Angesehen: Gnome 3.6

Der Datei-Manager erhielt ein Facelifting, dem einige Funktionen zum Opfer fielen. Das VM-Werkzeug Boxes und das Datenträgertool Gnome-Disk, die auch unter Cinnamon und Unity eingesetzt werden, sind gereift. Die Kontoverwaltung gewährt Programmen nun Zugriff auf Facebook-Freunde und Microsofts SkyDrive.

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Von
  • Thorsten Leemhuis
Inhaltsverzeichnis

Das Gnome-Projekt hat das dritte Major Update des Gnome-3-Desktops veröffentlicht. Das ist nicht nur für Gnome-Nutzer von Bedeutung, sondern auch für Anwender von Cinnamon und Ubuntus Unity relevant, da diese Bedienoberflächen viele Programme von Gnome nutzen und auf dessen Infrastruktur zurückgreifen.

Anwendungen von Gnome 3.6 (9 Bilder)

Nautilus 3.6

Der Dateimanager Nautilus bringt eine Reihe neuer Funktionen; einige alte wurden im Rahmen der Umbauten aber geopfert.

Eine der wohl auffälligsten und schon vorab meist diskutierten Neuerungen ist eine größere Überarbeitung der Oberfläche von Nautilus. Der Datei-Manager zeigt beim Start nun die zuletzt verwendeten Dateien, wie es der Dialog zum Öffnen und Speichern von Dateien schon länger tut. Die Entwickler haben zudem die Such-Funktion ausgebaut; um sie zu nutzen, muss man lediglich drauflos tippen. In den Kontext-Menüs findet sich nun die Einträge "Verschieben nach" und "Kopieren nach", die zur Auswahl des jeweiligen Aktionsziels einen Datei-Auswahl-Dialog anzeigen. Die Menü-Leiste entfällt; einige der dort bislang zugänglichen Funktionen finden sich nun über den Anwendungseintrag in der oberen Leiste der Gnome Shell, in der sich Nautilus schlicht als "Dateien" identifiziert. Einen Schnellüberblick über das neue Bedieninterface liefert ein Video (wählen Sie die Worldwide-Version) der Website "World of Gnome".

Die Änderungen sollen das Programm konsistenter, ansehnlicher und effizienter machen, wie Gnome-Entwickler William Jon McCann in einem Blog-Eintrag erläutert. Dort beschreibt er auch, warum die Entwickler im Rahmen der Umbauten einige Funktionen entfernt haben; darunter jene zum Anzeigen einer Zweitansicht in einem eigenen Fensterbereich (Extra Pane), die kompakte Ansicht und die Type-Ahead-Suche.

Gnome 3.6

Dieser Funktionsrückbau hatte zuvor Kritik bei Entwicklern und Testern hervorgerufen. Die Macher von Cinnamon-Desktop und Linux Mint haben daher die alte Nautilus-Version aus Gnome 3.4.2 unter dem Namen Nemo wiederveröffentlicht und wollen Mint diesen Fork beilegen. Auch die Ubuntu-Entwickler waren mit den Einschnitten unzufrieden und legen aktuellen Vorabversionen von Ubuntu 12.10 Nautilus 3.4.2 bei; ob sie auf Nemo umsteigen, auf den neuen Nautilus wechseln oder die Situation anders lösen, ist noch unklar. Der Nautilus-Umbau ist indes noch nicht abgeschlossen: Für Gnome 3.8 sind weitere Änderungen geplant.

Das aus Palimpsest hervorgegangene Programm Gnome-Disks bietet nun wieder die Benchmark-Funktion, die bei Umbauten für Gnome 3.4 geopfert wurde. Zudem kann das Werkzeug jetzt die Stromsparfunktionen und die Lautstärke-Einstellungen (Acoustic Management) bei ATA-Platten einstellen und Datenträger sicher löschen. Neu ist auch eine Funktion zum Einhängen von Images. Länger dauernde Aktionen wie das Anlegen eines Platten-Image zeigt das Programm jetzt ein einem eigenen Fenster an und informiert das System, um beispielsweise einen Wechsel in den in den Bereitschaftsmodus zu verhindern oder den Anwender auf möglichen Folgen hinzuweisen.

