Missing Link: Eine Medienrevolution, 500 Jahre später, oder: Der Medien Werk und Martin Luthers Beitrag

95 Thesen, verfasst vom Theologie-Professor Martin Luther, schnell gedruckt und vom Pedell an die Wittenberger Kirchen genagelt: Am 31. Oktober vor 500 Jahren begann die größte Medienrevolution der menschlichen Geschichte.

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Buchdruck, Bibel, Gutenberg

(Bild: Ernst Zeeh, Gemeinfrei (Creative Commons CC0))

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Vor 500 Jahren ärgerte sich der Wittenberger Theologe und Augustiner-Mönch Martin Luther über den Handel mit Ablässen. Die gerade aus dem Mittelalter entlassenen Menschen sorgten sich um ihren Seelenfrieden am jüngsten Tag und sollten ihn mit Ablassbriefen erkaufen. Das hielt der sture deutsche Mönch für Unsinn, denn Gottes Gnade ist, in bibeltreuer Lektüre gewonnen, von all den Schachereien unabhängig. Die 95 Thesen, die er in Wittenberg an Kirchentüren anschlagen ließ, sind die "erste Extraausgabe der Weltgeschichte", wie Egon Friedell es in Anlehnung an die Zeitungsausgaben seiner Zeit formulierte: Eine Medienrevolution veränderte die Welt.

"Der Buchdruck ist das letzte Geschenk (Gottes). Durch den Buchdruck nämlich sollte nach Gottes Wille der ganzen Erde die Sache der wahren Religion im Vergehen der Welt bekannt und in alle Sprachen ausgegossen werden. Er ist gewiss die letzte, unauslöschliche Flamme der Welt." (Martin Luther)

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Gott bedient sich der gedruckten Bibel, um seine Botschaft zu verkünden. Profaner gesagt: Durch den Buchdruck, durch die Fähigkeit zum selbständigen Lesen und Studieren der Bibel als Wissenschaft der Religion wurden die Menschen vor 500 Jahren erstmals von der göttlichen Informationsversorgung unabhängig. Jedes Mitglied der Kirchengemeinde konnte und sollte in der gedruckten und jederzeit verfügbaren Bibel lesen und mit dieser Hilfe zur Selbsthilfe seinen Gott, seinen eigenen Zugang zum christlichen Glauben finden.

Die von Luther nach den damals modernsten wissenschaftlichen Kriterien ins Deutsche übersetzte Bibel sollte zu einem Medium werden, aus dem jeder Christ authentische Informationen von Gott erhalten konnte. Priester nach alter Art sollte es nicht geben, stattdessen heiratsfähige Prediger und vor allem Schulen, die die Menschen im Umgang mit den Informationen lehrten. Konsequent forderte Luther Bibliotheken für alle. Medienkompetenz 1.0 war es, Gott selbst zu erkennen und seine Lehre als freier Mensch anzunehmen.

Welch grundlegende Veränderung bei der von Luther angestoßenen Reformation den Menschen veränderte, beschrieb der Linguist Michael Giesecke so: "Gott hat den Menschen als letztes Geschenk eine typografische Datenverarbeitungsanlage vermacht und sie zugleich mit seiner göttlichen Weisheit gespeichert. Alle notwendigen Informationen und Lehren können aus dieser Maschine abgerufen werden."

Doch wie kam es zur Revolution in der Informationstechnik? Im Jahr 1517 zog der Dominikaner-Mönch Johann Tetzel wieder einmal durch die deutsche Provinz und verkaufte Ablässe, streng nach Tarif. Sodomie (homosexuelle Handlungen) kostete 12 Dukaten (was heutzutage rund 900 Euro entspräche), Kirchenraub 9, Hexerei 6 und Elternmord vergleichsweise günstige 4 Dukaten in einer Zeit, in der es noch keine Pflegeversicherung und Rente gab. Bei Tetzel konnte man sogar ein Ablassdepot für künftige Schandtaten anlegen, außerdem gab es Preissausschreiben und so etwas wie die Vorläufer der heutigen Rubbellose.