Verzählt: Überhöhte Rechnung wegen defektem Stromzähler

Wenn ein Zähler ausfällt, schätzen Versorger den Verbrauch. Lieferant und Messstellenbetreiber schieben die Verantwortung hin und her, mit Folgen für Kunden.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Tim Gerber
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Dies ist ein Beitrag aus unserer Magazin-Rubrik Vorsicht, Kunde!, der erstmals am 23.2.2024 in c't 5/2024 erschienen ist.

Seit einem guten halben Jahrzehnt bezog Werner H. Strom für seinen Haushalt von der Energiegut GmbH, einem zu den Stadtwerken Duisburg gehörenden Versorgungsunternehmen. Sein Verbrauch lag stabil bei ziemlich genau 5000 Kilowattstunden im Jahr, was etwa dem Durchschnitt für einen Vierpersonenhaushalt entspricht. Mit der Abrechnung gab es nie Probleme. Einmal im Jahr forderte das Energieunternehmen den Zählerstand an, worauf Werner H. ihn an dem betagten, aber zuverlässigen Zähler ablas und per Post einsandte. Ein paar Wochen danach erhielt er dann die Jahresabrechnung.

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Die Ablesungen erfolgten jedes Mal Anfang Mai. Zwischen dem 7. Mai 2017 und dem 7. Mai 2020 hatte der Kunde insgesamt wenig mehr als 15.000 Kilowattstunden verbraucht, der letzte Zählerstand betrug 281.579 Kilowattstunden. Im Jahr 2021 ging die Ablesung aus nicht mehr nachzuvollziehenden Gründen unter, der Energieversorger legte seiner Jahresrechnung deshalb einen statistisch ermittelten Verbrauch zugrunde, wie es in § 40a Absatz 2 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) vorgesehen ist. Heraus kamen für den Zeitraum von Mai 2020 bis Mai 2021 realistische 5722 Kilowattstunden.

Am 1. Mai 2022 las Werner H. den Zähler wieder ab und der zeigte nun völlig unerklärliche 351.861 Kilowattstunden an. Seit der letzten Ablesung vor zwei Jahren sollte Werner H. also 70.282 Kilowattstunden Strom verbraucht haben. Abzüglich der mit der Rechnung vom Mai 2021 bereits bezahlten 5722 Kilowattstunden wollte der Duisburger Energieversorger laut Rechnung vom 19. Januar 2023 noch 64.644 Kilowattstunden bezahlt haben, woraus abzüglich bereits bezahlter Abschläge ein Rechnungsbetrag von schwindelerregenden 16.163 Euro resultierte. Von Februar 2023 an sollte der Kunde nun Abschläge von 3697 Euro monatlich für den Stromverbrauch seines Durchschnittshaushaltes bezahlen.

Unverzüglich widersprach Werner H. per E-Mail der exorbitanten Rechnung und bat um eine umgehende Prüfung seines Stromzählers. Den Rechnungsbetrag buchten die Duisburger Versorger Anfang Februar ab, woraufhin Werner H., die Lastschrift am 10. Februar über seine Bank zurückrief und erneut den Energieversorger anschrieb und um Prüfung bat. Er sei bereit, bis zur endgültigen Klärung der Sache einen Abschlag von 300 Euro zu zahlen, die geforderten knapp 4000 Euro könne er allerdings nicht aufbringen.

Am selben Tag informierte der Kunde auch den Netzbetreiber, die zum e-on-Konzern gehörende Westenergie AG, widersprach auch ihr gegenüber der Messung des Stromzählers und bat Westenergie ebenfalls um Prüfung desselben. Bei dem Zähler handelt es sich um ein betagtes Modell Baujahr 1988 mit elektromechanischem Ferraris-Zählwerk. Eigentlich gelten diese Zähler als recht zuverlässig und derartige Ausreißer sind ausgesprochen selten.

Da er auf seine Schreiben vom Februar keine Antwort erhielt, erinnerte Werner H. beide Unternehmen mit Briefen jeweils vom 3. März erneut an die allfällige Prüfung des Stromzählers. Von Energiegut erhielt er als Antwort am 26. April lediglich eine "fristlose" Kündigung seines Stromliefervertrages zum 19. Mai 2023.

Mit Westenergie kam Anfang April immerhin ein Termin für eine Prüfung des Zählers für den 17. April zustande. Mit Schreiben vom 2. Mai übersandte die Westenergie Metering GmbH dem Kunden den Messschein, aus welchem ersichtlich sei, "dass der Zähler die in der Verwaltungsvorschrift ‚Gesetzliches Messwesen – Allgemeine Regelung‘ (GM-AR) gestellten Anforderung nicht erfüllt hat", wie es in dem Schreiben des verantwortlichen Messstellenbetreibers hieß. Dem Prüfprotokoll waren Messabweichungen von mehr als 226 Prozent zu entnehmen. Der Prüfzeitraum betrug allerdings nur zwei Stunden, sodass nicht auszuschließen ist, dass der Zähler über den Zeitraum von zwei Jahren erheblich größere Fehlmessungen abgeliefert hat.

Bereits im April 2023 wurde festgestellt, dass der Stromzähler von Werner H. defekt war. Die darauf beruhende, exorbitante Rechnung hat der Energieversorger bis heute nicht korrigiert.

