Kritik an Diesel-Fahrverbot auf A40: "nicht verhältnismäßig" und "völlig absurd"
Das erste angeordnete Diesel-Fahrverbot auf der A40 in Essen lässt die Gemüter hochkochen. Deutliche Kritik kommt aus der Politik.
Das am Donnerstag vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen angeordnete Fahrverbot für Diesel-Fahrzeuge ab Juli 2019, das erstmals auch einen Abschnitt einer Autobahn betrifft, stößt auf breite Kritik in der Politik. Die betroffene Autobahn A40 gilt als Verkehrsschlagader im Essener Stadtgebiet, sodass nicht nur Pendler von dem Fahrverbot betroffen sind, sondern auch der Auto-Fernverkehr.
Die nordrhein-westfälische Landesregierung will gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts deshalb in Berufung gehen. Das kündigte NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) in Düsseldorf an. "Wir sind von der Härte des Urteils sehr überrascht", sagte Heinen-Esser. Da eine "Lebensader des Ruhrgebiets" mit Hunderttausenden Pendlern betroffen sei, müsse die Verhältnismäßigkeit der Entscheidung überprüft werden.
Die Deutsche Umwelthilfe, die auf Änderung des Luftreinhalteplans für das Ruhrgebiet geklagt hatte, sprach zuvor von einem bahnbrechenden Urteil. Es werde "eingehen in die Geschichte der Luftreinhaltung, da zum ersten Mal eine Bundesautobahn, ein Symbol der Mobilität in Deutschland" in ein Fahrverbot einbezogen wurde, sagte DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch.
Diskussion "aus einer unglaublichen Wohlstandssituation heraus"
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) kritisierte das Fahrverbot für die Autobahn scharf. "Ich halte es nicht für verhältnismäßig", sagte er am Donnerstag bei einer CDU-Veranstaltung in Stuttgart. Solche Diskussionen gebe es nur in Deutschland und "auch nur aus einer unglaublichen Wohlstandssituation heraus". Scheuer verwies auf eine Milliarden-Förderung des Bundes für saubere Luft in Städten. "Aber wir stellen fest, dass auch alte Luftreinhaltepläne die Basis von diesen Gerichtsurteilen sind." Diese seien daher zu aktualisieren.
Vertreter des Landes NRW hatten in der mündlichen Verhandlung betont, dass durch schon geplante Maßnahmen eine Grenzwerteinhaltung im Jahr 2020 an fast allen Messstationen gelingen werde. Eine Aufnahme von Fahrverboten in neue Luftreinhaltepläne sei unverhältnismäßig und würde eine zeitliche Verzögerung bedeuten.
Diese Argumentation ließ die Kammervorsitzende Margit Balkenhol bei ihrer Entscheidung zum Diesel-Fahrverbot nicht gelten. Die Prognosen der Behörden seien nicht nachvollziehbar. Nur mit Fahrverboten sei man "auf der sicheren Seite". Fahrverbote seien unverzichtbar, um die Gesundheit der Anwohner zu schützen. Trotz der Belastungen für Autofahrer und Wirtschaft seien sie auch verhältnismäßig. Immerhin seien die Grenzwerte schon seit mehr als neun Jahren in Kraft, merkte Balkenhol an.
Herbeigemessenes Verkehrschaos
Die FDP-Fraktion im Bundestag nannte die A40-Sperrung "völlig unverhältnismäßig". Der FDP-Bundestagsfraktionsvize Frank Sitta bezeichnete das Gerichtsurteil zu Diesel-Fahrverboten auch auf einer vielbefahrenen Autobahn in Essen als "völlig absurd". Sitta sagte der Deutschen Presse-Agentur in Berlin: "Das hat mit Verhältnismäßigkeit nun wirklich nichts mehr zu tun. Wenn im Ruhrgebiet ein totales Verkehrschaos herbeigemessen wird, kann auch niemand behaupten, dass das der Gesundheit der Bevölkerung irgendwie dienlich ist."
Sitta kritisierte außerdem: "Die Spielräume, die es beim Aufstellen der Messstationen gibt, dürfen nicht nur so genutzt werden, um Höchstwerte aufzuspüren, sondern so, dass das mit der Lebenswirklichkeit der Menschen wenigstens im Entferntesten noch etwas zu tun hat." Der FDP-Bundestagsabgeordnete sagte, die Bundesregierung müsse aktiv werden.
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Oliver Krischer geht davon aus, dass es "in absehbarer Zeit" weitere Urteile zu Fahrverboten in Dortmund und Bochum geben wird. Das werde eine unübersichtliche Lage im Ruhrgebiet zur Folge haben.
Der Automobilclub ADAC nannte es inakzeptabel, dass "die Dieselfahrer für die Tricksereien der Automobilindustrie und die lange Untätigkeit der Politik alleine die Zeche zahlen müssen".
Die SPD im Düsseldorfer Landtag erneuerte ihre Forderung nach einem Notfallplan für das Bundesland. "Laschet legt das Land lahm", sagte SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty mit Blick auf Ministerpräsident Armin Laschet (CDU).
Grenzwertüberschreitungen
Die A40 ist eine der wichtigsten Verkehrsadern im Ruhrgebiet. Sie verbindet Duisburg im Westen mit Dortmund im Osten des Reviers und wird auch von vielen Lastwagen genutzt. Der vom Diesel-Fahrverbot betroffene Abschnitt durchschneidet ein Wohngebiet, die Häuser stehen nur wenige Meter von der Fahrbahn entfernt. An dieser Stelle war 2017 ein Stickoxid-Wert von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel gemessen worden. Erlaubt sind nur 40 Mikrogramm. In Essen wurde der Grenzwert noch an vier weiteren Stationen überschritten.
Das Verwaltungsgericht entschied, dass in der Essener Sperrzone vom 1. Juli 2019 an nur noch Dieselfahrzeuge der Schadstoffklasse 5 oder höher, vom 1. September an dann nur noch Diesel-Fahrzeuge der Klasse 6 fahren dürfen. In der Nachbarstadt Gelsenkirchen soll die Kurt-Schumacher-Straße bereits vom 1. Juli an nur noch für Euro-6-Diesel befahrbar sein. Für Gewerbetreibende soll es jeweils Ausnahmen geben.
Maßnahmen gegen Diesel-Fahrverbote
Die Bundesregierung brachte am Donnerstag weitere Maßnahmen gegen Fahrverbote auf den Weg. Das Kabinett beschloss, dass in Städten mit relativ geringen Überschreitungen des Grenzwerts für gesundheitsschädliche Stickoxide Diesel-Fahrverbote "in der Regel" nicht verhältnismäßig sind – weil andere Maßnahmen ausreichten, um den Grenzwert einzuhalten. In Städten mit Höchstwerten von bis zu 50 Mikrogramm soll es keine Fahrverbote geben.
Die DUH hat in Sachen Luftreinhaltung bereits mehrere Urteile erwirkt. Zuletzt hatte das Verwaltungsgericht Köln in der vergangenen Woche entschieden, dass Köln und Bonn 2019 in zwei Schritten – im April und September – Fahrverbote einführen sollen. Das Land hatte angekündigt, dagegen Berufung einlegen zu wollen. In Hamburg sind Fahrverbote auf zwei Strecken in Kraft, in mehreren anderen Städten wie Berlin, Frankfurt oder Stuttgart sind sie geplant. (olb)