Der stationäre IT-Fachhandel muss sich neu erfinden

Quo vadis, stationärer IT-Fachhandel? Tja, wohin geht er? Geht er überhaupt irgendwo hin? Oder tritt er einfach nur auf der Stelle? Eines ist für heise-resale-Kolumnist Damian Sicking sicher: In einer für ihn zunehmend lebensfeindlichen Biosphäre findet der IT-Fachhandel nur in der Nische ausreichend Nahrung.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Damian Sicking

EP-Chef Dr. Jörg Ehmer

(Bild: EP)

Lieber ElectronicPartner-Chef Dr. Jörg Ehmer,

was das Jahr 2012 gesamtwirtschaftlich (Euro- und Schuldenkrise) und konjunkturell bringen wird, das kann heute keiner sagen. Eins aber ist so sicher wie das Amen in der Kirche: Auch das Jahr 2012 wird für den IT-Handel wieder eine ganze Reihe von Herausforderungen bereit halten. Ein Spaziergang wird es nicht werden.

Da ist zum einen der nicht kaputt zu kriegende Glaube mancher Hersteller, sie müssten ihren eigenen Direktvertrieb stärken. Sei es in Form einer personellen Aufstockung ihrer "Sales-Reps" (also jener gut aussehenden und redegewandten Menschen in Anzug und Kostüm, die mit den Kunden Kaffee trinken nach der Devise "Mach dir ein paar schöne Stunden, geh zum Kunden"), sei es durch Auf- und Ausbau eines eigenen Online-Shops. Die Denke hinter diesen Hersteller-Aktionen: Wenn man nicht alles selber macht, dann wird das nichts. Ich hatte gerade in der vergangenen Woche mit ein paar Branchenbeobachtern eine lebhafte Diskussion zu diesem Thema. Tenor: Ein Hersteller, der über eine intakte Partnerstruktur verfügt und diese hegt und pflegt, der braucht keinen Direktvertrieb, zumindest nicht in der Form eines Online-Shops. Im Gegenteil: Er riskiert damit, mit dem Hinterteil etwas umzustoßen, was er vorher mühevoll mit den Händen aufgebaut hat.

Doch es sind nicht nur diese "Partner" aus der Industrie, die dem IT-Handel das Leben schwer machen. Vor allem der stationäre Handel steht mit dem Rücken zur Wand. Das Internet und die Online-Händler haben seine Welt massiv verändert. Doch damit nicht genug: Jetzt verschärft sich noch die Situation. Der Internet-Gigant Amazon hat sich eine weitere Gemeinheit ausgedacht, um dem stationären Handel Kunden und Geschäft wegzunehmen. Konkret handelt es sich um eine kostenlose Amazon-App, die sich der kaufwillige IT-Nutzer auf sein Smartphone laden kann und mit der er in jedem beliebigen Laden einfach den Barcode einer Verpackung oder auch nur ein Produkt fotografieren kann, und wenige Augenblicke später erhält er das passende Angebot von Amazon. Per 1-Click-Button kann er das Produkt dann auch sofort bestellen. Doch damit der Perfidie noch nicht genug: Verläßt der Kunde den Laden, ohne dort zu kaufen, bekommt er von den freundlichen Amazonen noch bis zu fünf Dollar geschenkt. Doppelter Vorteil für Amazon: Wenn das Angebot preislich niedriger liegt als im Laden, ist die Chance hoch, dass der Kunde direkt bestellt. Zweitens: Amazon ist auf diese Weise immer ganz aktuell über die Preise draußen im Lande informiert.

In Deutschland befindet sich dieser Angriff auf den stationären Handel ("Amazon Memo") noch im Versuchsstadium. Aber ich habe keinen Zweifel, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis diese Funktion von Amazon auch hierzulande massiv beworben wird. Ich hatte darüber vor ein paar Tagen eine kurze Notiz sowohl in Xing als auch in der Intel-Partner-Community auf Facebook verfasst und interessante Kommentare erhalten. Der ehemalige Ingram-Micro-Manager Patrick Sonnenstrahl zum Beispiel schreibt:

"Im Vergleich zum stationären Handel wird man bei Amazon weder mies beraten noch unfreundlich bedient und bei Umtausch und/oder Reklamierungen nicht dümmlich behandelt. Ich habe schon seit Jahren keinen Media/Saturn mehr betreten, kleinere Fachgeschäfte meide ich und bestelle alles online. Günstig, problemlos und ohne Stress! Garantien, Gewährleistungen, Rücksendungen: alles unproblematisch. Und der Preis ist bei Amazon meist der günstigere."

Autsch, das nennt man dann ja wohl einen kräftigen Tritt vor´s Schienbein des stationären Händlers. Es gibt Gott sei Dank auch andere Stimmen, die auf anderen Erfahrungen im stationären Handel basieren. Wie zum Beispiel Martin Puscher, ein Mann ebenfalls mit Distributionserfahrung (Actebis, CHS) und auch heute noch dem Channel verbunden. Puscher schreibt dazu auf der Facebook-Seite der Intel Technology Provider (ITP):

"Das mit der Gutschrift beim Online-Einkauf (statt im Ladengeschäft) ist schon ein Kracher und wohl auch ein Frontalangriff auf den beratungsorientierten Handel. (…) Ich mag gute und sympathische Beratung mit Sachverstand. Kompetenz und Sympathie werden immer ihren Wert behalten. Aber: Unternehmer und Verkäufer aus dem kompetenzorientierten Handel und aus den fachorientierten Systemhäusern müssen zweifelsohne weiterlernen. Wie identifiziere ich `Preis-Geier´ schon auf den ersten Blick? Wie verkaufe ich meine spezifischen Mehrwerte?"

