MIT Technology Review 12/2017
S. 82
Fokus
Präzisionsmedizin
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Medikament nach Maß

Seit Langem träumen Mediziner von der individualisierten Medizin. Nun sollen Unmengen neuer Daten und künstliche Intelligenz sie endlich ermöglichen. Die Frage ist allerdings: Wie gläsern muss der Patient dafür werden?

Der Traum von einer Medizin der Zukunft geht so: Kommt ein Patient zum Arzt, dann erhält dieser Einblick in sämtliche Informationen, die für Diagnose und Therapieentscheidung hilfreich sein könnten. Untersuchungsergebnisse und Behandlungen aus einem ganzen Patientenleben sind per Mausklick verfügbar, ebenso die Genomsequenz mit allen Risikofaktoren. Der Arzt kann sich zudem über Essgewohnheiten, Blutzuckerwerte und Schlafrhythmen informieren oder erfahren, wann und bei welcher Pulsfrequenz sich sein Patient bewegt, wann er Schmerzen hatte, wie es um Beziehung und Job steht, welche Luft er atmet und vieles mehr. Weil der gute Doktor von solcher Datenfülle heillos überfordert sein dürfte, stehen ihm machtvolle Werkzeuge der künstlichen Intelligenz zur Verfügung. Deren Algorithmen verknüpfen die Symptome, Messwerte, Lebensumstände und Risikofaktoren mit den neuesten Studiendaten. Der Patient hilft dabei zugleich der Forschung – sein weiterer Behandlungsverlauf ist Teil einer medizinischen Studie in bislang unbekanntem Umfang.

Präzisionsmedizin nennen die Visionäre den Traum vom gläsernen Patienten, ein erstes Fundament soll die in den USA von Präsident Barack Obama ins Leben gerufene „Precision Medicine Initiative“ legen. Mindestens eine Million Freiwillige aus dem ganzen Land werden dabei ihre Krankengeschichte offenlegen, DNA-Proben abgeben, in detaillierten Fragebögen Auskunft über ihr Leben geben und Daten aus Fitness-Trackern und Gesundheits-Apps in die elektronischen Krankenakten einspeisen. Eine „neue Ära der Medizin“ kündigte Obama 2015 mit dem Projekt an. Seit September dieses Jahres werden die ersten Freiwilligen in einem Probelauf erfasst.