Zielgruppe Frustkäufer!

Der IT-Handel hat eine wichtige Zielgruppe bisher links liegen gelassen: die Frustkäufer! Ein Riesenfehler!!! Denn hier läßt sich viel mehr Geld verdienen als mit Kunden, die mit sich und der Welt im Reinen sind. Also ran an den Kummerspeck!

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Damian Sicking

MSH-Chef Roland Weise

(Bild: Media-Saturn)

Lieber Media-Saturn-Chef Roland Weise,

wie zufrieden sind Sie mit dem Jahresendgeschäft? Ich nehme an, sehr zufrieden. Die Läden sind voll, die Leute kaufen. In einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach gaben 45 Prozent der Menschen an, sich ein Notebook zu Weihnachten zu wünschen, ebenfalls 45 Prozent würden sich über einen Flachbildfernseher unterm Weihnachtsbaum freuen, und bei fast jedem Vierten der Befragten stehen Navigationsgeräte, Multimediahandys und digitale Spiegelreflexkameras auf dem Wunschzettel. Das muss Sie glücklich machen, lieber Herr Weise, denn alle Produkte gibt es in den Läden von Media-Saturn zu kaufen. Und dass die Kunden auch wirklich zu Ihnen kommen, dafür soll der Komiker Mario Barth ("Das ist mein Laden!") auf allen Fernsehkanälen sorgen. Was für ein Fest!

In den drei Wochen vor Weihnachten macht MSH so viel Geschäft wie sonst unterm Jahr in zwei Monaten. Rund 20 Milliarden Euro Umsatz erwarten Sie für das Gesamtjahr, davon neun Milliarden Euro in Deutschland. Damit kann die MSH-Gruppe sogar in diesen Krisenzeiten ihren Umsatz gegenüber 2008 (weltweit: 19, Deutschland 8,7 Milliarden Euro) steigern. Im kommenden Jahr wollen Sie in Deutschland weitere sieben bis acht Märkte aufmachen und – wichtiger vielleicht noch – den ersten Laden in China (Shanghai). Kurzum: Bei MSH scheint es wieder richtig gut zu laufen, ein richtiges Sommerloch hat es in diesem Jahr auch nicht gegeben und nächstes Jahr werden die Menschen sicher auch wieder Elektronikspielzeug kaufen. Dass Sie es bisher noch immer nicht geschafft haben, einen funktionierenden Online-Shop auf die Beine zu stellen, verzeiht Ihnen die Branche sicher gerne.

Lieber Herr Weise, ich weiß jetzt gar nicht so genau, ob in Ihren Läden Musik läuft. Ich meine jetzt nicht in den CD- und Hifi-Abteilungen, sondern flächendeckend, diese Musik halt im Hintergrund, von der man in Kaufhäusern und manchem Supermarkt "berieselt" wird, wie man sagt. In den meisten sonstigen PC-Läden, die ich kenne, läuft ja keine Musik. Ein Fehler, wie ich jetzt erfahren habe. Dass Musik kaufstimulierend wirkt, ist ja an und für sich keine neue Erkenntnis. Aber hätten Sie gedacht, dass nicht das fröhliche Kaufhaus-Tralala, sondern vielmehr im Gegenteil traurige Musik viel stärker zum Shoppen verführt??? Nein? Dann geht´s Ihnen wie mir. Aber es ist so. Oder zumindest scheint es so zu sein. Wissenschaftler haben jedenfalls herausgefunden, dass traurige und niedergeschlagene Menschen die am ehesten zu verführenden Kunden sind. "Traurige Musik regt zum Shoppen an", berichtete kürzlich die Zeitschrift "Wunderwelt Wissen" und beruft sich im Wesentlichen auf Forschungen der amerikanischen Wissenschaftlerin Cynthia Cryder. Diese hat herausgefunden, dass traurige Testpersonen für dieselben Waren fast viermal mehr Geld ausgeben als ausgeglichene Kunden. Interessant, nicht wahr?

Für den Handel sind diese Erkenntnisse natürlich von unschätzbarem Wert. Und zwar nicht nur für den stationären Handel. Auch im Telesales müssen wir umdenken: weg mit Britney Spears aus der Warteschleife und rein mit Leonhard Cohen (weitere Vorschläge für Tauermusik – PDF). Auch für die Vertriebsleute in den Systemhäusern sind die Forschungsergebnisse interessant: Sie müssen komplett umdenken. Nicht mehr ist es die beste Verkaufstaktik, den Kunden durch allerlei Späße in eine gute Laune zu versetzen, sondern ihn in eine schlechte, traurige Stimmung zu bringen ("Finden Sie nicht auch, dass alles den Bach runter geht?"). Und ich gehe jede Wette ein: Die erfolgreichsten VBs sind diejenigen mit den größten Tränensäcken unter den Augen (jetzt wird mir auch klar, weshalb Derrick-Darsteller Horst Tappert bei den Frauen so beliebt war).

Vor diesem Hintergrund frage ich mich natürlich, ob der Komiker Mario Barth wirklich die beste Wahl für Ihre Werbung ist, denn viele Menschen in Deutschland finden Barth ja lustig und werden durch seine Späße in eine fröhliche und damit tendenziell konsumverzichtende Stimmung versetzt. Oder haben Sie es am Ende auf die eher betuchten Leute mit einem gewissen Niveau abgesehen, die es unendlich traurig macht, dass so ein Kasper wie Barth so viel Geld verdient?

Beste Grüße!

Damian Sicking

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