Stille Wasser sind tief

Wer auf laute Selbstdarstellung in der Firma verzichtet, arbeitet nicht unbedingt schlechter. Er oder sie wird aber leider nur selten wahrgenommen. Zeit für den Vorgesetzten, genauer hinzuschauen.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Marzena Sicking

Schüchterne Mitarbeiter machen nur selten Karriere. Leider. Denn schüchtern bedeutet nicht arbeitsscheu, im Gegenteil. Gerade die Mitarbeiter, die sich nicht so in den Vordergrund drängen, gehören zu den Rädchen, die die Firma am Laufen halten. Sie verrichten ihre Arbeit zuverlässig und sorgfältig. Sie sind termintreu, hilfsbereit und haben oft ein hervorragendes Know-how. Und sie hoffen, dass der Chef es eines Tages merkt.

Denn schüchterne Mitarbeiter drängen sich nicht in den Vordergrund. Sie werden sich in Meetings nicht profilieren oder sich freiwillig drei Mal täglich beim Chef blicken lassen, um ihm zu erklären, wie toll sie sind. Arbeiten, für die die "Superstars" der Firma jedesmal aktiv ein Lob einfordern, erledigen sie stillschweigend. Der schüchterne Mitarbeiter, der überdurchschnittlich viel und Gutes leistet, verschwindet in der Masse, weil er sich nicht profilieren kann und will.

Viele Mitarbeiter, die eher introvertiert sind, stehen sich hier sogar selbst im Weg. Ihnen kommen Sätze wie "dafür bin ich wohl nicht der Richtige", "das kann XY sicher viel besser" viel leichter über die Lippen, als Eigenlob. Sie lassen sich von dominanten Charakteren unterbuttern und halten im Zweifelsfall schnell wieder den Mund. Das hat oft zur Folge, dass diese Mitarbeiter als weniger kompetent angesehen werden, als sie eigentlich sind.

Das ist wirklich schade, vor allem für den Chef. Denn so bekommt der gar nicht mit, welch großartiges Personal er eigentlich hat. Er fördert die, die am lautesten schreien, aber nicht unbedingt die, die auch die Besten sind. Als Vorgesetzter sollten Sie also lieber genauer hinschauen, um auch die leisen Talente in Ihrer Firma zu entdecken und mitzunehmen.

Aber wie lockt man die Schüchternen aus der Reserve? Ganz sicher nicht, in dem man sie in großer Runde auffordert, sich zu äußern. Geben Sie den Schüchternen eine Chance, ihre Meinung auf anderem Wege kund zu tun. Wenn neue Ideen oder Vorschläge gefragt sind, dann bestehen sie nicht darauf, dass diese im nächsten Meeting – also quasi öffentlich – vorgetragen werden. Bitten Sie die Mitarbeiter, Ihnen ihre Vorschläge per Mail zu schicken. Das kostet einen schüchternen Mitarbeiter zwar auch Überwindung, aber die Chancen stehen gut, dass Sie dann auch ein bereits perfekt ausgearbeitetes Konzept auf den Tisch bekommen. Sprechen Sie über diese Idee mit dem Mitarbeiter und zwar zunächst unter vier Augen. Positive Bestärkung ist enorm wichtig. Selbst wenn die Vorschläge des schüchternen Kollegen nicht immer 100-prozentig passen, so sollten Sie darauf achten, ihn zu weiteren Äußerungen zu ermutigen. E-Mails von Mitarbeitern sollten Sie deshalb immer beantworten und dabei auch darauf achten, sie nicht kurz "abzubügeln". Sonst verschrecken Sie möglicherweise den schüchternen Mitarbeiter nachhaltig.

Eine gute Möglichkeit, um schüchterne Mitarbeiter ein wenig aus der Reserve zu locken, sind außerdem Mitarbeitergespräche, die z.B. alle sechs Monate stattfinden. Besonders gut ist es, die Themen vorab zu besprechen, so dass der Mitarbeiter genau weiß, was auf ihn zukommt und somit entspannt in das Gespräch gehen kann. Suchen Sie aber auch sonst von sich aus regelmäßig das Gespräch mit Ihren Angestellten. So ist die Gefahr geringer, dass Sie nur die Alphatiere auf dem Radar haben. Auch wenn der schüchterne Mitarbeiter das persönliche Lob nicht einfordert – er traut sich eben nicht – so ist er genauso darauf angewiesen, wie die Alphatiere in Ihrer Abteilung. Lob und Anerkennung sind ausgesprochen wichtig.

Wenn Sie die heimlichen Talente in Ihrer Abteilung ausgemacht haben, sollten Sie sie aber dennoch nicht gegen ihren Willen ins Rampenlicht zerren. Bieten Sie lieber Kurse an, die dem Schüchternen helfen, seine Ängste im Job zu überwinden, wie Rhetorik-Seminare, Präsentationstechniken und ähnliches. (masi)