Funk-Nachbrenner

Seite 7: MIMO

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In den letzten Jahren hat sich eine grundsätzlich andere Technik als Turbolader für WLANs herauskristallisiert, die in den nächstschnelleren 802.11n-Standard einfließen wird. MIMO (Multiple Input, Multiple Output) erreicht höhere Datenraten über mehrere räumliche Ausbreitungswege (Spatial Multiplexing). Dabei nutzt eine Station mehrere Sender über jeweils eigene Antennen gleichzeitig (Multiple Input, aus Sicht des Funkkanals), und das auf derselben Frequenz.

Was auf den ersten Blick wie eine Anleitung zum Stör-Desaster anmutet, funktioniert in der Praxis, weil die Funkwellenausbreitung innerhalb von Gebäuden besonderen Regeln folgt. Außer der direkten Verbindung gibt es immer mehrere Nebenwege, auf denen Teile des Signals zum Empfänger gelangen, beispielsweise über Reflexionen an Wänden oder Metallteilen (Türzargen, Schränke, Jalousien). Normalerweise ist diese Mehrwegeausbreitung (Multipath Propagation) unerwünscht, weil das gleiche Signal zeitversetzt mehrfach am Empfänger eintrifft und sich bei ungünstigen Laufzeiten und Stärken gar auslöschen kann.

Einfache Mehrantennensysteme (SIMO, MISO) verbessern die Funkverbindung durch Gruppengewinn und Diversity. MIMO steigert dagegen die Kanalkapazität durch räumliche Parallelübertragung.

Installiert man aber mehrere Empfänger mit eigenen Antennen (Multiple Output), kann die Station bei geschickter Kodierung das Gemisch aus unterschiedlichen Datenströmen und deren Reflexionen entwirren. Dabei steigt die Datenrate linear mit der Anzahl der Sender/Empfänger-Züge, allerdings um einen durchschnittlichen Faktor 0,7 reduziert, weil auch dieses Verfahren in der Praxis nie perfekt funkt. Bei drei Sender/Empfängerzügen, die einzeln mit 54 MBit/s übertragen, würden so 0,7 × 3 × 54 MBit/s, also typisch 113 MBit/s herauskommen. Als zusätzlichen Bonus ermöglicht die Verrechnung der Einzelsignale eine moderate Reichweitensteigerung.

Mit einer MIMO-Implementierung ist anno 2003 der Chipsatzhersteller Airgo Networks vorgeprescht. Als erster Geräteproduzent sprang im Herbst 2004 Belkin auf den MIMO-Zug auf. Zwar besitzen die Geräte drei Antennen, sie nutzen senderseitig aber immer nur zwei. Die maximale Bruttorate ist mit 108 MBit/s doppelt so hoch wie bei 802.11g, was auch das von Atheros angebotene Channel Bonding erreicht. Jüngst hat Airgo angekündigt, zusätzlich zur MIMO-Technik auch Channel Bonding zu implementieren und damit den Durchsatz nochmals zu verdoppeln. Erste WLAN-Produkte mit dem AGN300 getauften Chipsatz sollen im Winter 2006 auf den Markt kommen.

Ein weiterer MIMO-Gewinn liegt darin, dass die hohen Datenraten über weitere Gebäudestrecken erhalten bleiben, eben weil die unvermeidbaren Reflexionen hier nicht stören, sondern bewusst genutzt werden. Im Umkehrschluss verspricht MIMO auf Richtfunkstrecken im Freien keinen nennenswerten Vorteil, weil dabei kaum Reflexionen auftreten.

Leider hat es in den letzten Monaten reichlich Verwirrung darüber gegeben, ob die Airgo-Lösung mit irgendwann erscheinender Hardware nach 802.11n kompatibel sein wird, was Belkin durch das Label Pre-n suggeriert. Die Situation vor der Verabschiedung von 802.11g im Sommer 2003 ist mit der aktuellen jedoch nicht vergleichbar: Während damals 802.11g schon fast fertig war und vorher verkaufte Hardware durch Treiber- respektive Firmware-Updates standardkonform wurde, ist bei 802.11n im Moment noch nicht einmal sicher, wie der Physical Layer im Detail aussehen wird. Der PHY ist im Allgemeinen fest in die Hardware einer WLAN-Karte gegossen, er lässt sich nicht durch Firmware-Upgrades ändern. Das Bewerben als Pre-n stieß deshalb auf berechtigte Kritik, nicht nur seitens der Konkurrenz, sondern auch von der Herstellervereinigung Wi-Fi Alliance, die in Eigenregie Kompatibilitätstests durchführt und ein Siegel vergibt.

Nach den Erfahrungen in der Vergangenheit ist nicht zu erwarten, dass die momentan verkauften MIMO-Lösungen mit zukünftiger 11n-Hardware schneller als mit 54 MBit/s kommunizieren werden. Zudem sind IEEE-Standardisierungsgremien zum Großteil aus Herstellervertretern zusammengesetzt, was ganz natürlich dafür sorgt, dass sich keine Lösung durchsetzt, die einem einzelnen Anbieter einen allzu großen Vorsprung bescheren würde. Wer jetzt eine irgendwie geartete Super-G-WLAN-Ausrüstung kaufen will, kann das guten Gewissens tun. Mit sich selbst spielen diese Lösungen zuverlässig, aber man muss sich im Klaren sein, dass die Hardware beim späteren Ausbau des hauseigenen WLANs wieder auf 54 MBit degradiert wird – ähnlich wie es mit dem vor 802.11g populären 22-MBit-Equipment ("802.11b+") passiert ist, das heute faktisch nur noch mit 11 MBit/s funkt. (je) ()