Die Entwickler haben ferner das Programm zur Analyse der Datenträgerbelegung renoviert. Beim Start zeigt Baobab nun eine Übersicht mit dem Füllstand der Datenträger, wie es ähnlich das Programm df auf der Kommandozeile macht. Wählt man einen Datenträger aus, zeigt Baobab in einer Liste übersichtlich an, welche Verzeichnisse den meisten Platz belegen; zudem gibt es zwei Diagrammansichten, über die sich die größten Brocken leicht finden lassen.

Das bei Gnome 3.4 noch als "Preview" eingestufte Programm Boxes gehört nun offiziell zur Sammlung der Gnome-Anwendungen. Die Software kann virtuelle Maschinen auf lokalen oder entfernten Systemen einrichten und ist erheblich simpler als der Virt-Manager. Zudem ermöglicht es den Zugriff auf entfernte Systeme, wozu es VNC oder Spice nutzt.

Der IM-Client Empathy erhielt ein Facelifting und soll dadurch besser zum Design des Gnome-3-Desktops passen. Die meist kontaktierten Gesprächspartner zeigt das Programm nun an prominenterer Stelle an.

Das schlicht "Webbrowser" genannte Programm Epiphany stellt in neuen Fenstern nun ein "Overview" mit den am häufigsten besuchten Webseiten dar, wie es ähnlich auch bei Firefox seit einer Weile der Fall ist. Im Vollbildmodus ist vom Browser-Interface nun nichts mehr zu sehen.

Die Entwickler der Gnome-Anwendungen haben bereits einige Änderungen für Gnome 3.8 geplant oder schon umgesetzt; darunter das Programm Gnome-Clocks, das Weltzeit-Funktionen, Wecker und Stoppuhr bieten soll. Für Gnome-Disks ist Unterstützung für MD-Software-RAIDs geplant; das Tool soll zudem Partitionsgrößen ändern können. Für Totem ist ein Facelift geplant und Epiphany soll auf WebKit2 aufsetzen.

Desktop-Elemente von Gnome 3.6 (15 Bilder)

Desktop

Der Desktop von Gnome 3.6.

Über die Systemeinstellungen kann man nun auch Online-Konten für Facebook konfigurieren; startet man anschließend den IM-Client, bezieht der automatisch die Chat-Kontakte von der Social-Media-Site, sodass man ohne weitere Konfiguration mit seinen Freunden chatten kann. Die Unterstützung für Windows-Live-Konten haben die Entwickler ausgebaut, wodurch Gnome-Documents nun auf Dokumente bei SkyDrive zugreifen kann. Gnome-Online-Accounts unterstützt nun auch Exchange Web Services (EWS); das ermöglicht die Einrichtung einer Exchange-Anbindung über die Kontenverwaltung, auf die Evolution anschließend zurückgreift.

Über die Benutzerverwaltung von Gnome lässt sich nun auch die Anbindung an ein Active Directory konfigurieren; Details dazu liefert ein Blog Eintrag von Stefan Walter.

In der Aktivitäten-Ansicht der Gnome-Shell fehlen nun die Einträge, um von der Fenster-Ansicht auf die Anwendungsansicht umzuschalten. Letztere erreicht man nun, indem man das Gitter-Icon ganz unten im Dash aufruft.

Die Statusleiste am unteren Rand wurde stark umgebaut ist deutlich größer als zuvor. Sie zeigt sich im Normalbetrieb nicht mehr, wenn man den Mauszeiger kurz in die recht untere Ecke fährt; vielmehr muss man ihn nun einen Moment am unteren Bildschirmrand postieren oder die Tasten Super (bei PCs typischerweise die linke Windows-Taste) und M gleichzeitig drücken. Der Fensterbereich fährt dann hoch, sodass die Leiste keine Anwendungsfenster mehr überdeckt.