Doch die beiden Energieunternehmen zeigten sich nicht bereit, Korrekturen an der Verbrauchsabrechnung vorzunehmen. Also wandte sich Werner H. am 6. Mai mit seinem Problem an die Schlichtungsstelle Energie. Die eröffnete am 8. Mai ein Schlichtungsverfahren und teilte Werner H. das Aktenzeichen 9566/23 mit. Im Juli 2023 informierte ihn die Schlichtungsstelle, dass die beteiligten Versorgungsunternehmen nun angeschrieben worden seien und innerhalb von drei Wochen zu der Sache Stellung nehmen sollen.

Im Oktober teilte die Schlichtungsstelle mit, dass im ersten Schritt keine Einigung mit den Unternehmen erzielt worden sei, sodass das Verfahren nun in die zweite Stufe gehe. In diesem Schritt soll die Schlichtungsstelle nach der Verfahrensordnung einen Schlichtungsvorschlag machen. Das ist bis heute nicht erfolgt, obwohl die Verfahren eigentlich innerhalb von drei Monaten abgeschlossen sein sollen.

Ende Dezember wandte sich Werner H. mit seinem recht abstrusen Fall an die Redaktion und legte uns alle seine Rechnungen sowie das Schreiben mit dem Prüfprotokoll des Zählers vor. Wir wandten uns daraufhin am 9. Januar an die Pressestellen von Westenergie und Duisburger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft mbH als Muttergesellschaft des Stromlieferanten Energiegut und stellten zahlreiche Fragen zur Beschaffenheit des Zählers sowie zum Datenaustausch zwischen den Beteiligten im Fall von Werner H. Warum hatte man dem Kunden trotz seines doch nachweislich berechtigten Widerspruchs gegen die abnorme Rechnung den Vertrag gekündigt? Warum hatte der Messstellenbetreiber den Energieversorger nicht über den Ausfall des Zählers informiert?

Service im Visier
Vorsicht Kunde!

Immer wieder bekommen wir E-Mails, in denen sich Leser über schlechten Service, ungerechte Garantiebedingungen und überzogene Reparaturpreise beklagen. Ein gewisser Teil dieser Beschwerden ist offenbar unberechtigt, weil die Kunden etwas überzogene Vorstellungen haben. Vieles entpuppt sich bei genauerer Analyse auch als alltägliches Verhalten von allzu scharf kalkulierenden Firmen in der IT-Branche.

Manchmal erreichen uns aber auch Schilderungen von geradezu haarsträubenden Fällen, die deutlich machen, wie einige Firmen mit ihren Kunden umspringen. In unserer Rubrik „Vorsicht, Kunde!“ berichten wir über solche Entgleisungen, Ungerechtigkeiten und dubiose Geschäftspraktiken. Damit erfahren Sie als Kunde schon vor dem Kauf, was Sie bei dem jeweiligen Unter nehmen erwarten oder manchmal sogar befürchten müssen. Und womöglich veranlassen unsere Berichte ja auch den einen oder anderen Anbieter, sich zukünftig etwas kundenfreundlicher und kulanter zu verhalten.

Falls Sie uns eine solche böse Erfahrung mitteilen wollen, senden Sie bitte eine chronologisch sortierte knappe Beschreibung Ihrer Erfahrungen an: vorsichtkunde@ct.de.

Von Energiegut erhielten wir am 16. Januar eine Antwort: "Unsere Fachabteilung ist derzeit in der Bearbeitung des Falles. Gerne würden wir schnellstmöglich eine Rechnungskorrektur durchführen und Herrn H. eine korrigierte Rechnung zusenden. Leider stehen hierfür noch Daten des Netzbetreibers sowie der Westenergie Metering GmbH aus, die wir angefragt haben. Allerdings haben wir bislang weder auf schriftliche noch auf telefonische Auskunftsersuchen Antworten erhalten. Sobald die erforderlichen Informationen vorliegen, werden wir die Rechnungskorrektur final durchführen und Herrn H. eine korrigierte Rechnung zusenden."

Mit dieser Aussage konfrontierten wir die Westnetz AG am 25. Januar. Nach einigem Hin und Her erhielten wir dann am 31. Januar eine aussagekräftige Auskunft: Beim hausinternen Beschwerdemanagement habe sich gezeigt, dass der Westenergie ein Fehler unterlaufen sei. Normalerweise hätte drei Monate nach dem Zählerwechsel im April 2023 eine Kontrollablesung erfolgen sollen, damit nach dem Zählerwechsel eine gewisse Datengrundlage zum Verbrauch vorliege. Diese Ablesung sei im Dezember beauftragt und jetzt noch einmal priorisiert worden.

Der Zähler aus dem Jahr 1988 sei wie vorgeschrieben alle fünf Jahre geeicht worden. Die letzte Eichung fand im Jahr 2019 statt und galt bis 2024. Nach einer Analyse des konkreten Falles werde der Stromverbrauch nun auf Basis des Fehlerbefundes korrigiert. Bis Redaktionsschluss war das allerdings noch immer nicht erfolgt.

Mit der Liberalisierung des Energiemarktes ging einst das Versprechen einher, dass private Anbieter kundenfreundlicher und flexibler sein würden als die staatlichen Stadtwerke alter Prägung. Der Fall von Werner H. lässt erheblich an dieser These zweifeln. Auch hätte ein Zivilgericht das Verfahren wohl längst abgeschlossen – im Gegensatz zum überlangen Schlichtungsverfahren allerdings nicht ohne Kosten.

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(tig)