Nach dem Change Management ist vor dem Change Management, Teil 3

Seite 2: Wertschätzung

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Wenn Wertschätzung ihren Einzug in die Teamkommunikation hält, dann befindet sich die Gruppe in einem auch für die Zukunft erfolgversprechenden Veränderungsprozess. Wertschätzung ist die grundsätzlich positive Bewertung eines anderen Menschen, unabhängig von seinen Taten und Handeln. Es bezieht sich auf die eigene innere Haltung anderen gegenüber Wertschätzung und ist geprägt von Respekt, Wohlwollen und Anerkennung.

Thomas A. Harris hat diese Haltung in der Transaktionsanalyse mit "ich bin OK – du bist OK" bezeichnet und sagt damit, dass nur mit dieser inneren Grundeinstellung eine Kommunikation auf Augenhöhe statt finden könne. Mit positiver Grundeinstellung – der grundsätzlichen Wertschätzung anderen Menschen gegenüber – ist das Fundament gelegt für zukunftsorientierte Feedback- und Fehlerkulturen, für einen bedingungslosen Wissensaustausch und ein an den menschlichen Bedürfnissen orientiertes Werteschema.

Eine Teamkultur mit Wohlfühleffekt, in der sich alle einem gemeinsamen Ziel verbunden fühlen, kann sich nur so entwickeln. Eine Kultur und Kommunikation der Wertschätzung bedeutet gleichzeitig den Abschied von Ellenbogengesellschaft, Vorurteilen, Ablehnung und Diskriminierung.

Wertschätzung bedeutet nicht, dass alle Beteiligten "beste Freunde" sein müssen und immer ein und dieselbe Meinung haben sollten. Wertschätzung zeigt sich vielmehr besonders in Situationen, in denen Beteiligte grundsätzlich verschieden sind in Wesen und Ansichten und sich trotzdem den nötigen Respekt entgegenbringen, indem sie offen über ihre Meinungen und Standpunkte diskutieren und diese auch anerkennen. Wertschätzung bedeutet auch, Vorurteile als das zu erkennen, was sie sind – subjektive Meinungen und keine harten Fakten –, stets verbunden mit der Bereitschaft, diese auch zu überdenken.

Vorurteile sind besonders in Gruppen, die sich nicht freiwillig formiert haben, in unterschiedlichen Abstufungen immer vorhanden und können ein Grund dafür sein, dass die Effizienz innerhalb eines Teams nicht hoch genug ist. So sind unter anderem Vorurteile – meist auf beiden Seiten der Beteiligten – ein Auslöser dafür, dass zum Beispiel Frauen in der IT unterrepräsentiert sind, abteilungsübergreifendes Arbeiten häufig sehr schwierig ist und Silos sich nur schwer auflösen lassen oder Veränderungen problematisch scheinen. Niemand wird je frei von Vorurteilen sein; es geht vielmehr darum, wie sowohl einzelne Personen und ganze Teams als auch Führungskräfte mit ihnen umgehen.

In vielen Teams gehören zum Beispiele lockere Sprüche, anzügliche Bemerkungen und grenzwertige Witze zur Tagesordnung. Und offensichtlich lacht jeder mit. Aber lacht wirklich jeder mit oder ist bei dem einen oder anderen nur "gute Miene zum bösen Spiel" angesagt? Zum Beispiel kommt in Diskussionen um Frauen in der IT regelmäßig die Aussage – wohlgemerkt von Männern –, dass eine Frau einem Team gut tun würde, weil "die Jungs sich dann mal anständig benehmen und besser aufpassen müssten, was sie sagen". Doch wie viele Vorurteile und Annahmen stecken in dieser Aussage? Hier ein paar Beispiele:

Die Männer benehmen sich untereinander nicht anständig und achten auch nicht darauf, was sie sagen.

  1. Frauen erwarten einen anderen Umgangston.
  2. Frauen kommen mit dem vorherrschenden Umgangston nicht zurecht.
  3. Männer benehmen sich automatisch besser, wenn Frauen mit dabei sind.
  4. Männern kommen mit dem vorherrschenden Umgangston gut zurecht.
  5. Es interessiert die Führungskräfte nicht, ob der Ton und das Verhalten für die Männer in Ordnung sind.

Diese Liste ließe sich noch weiter fortsetzen. Der meist nur unbedacht geäußerte Ausgangssatz ist ein klassisches Beispiel für eine Kommunikation mit wenig Wertschätzung, dafür aber vielen Vorurteilen und Annahmen. Aber wer sagt, dass Männer mit derben Sprüchen immer gut umgehen können? Oder ist hier eher die Angst davor, sich den anderen als "zu empfindlich" zu präsentieren, der Grund für das Mitlachen? Selbstverständlich soll Arbeit Spaß machen. Es dürfen Witze erzählt und Sprüche gemacht werden; doch sollten Grenzen erkannt und auch verbal nicht überschritten werden – bei Männern wie bei Frauen. Die persönlichen Grenzen anderer Menschen zu erkennen und zu achten, ist ein wichtiger Ausdruck von Wertschätzung und Respekt.

Weiterhin zeigt sich Wertschätzung in der ausdrücklichen Anerkennung von Leistungen und Einsatz. Gute Leistungen als selbstverständlich vorauszusetzen, ist das eine; doch gute Leistungen sind es wert, als solche auch explizit benannt zu werden.

Hier hat der Verhaltenskodex in Open-Source-Communitys einen entscheidenden Vorteil: Alle Beitragenden (contributors) werden namentlich genannt und erhalten damit ihre Anerkennung und Wertschätzung. Menschen, die in einem Umfeld von Wertschätzung und Anerkennung arbeiten, sind motivierter und leistungsbereiter. Sie können sich besser auf die eigentlichen Aufgaben konzentrieren und gehen positiver mit Kritik um. Wenn ein Team in der Lage ist, positiv mit Kritik umzugehen und sich dabei auf die Sachaussage zu konzentrieren, ist es in der Lage, an schwierigen Situationen zu wachsen und aus Fehlern Lösungen zu generieren.