Beim Vollschirmbetrieb einer Anwendung zeigt die Gnome-Shell nur noch wichtige Meldungen am unteren Bildschirmrand. Die Shell blendet Mitteilungen jetzt erst aus, nachdem der Anwender mit dem System interagiert hat, damit er keine Information verpasst.

Nach viel Kritik in der Gnome-3-Anfangsphase haben die Entwickler nun einen Eintrag zum Ausschalten des Systems eingebaut. Er ersetzt den Eintrag, über den der Anwender das System bisher in den Bereitschaftsmodus schicken konnte. Den zaubert man durch Festhalten der Alt-Taste wieder hervor; man kann das System aber auch durch Schließen des Notebook-Deckels oder Betätigen des Einschaltknopfs schlafen legen.

Die geplante Funktion zum automatischen Update von Gnome-Shell-Erweiterungen wurde nicht rechtzeitig fertig; sie soll jetzt mit Version 3.8 kommen. Bis auf weiteres muss man Erweiterungen daher weiter manuell oder über eine Seite auf extensions.gnome.org aktualisieren, wenn man sie nicht über Paketdepots der Distribution bezieht.

Ähnlich wie schon bei der Einführung von Gnome 3.4 haben viele Programmierer ihre Erweiterungen noch nicht an die neue Gnome-Version angepasst. Daher bot die Erweiterungs-Webseite für Gnome 3.6 nur etwas mehr als zwanzig Extensions an; einem System mit Gnome 3.4.2 offerierte die Website über zweihundert Erweiterungen.

Beim Sperren des Systems zeigt Gnome 3.6 einen Lock-Screen mit Datum und Uhrzeit, über den man auch die Audio-Lautstärke regeln kann. Gnome kann dort auch eingehende Nachrichten ausgeben oder ein Interface anzeigen, um Multimedia-Player wie Rhythmbox im gesperrten Zustand zu steuern; diese Funktionen kann man über die Systemeinstellungen ein- und ausschalten.

Um die Systemsperre aufzuheben, muss der Anwender die Übersichtsseite per Mausgeste, Escape oder Return vertreiben, bevor sich das Passwort eingeben lässt. Die Entwickler haben zudem das Design von Entsperr-Dialog und Login-Screen des Gnome Display Managers (GDM) abgeglichen, wodurch sich diese jetzt ähneln.

Im Konfigurationsmodul für Maus und Touchpads kann man für Letztere nun "Natürliches Scrollen" aktivieren, damit der Bildschirminhalt in die Richtung fährt, in die man den Finger bewegt. Auch die Unterstützung für Wacom-Zeichentablets haben die Entwickler ausgebaut.

Gnome 3.6 integriert Unterstützung für Intelligent Input Bus (IBus), ein Framework zum Nutzung von Eingabemethoden unter anderem für chinesische, japanische und koreanische Schriftzeichen.

Das Programm zur Druckereinrichtung erhielt eine Reihe von Verbesserungen; dadurch kann man nun die Adresse von Netzwerkdruckern spezifizieren oder einen bestimmten Treiber vorgeben.

Das Programm zur Netzwerkkonfiguration listet nun alle ihm bekannten WLAN-Verbindungen auf. Die Gnome-Shell-Funktion zum Verbinden mit WLANs zeigt jene mit der besten Signalqualität oben in der Liste an.

Die Komponenten von Gnome 3.6 sind auf den Einsatz mit den aktuellen Versionen von Clutter, GLib und GTK gedacht; viele Gnome-Programme nutzen zudem nicht mehr Gstreamer 0.10, sondern das Anfang der Woche veröffentlichte Gstreamer 1.0.

