Ausflug im Tesla Cybertruck: Die Understatement-Absage

Tesla liefert mit dem Cybertruck einen Pick-up, der stärker polarisiert als alle Konkurrenten. Wie fährt sich dieses ungewöhnliche Elektroauto?

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Tesla Cybertruck

(Bild: Bernhard Filser)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Stefan Grundhoff
Inhaltsverzeichnis

Ein Export nach Europa scheint in der derzeitigen Form ausgeschlossen, und dennoch bekommt der Tesla Cybertruck auch hierzulande eine Menge Aufmerksamkeit. Design und Dimensionen polarisieren gewaltig, und eine Ausfahrt in die Everglades ändert am zwiegespaltenen Eindruck nichts. Der Cybertruck fasziniert, doch in europäischen Innenstädten kann man ihn sich nur schwer vorstellen.

Optisch ist der knapp 5,7 Meter lange Cybertruck eine Mischung aus Offroad-Pick-up und rollendem Geodreieck und ganz sicher nichts für Ästheten. Auch ausgemachte Tesla-Jünger tun sich mit dem grobschlächtigen Kantholz auf mächtigen 285er-Offroad-Pneus schwer. Selbst im Süden Floridas, wo ein pinker Lamborghini Aventador oder eine grellgrüne Mercedes G-Klasse kaum jemandem auffällt, drehen sich Fußgänger und Autofahrer gleichermaßen nach dem Elektro-Pick-up um. Es geht in die Everglades und da dort die Ladesäulen seltener sind als die Stationen für die Alligator-Touren, empfiehlt sich ein Ladestopp am letzten Supercharger vor den Everglades am Kendall-Village-Einkaufszentrum. Mit etwas Suchen öffnet sich die Ladeklappe gut versteckt im Plastikradlauf hinten links.

Das kantig-großflächige Design innen wie außen ist eine Schau, bringt aber teilweise auch eine umständliche und nicht ganz intuitive Bedienung mit sich. Dies zeigt sich bei der versteckten Ladeklappe ebenso wie bei den Türen ohne Griff. Für die Öffnung muss man zunächst eine Sensortaste an der B-Säule drücken, bevor die Tür einen Spalt aufspringt und über die Kante geöffnet werden kann. Das Ergebnis sind reichlich Handabdrücke an allen vier Türen. Innen ist der Cybertruck kaum gefälliger als von außen. Die Bedienung ist, typisch Tesla, etwas gewöhnungsbedürftig. Da es nur ein paar Knöpfe am Lenkrad gibt, muss fast alles über das 18,5 Zoll große Display in der Mitte gesteuert werden – vom Scheibenwischerintervall bis zu den Lüftungsdüsen, die vorn und hinten elektrisch angesteuert werden. Im Fond blicken die Insassen auf ein 9,4 Zoll großen Bildschirm.

Mit einem Ladestand von 95 Prozent geht es mit offener Ladefläche los in Richtung Süden. Schnell informiert das Display, dass sich die Reichweite aufgrund "schlechterer Aerodynamik" um 25 Meilen (40 km) verringert – wie aufmerksam. Daher schließe ich das elektrische Laderaumrollo wieder und gewöhne mich daran, dass man durch den Innenspiegel keinerlei Sicht mehr nach hinten hat. Staubempfindliches Ladegut sollte bestenfalls mit in den Innenraum, weil die geschlossene Ladefläche nicht komplett dicht ist. Platz ist auch für größere Gegenstände genug vorhanden, etwa unter der Rücksitzbank. Auf der Ladefläche finden durch das Volumen von über 3400 Litern große Gegenstände ausreichend Platz und mit geschlossener Jalousie geschützt vor neugierigen Blicken und Diebstahl. An den Steckern lassen sich elektrische Geräte aller Art vom Wasserkocher bis zur Bohrmaschine anschließen. Die Anhängelast liegt bei fünf Tonnen.

