Immer mehr Spitzenleute wollen flexiblere Arbeitszeiten – nehmen sie aber nicht

94 Prozent der Arbeitnehmer wünschen sich flexiblere Arbeitszeiten. Aber nur 46 Prozent der Frauen und 25 Prozent der Männer nutzen entsprechende Angebote auch. Die Angst, weniger wert zu sein, als die Vollzeitkräfte, verhindert den Fortschritt.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Marzena Sicking

Jede Firma ist auf gute und engagierte Mitarbeiter angewiesen. Aufgrund der Marktlage können sich Spitzenkräfte heute ihren Arbeitgeber aussuchen. Dabei zählt für sie nicht nur ein hohes Gehalt und ein repräsentativer Firmenwagen, sondern zunehmend auch ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeitszeit und Freizeit. "Work-Life-Balance“ nennt man dies in neudeutsch. Zahlreiche Firmen haben darauf reagiert und bieten entsprechende flexible Arbeitszeitmodelle an. Allerdings werden diese den Wünschen der High Potencials offenbar selten gerecht. Diesen Schluss legt zumindest eine groß angelegte Studie der Beratungsfirma Bain & Company nahe.

Insgesamt hatten sich 3300 Berufstätige in Amerika, Europa und Asien an dieser Erhebung beteiligt. Immerhin 94 Prozent der Frauen und 78 Prozent der Männer gaben an, sich für flexiblere Arbeitszeiten inklusive Teilzeit zu interessieren. Aber lediglich 46 Prozent der Frauen und sogar nur 25 Prozent der Männer nutzen entsprechende Angebote der Firmen. Eine weitere Kennzahl der Studie unterstreicht diese Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit: 60 Prozent der untersuchten Firmen boten flexiblere Arbeitszeiten an, aber nur in 18 Prozent der Fälle wurden sie von den Angestellten auch in Anspruch genommen.

Wie ist das zu erklären? Einer der wichtigsten Punkte, ist, so das Fachmagazin Harvard Business Manager (Ausgabe 2/2011), dass die Angestellten um ihre Karriere fürchten, wenn sie Teilzeitangebote in Anspruch nehmen oder ihren Chef um flexiblere Arbeitszeiten bitten. Dieser Wunsch, so die vorherrschende Meinung, könnte vom Vorgesetzten als Indiz für mangelndes Engagement oder eine eher freizeitorientierte Grundhaltung verstanden werden. Daher ist es wichtig, dass die Geschäftsführung und das Top-Management selbst hinter den Angeboten der flexibleren Arbeitszeit auch für ihre Spitzenleute steht und es sich nicht lediglich um Lippenbekenntnisse handelt. Wenn die Firmenleitung glaubhaft macht, dass es ihr weniger um die Anwesenheit im Büro, sondern um die tatsächlich erreichten Ergebnisse ankommt, verringert sich die Scheu der karrierebewussten Leistungsträger, entsprechende Angebot anzunehmen. Wichtig für die Akzeptanz flexiblerer Arbeitszeitmodelle ist auch, dass sie von möglichst vielen Kollegen derselben Hierarchiestufe genutzt werden und insofern als etwas ganz Normales angesehen werden.

Die flexibleren Arbeitszeitmodelle können in der Praxis sehr unterschiedlich sein. Sie reichen von der Einrichtung der Gleitzeit über eine mehrmonatige Auszeit bis hin zu einer (befristeten) Reduzierung der Wochenarbeitszeit. Was den Skeptikern unter den Firmenchefs zu denken geben sollte: In Unternehmen mit akzeptierten und weit verbreiteten flexiblen Arbeitszeitmodellen sind die Leistungsträger zufriedener und ihre Bindung an das Unternehmen ist höher. Außerdem empfehlen sie ihren Arbeitgeber öfter weiter. Dies hat die Bain-Studie ebenfalls ergeben. Auch ein wichtiger Faktor, denn die Unternehmen haben sich die Ausbildung ihrer Spitzenleute in der Regel Einiges kosten lassen – da wäre es doch schade und stünde dem Unternehmensinteresse entgegen, wenn diese zu einer anderen Firma abwandern, weil diese ihnen eine bessere Umsetzung der Work-Life-Balance ermöglicht. (Marzena Sicking) / (map)
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