Eins ist inzwischen hoffentlich völlig unstrittig: Ein Fachhändler, dessen "Kompetenz" sich allein im Preis erschöpft, dessen Verfallsdatum ist definitiv schon lange abgelaufen. Ich frage mich, ob Puschers "kompetenzorientierter Fachhandel" (der Begriff gefällt mir sehr gut) nicht nur seine bekannten und hoffentlich auch vorhandenen Stärken (Beratung, Service etc.) pflegen und kommunizieren, sondern nicht auch an anderen Schrauben drehen muss. Beispielhaft seien hier Ladengestaltung sowie Sortimentszusammenstellung genannt. Vielleicht muss sich der Fachhändler von manchen Produkten oder Produktgruppen radikal trennen, sobald diese von der Großfläche oder den E-Tailern im Preis verrissen werden. Es ist dies eine ähnliche Situation wie bei den Value Add Distributoren: Magirus-Chef Fabian von Kuenheim antwortete mir kürzlich auf meine Frage, ob er sich von den großen Broadlinern nicht bedroht sehe, weil diese immer mehr auf Value Add setzen, dass dies für ihn kein Problem, sondern eine alte Geschichte sei. Immer wenn ein bestimmtes Produkt oder eine Produktgruppe von den Broadlinern ins Sortiment aufgenommen werde, sei es für Magirus Zeit, sich davon zu verabschieden und sich einem neuen Thema zuzuwenden. Vielleicht ist diese Denke bei den IT-Fachhändlern inzwischen auch dringend nötig.

Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Man fragt sich, welche Produkte der Fachhandel dann überhaupt noch vernünftigerweise vermarkten kann. Vielleicht ist ja dies ein Denkansatz: Ich hatte mich an dieser Stelle bereits vor zwei Jahren einmal mit diesem Thema unter der Überschrift "Wo sind die Bio-Läden des IT-Handels?" befasst. Die Idee noch mal ganz kurz: Verbraucher, die Wert auf ökologisch angebaute und verträgliche Lebensmittel legen, wissen, wo sie sie bekommen: in den Bio-Läden dieser Welt. Wohin aber wenden sich Verbraucher und Unternehmen, die auch bei der Auswahl ihres IT-Equipments Wert auf ökologische Faktoren legen? Tja, wohin? Ich weiß es nicht. Ich fürchte, sie werden sich selbst in mühevoller und zeitaufwändiger Kleinarbeit anhand von Prospekten, Zeitschriftenartikeln und Internetseiten schlau machen müssen. Eigentlich ein Skandal, finden Sie nicht? Der Fachhändler hingegen, der sein Sortiment nach ökologischen Kriterien zusammenstellt, erbringt für den Kunden eine echte Serviceleistung, in dem er dem Kunden die ganze Last der Recherche abnimmt und "ökologische“ Produkte anbietet.

Ich frage mich wirklich, warum bisher noch kein IT-Händler darauf gekommen ist, sich als "Bio-IT-Laden“ zu spezialisieren. Hier ist ein wachsender Markt, der vom IT-Handel noch überhaupt nicht zur Kenntnis genommen worden ist. Ich jedenfalls bin fest davon überzeugt, dass die Zahl der Menschen wächst und weiter wachsen wird, die beim Kauf ihres PCs und des sonstigen IT-Gedöns auch ökologische Faktoren in ihre Kaufentscheidung mit einfließen lassen, zumindest hier in Deutschland und anderen westlichen Ländern. Damit öffnet sich hier auch und gerade unter Marktaspekten für den IT-Fachhandel ein sehr interessantes und lukratives Betätigungsfeld.

Ich bin nach wie vor überzeugt davon, dass so ein "Bio-IT-Laden“ funktionieren würde. Was für eine tolle Möglichkeit, sich vom Wettbewerb zu differenzieren und ein eigenes starkes Profil aufzubauen (Stichwort "Alleinstellungsmerkmal")! Und: Mit dieser Spezialisierung entkommt man ein ganzes Stück der leidigen Preisdiskussion. Der Verbraucher hat schließlich gelernt, dass "Bio“ oder "Öko“ teurer ist, und er ist bereit, diesen Aufpreis zu zahlen.

Dies ist sicher nur ein Modell, gewiss gibt es noch weitere. Sicher scheint mir, dass der stationäre IT-Fachhandel etwas tun muss. Ein "Weiter so" ist keine Option. Pathetisch gesprochen, muss sich der stationäre IT-Fachhandel neu erfinden, wenn er eine Zukunft haben will. Und zwar muss er es jetzt tun. Oder wie sehen Sie´s?

Beste Grüße!

Damian Sicking

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