Ähnlich wie bei den Gnome-Anwendungen gibt es auch bei den Kernbestandteilen von Gnome bereits Pläne für die Version 3.8, die Ende März 2013 erscheinen soll. Gnome-Keyring soll dort als "deprecated" (veraltet) eingestuft und durch Libsecret abgelöst werden, das auf das Secret Service API und darüber erreichbare DBus-Dienste zurückgreift. Libsecret wurde maßgeblich von zwei Programmierern entwickelt, die am Gnome Keyring und der KDE-Software KWallet arbeiten.

Zudem gibt es Überlegungen, den 2D-Fallback-Modus bei Version 3.8 fallen zu lassen, weil die Gnome-Shell mittlerweile dank Llvmpipe auf vielen Systemen läuft, für die es keine 3D-Grafiktreiber gibt; zudem werde der Fallback-Modus kaum mehr getestet, wie eine Wiki-Seite erläutert. Dort wird allerdings auch erwähnt, dass Llvmpipe auf manchen Prozessor-Architekturen und vermutlich auch bei BSD-Derivaten wie OpenBSD nicht arbeite.

Gnome 3.6 bringt eine ganze Reihe von Verbesserungen, die den Alltag erleichtern und den ohnehin schon schicken Desktop noch etwas runder machen. An einige Neuerungen muss man sich aber erst gewöhnen, bis das deutlich wird, und manche Änderungen hätten noch etwas Feinschliff gebrauchen können. So wird es einige Anwender stören, dass man die Statusleiste nicht mehr so schnell per Maus öffnen kann; auch das Entsperren verlangt dem Anwender jetzt einen Mausklick oder Tastendruck mehr ab.

An den Nautilus-Umbauten werden sich die Geister scheiden. Einige der dadurch eingeführten Neuerungen sind nett und pfiffig. Die kompakte Ansicht wird aber manchem Anwender fehlen; und wer durch Programme wie Norton- oder Midnight-Commander jahrelang eine Zweibereichsansicht verwendet hat, wird sich wohl nur schwerlich damit abfinden können, etwas vergleichbares jetzt mit Tabs oder zwei Nautilus-Fenstern realisieren zu müssen.

Weitere Einblicke in die Neuerungen von Gnome 3.6 liefern die Release Notes, ein Blog-Eintrag von Gnome-Entwickler Allan Day und eine Serie von Einträgen im Blog von Matthias Clasen; die hat er zumeist anlässlich einer neuen Gnome-Vorabversion verfasst, um die dort eingezogenen Neuerungen zu beschreiben und mit Screenshots zu zeigen. (thl)

Mehr Infos

Linux-Distributionen und Gnome 3.6

Fedora 18, geplant für Ende November, wird Gnome 3.6 in seiner Hauptvariante als Standard-Desktop einsetzen. Wer die Alpha von Fedora 18 installiert und aktualisiert, erhält recht aktuelle Vorabversionen der Gnome-3.6-Komponenten; im Fedora-Buildsystem finden sich bereits die finalen Versionen, die die Entwickler in Kürze über die Update-Depots nachreichen wollen.

Ähnlich ist es beim für Oktober geplanten Ubuntu 12.10, das viele, aber offenbar nicht alle Gnome-3.6-Komponenten enthalten wird. Nautilus etwa soll von Gnome 3.4.2 stammen. Auch das Brennprogramm Brasero und der Multimedia-Player Totem stammen in den aktuellen Vorabversionen der Distribution aus Gnome 3.4.2; die zu Gnome 3.6 gehörenden Versionen gibt es in einem PPA. Einige Mitglieder der Ubuntu-Community arbeiten an einem "Ubuntu Gnome Remix", der die Gnome-Shell von Gnome 3.6 als Standard-Desktop nutzen soll.

Im OpenSuse-Entwicklerzweig Factory finden sich schon viele Komponenten von Gnome 3.6. Wie ein Mitglied des OpenSuse Gnome Team kürzlich ankündigte, bereiten die Entwickler ein Paket-Depot vor, über das Anwender das neue Gnome bei OpenSuse 12.2 nachrüsten können.

(thl)