehrbaren Bottroper Apotheker schädigen oder Krebspatientinnen vor Krankheit, Elend und Tod bewahren?"

In einer Petition plädieren 81 zivilgesellschaftliche Organisationen an den Europäischen Rat, die Position des Europäischen Parlaments zu übernehmen. Das Parlament verlangt keinen Vorrang des internen Meldewegs. Auch das Whistleblowing International Network, das in über 35 Ländern zivilgesellschaftliche Organisationen unterstützt, drängt nun in einem Offenen Brief an alle 28 europäischen Justizminister darauf, auf den verpflichtenden internen Meldeweg zu verzichten. Eine derartige Regelung würde bereits bestehende Gesetze in verschiedenen Mitgliedstaaten untergraben.

In den Niederlanden können sich Hinweisgeber an eine externe Whistleblower-Institution wenden, die in Zusammenarbeit dem Whistleblower den geeignetsten Meldeweg festlegt. In Schweden räumt die Verfassung sogar Beamten das Recht ein, ohne Einmischung sich direkt an die Medien zu wenden. In Österreich betreibt die Staatsanwaltschaft eine anonyme Hotline, die Berichte über mögliche Wirtschaftsvergehen oder Korruption entgegennimmt. Nach dem Zusammenbruch des Bankensektors und einer Reihe von Skandalen in der Regierung und in Strafverfolgungsbehörden hat Irland das europaweit fortschrittlichste Whistleblower-Gesetz verabschiedet: Der irische Protected Disclosures Act von 2014 erlaubt es jedem Arbeitnehmer, sich direkt an Regulierungsbehörden zu wenden, wenn sie glauben, dass ihre Informationen "im Wesentlichen wahr" sind. Entsprechend müssen sie nicht zunächst ihren Arbeitgeber informieren.

Das Whistleblowing International Network weist darauf hin, dass in der Praxis die meisten Hinweisgeber sich zuerst an ihren Arbeitgeber wenden. Eine externe Meldung finde daher nur selten statt. Eine Studie für das französische Arbeitsministerium stellte 2016 fest, dass 57 Prozent der Arbeitnehmer sich zunächst an einen Kollegen wenden. Eine britische Studie ergab, dass sogar 82 Prozent ihre Bedenken zunächst dem Arbeitgeber mitteilen. In den USA bevorzugen sogar zwischen 90 und 97 Prozent der Arbeitnehmer die interne Meldung, wie eine Unternehmensbefragung wiederholt feststellte.

Eine obligatorische interne Berichterstattung hingegen schaffe "reale und unnötige Kommunikationsbarrieren", da der Arbeitgeber damit bestimmte Meldewege und -systeme vorschreiben könne, warnt das Whistleblowing International Network. Die Hinweisgeber müssten daher erraten, ob sie noch rechtlich geschützt sind, wenn sie sich an Aufsichtsbehörden oder Polizei wenden. Meist erfahren sie das erst nach Abschluss der Gerichtsverhandlung. Von dieser rechtlichen Unsicherheit gehe eine "abschreckende Wirkung" aus. In der Lebensmittelindustrie beispielsweise werde sich kaum ein Arbeitnehmer noch an die Behörden wenden, wenn er nicht sicher nachweisen könne, dass etwa von vergifteten Eiern tatsächlich ein ernsthaftes Gesundheitsrisiko ausgehe. Bis sich der Arbeitnehmer darüber wirklich im Klaren sei, könne es dann aber bereits zu spät sein.

Nach den EU-Vorschlägen müssten Arbeitnehmer ihre brisanten Informationen aus der normalen Führungshierarchie heraushalten und offiziell Bericht über den vom Arbeitgeber vorgeschriebenen Meldekanal erstatten. Das könne zu einem Berichtsstau in dem jeweiligen Büro sorgen, warnt das Whistleblowing International Network, und den normalen Informationsfluss blockieren. Überdies ermöglichten die internen Berichte es böswilligen Arbeitgebern, die Justiz zu behindern. Der EU-Entwurf sehe nämlich eine dreimonatige Frist vor, in der diese dann ihre Vertuschung perfektionieren und den Hinweisgeber diskreditieren könnten. Die Regelungen zum Schutz der Hinweisgeber machten damit das Whistleblowing "gefährlicher" und "unwahrscheinlicher". (olb)