Tesla Cybertruck (10 Bilder)

Der Cybertruck ist fraglos nicht gestaltet worden, um allen zu gefallen.
(Bild: Bernhard Filser)

Mit gut 483 km Reichweite geht es auf der US-41 W zunächst 32 km geradeaus ins Herz der Everglades. Das wären perfekte Bedingungen für den viel diskutierten, sogenannten Tesla Autopilot – eigentlich. Dieser ist aktuell für den Cybertruck noch nicht verfügbar, nicht einmal ein Abstandstempomat ist zu haben. Spätestens auf der Schotterpiste der Loop Road im Big Cypress National Preserve hätte der Autopilot ohnehin kapitulieren müssen. Auffällig ist, dass dieses über drei Tonnen schwere Elektromonster sich überaus komfortabel fährt. Das Um- und Durchfahren der zahllosen Schlaglöcher meistert der Tesla ungemein lässig und entspannt. Bis auf die laute Allradlenkung (nach 24.000 km Laufleistung) ist die Geräuschkulisse des Tesla Cybertruck niedrig. Offroad wurde kaum eine Pfütze oder Dreckloch ausgelassen – eine harte Prüfung für den XXL-Scheibenwischer. Dieser aktuell größte Wischer eines Serienfahrzeugs ist so massiv, dass bei jedem Richtungswechsel ein Impuls an die Karosserie weitergegeben wird. Das spürt man selbst hinter dem Steuer.

Es geht weiter durch dschungelähnliche Wälder, über zahllose Brücken und vorbei an vielen Touristen, die den vorbeifahrenden Cybertruck auf einmal interessanter als die spektakuläre Natur der Everglades finden. Selbst in den USA hat dieses Raumschiff noch immer Seltenheitswert. Beim nächsten Fotostopp werden wir von einem Deutschen angesprochen: "What for a car is this?" Der Urlauber habe so etwas noch nie gesehen, nicht mal auf Bildern. Das wird mit einer Fotosession nachgeholt; der ausgefallene LED-Lichtbalken fällt kaum auf.

Die Beschleunigung ist für einen derartigen Koloss beeindruckend, denn bei Vollstrom geht es in 4,5 Sekunden bis auf 100 km/h. Durch die Allradlenkung fährt sich der Cybertruck zudem deutlich handlicher, als man es bei 5,70 Metern Länge hätte erwarten können. Rangieren und Einparken erfolgen gleichermaßen mühelos, doch angesichts der Gesamtbreite von 2,40 Metern dürfte es in Europa im Alltag in der Stadt oder in Baustellen ungemütlich werden.

Nach vier Stunden Fahrzeit und 200 km ist der Supercharger in Coral Terrace, einem südlichen Stadtteil von Miami, erreicht. Der Batteriestand zeigt 52 Prozent an. Die Reichweite ist ordentlich, wenn man bedenkt, dass die Klimaanlage angesichts von 35 Grad Celsius und der hohen Luftfeuchtigkeit permanent durchlief. Tesla verspricht bei seinem Lademeister auch dank einer Spannungsebene von 800 Volt ein Nachladen von umgerechnet bis zu 217 km in 15 Minuten an einem Supercharger der neuesten Generation.

Ein rollendes Einhorn ist der Cybertruck übrigens auch im Süden Floridas nicht. Den ganzen Tag über gab es vier Begegnungen mit anderen Cybertrucks. Man grüßt sich noch untereinander. Während ich bei der Ladepause mit meinem Beifahrer eine Limonade trinke, ertappe ich mich dabei, mir auszumalen, einen Tesla Cybertruck zu kaufen, sollte sich mein Lebensmittelpunkt in die USA verlagern. Hier gerät der Pick-up-Neuling gerade mächtig unter Druck, denn die endlosen Wartezeiten sind Vergangenheit und die einstigen Aufpreise für eine schnellere Lieferung verpuffen. Selbst Tesla-Fans berichten von einem Neupreisverfall von bis zu 10.000 US-Dollar pro Monat. Von den Schwarzmarktpreisen über 150.000 US-Dollar ist nichts mehr zu spüren und so geht es für die Basisversion des Cybertruck AWD bei exakt 99.990 US-Dollar los. Die Wartezeit liegt aktuell bei nicht einmal acht Wochen.

(mfz)