Schengener Fahndungssystem wird schrittweise erweitert

Um die neuen EU-Mitgliedsstaaten schnellstmöglich in den Schengenraum ohne interne Grenzkontrollen einzubeziehen, haben sich die EU-Innenminister auf eine Zwischenlösung mit Ausbau des bestehenden Informations- und Überwachungssystems geeinigt.

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Um die neuen EU-Mitgliedsstaaten schnellstmöglich in den Schengenraum ohne interne Grenzkontrollen einzubeziehen, haben sich die EU-Innenminister beim ihrem Ratstreffen am heutigen Dienstag in Brüssel auf eine Zwischenlösung geeinigt. Demnach soll das bestehende Schengener Informationssystems I zunächst bis zum August 2007 ausgebaut werden. Zwischenzeitlich ist vorgesehen, auch die Arbeiten am umstrittenen Schengener Informationssystem II (SIS II) weiter voranzutreiben. Dessen Fertigstellung hatte sich aufgrund technischer und organisatorischer Probleme deutlich verzögert. Damit war klar geworden, dass der Plan für Erweiterung des Schengengebiets ebenfalls außer Takt geraten würde. Dies hatte in den jungen EU-Ländern für großen Unmut über die Behandlung der dortigen Bevölkerung als EU-Bürger 2. Klasse geführt und Spekulationen über politische Motive einer Verschleppung von SIS II ausgelöst.

Mit der nun vorgesehenen Aufrüstung von SIS I zum so genannten SIS I+ beziehungsweise "SIS für alle" sollen die Kontrollen an den Land- und Seegrenzen im ersten Vierteljahr 2008 fallen, auf Flughäfen spätestens zum Flugplanwechsel am 30. März desselben Jahres. Ursprünglich war die Erweiterung des Schengenraums schon für den Herbst 2007 geplant. Voraussetzung für die Erweiterung sei allerdings, dass die zehn im Jahr 2004 neu beigetretenen Staaten bis Mitte nächsten Jahres die technischen Voraussetzungen für den Betrieb des Schengen-Informationssystem schaffen würden, betonte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Nach einer sechsmonatigen Testphase werde dann endgültig über den Wegfall der Grenzkontrollen entschieden.

An den Kosten der SIS-Interimsausweitung müssen sich Großbritannien und Irland laut der Kompromisslösung nicht beteiligen. Beide Länder sind nicht direkt an das riesige Fahndungssystem mit derzeit über 16 Millionen Einträgen über alle Einreisenden angeschlossen und wollten daher nicht für halbe Sachen bezahlen. Die Investitionen für das SIS I+ schätzt die EU auf 2,13 Millionen Euro. Der Ausbau des erforderlichen Netzes zur Datenübertragung soll zusätzlich mit 1,5 Millionen Euro zu Buche schlagen. In einigen Agenturmeldungen ist aber auch bereits von Mehrkosten von bis zu sechs Millionen Euro die Rede.

Der Einsatz von SIS 2 dürfte sich durch die Zwischenlösung weiter nach hinten verschieben. Momentan ist in Brüssel davon die Rede, dass es frühestens Anfang 2009 betriebsbereit sein werde. Laut dem tschechischen Innenminister Ivan Langer, der angesichts des Beitritts der neuen EU-Staaten zum bestehenden System von einem historischen Tag sprach, gibt es aber kein konkretes Einführungsdatum für die zweite Generation des Datenverbunds mehr. Im Gegensatz zum derzeitigen Fahndungssystem soll SIS II vor allem auch Anfragen nach biometrischen Daten wie Fingerabdrücken und Lichtbildern ermöglichen, die teilweise bereits Einzug in die Pässe der EU-Bürger halten. Generell sollen mehr Datentypen eingespeist und einfacher bei der Suche nach Kriminellen, Verdächtigen und Diebesgut miteinander verknüpft werden können.

Bürgerrechtler monierten daher frühzeitig die Installation einer "panoptischen Überwachungsmaschine", mit der ein biometrisches Register aller Einreisenden ähnlich dem US-VISIT-Programm geschaffen würde. Auch das EU-Parlament drängte jüngst auf verbesserte Sicherheits- und Datenschutzstandards. Der finnische Innenminister Kari Rajamäki betonte nach der Tagung, dass man sich mit den Abgeordneten zumindest auf eine gesetzliche Grundlage für SIS 2 geeinigt habe und somit politisch ein gutes Stück vorangekommen sei.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft hatte im Vorfeld des Ratstreffens vor leichtfertiger Eile bei der Angliederung der neuen Mitgliedsstaaten gewarnt. "Wir dürfen osteuropäischen Waffenschiebern und Menschenhändlern nicht einmal die kleinste Chance einräumen, ihr Unwesen im jetzigen Schengengebiet zu treiben", mahnte der für die Bundespolizei zuständige Fachverbandsvorsitzende, Hans-Joachim Zastrow. Um eine lückenlose Kontrolle an den Schengenaußengrenzen und im Schengenraum zu gewährleisten, müsse rasch SIS II einsatzbereit sein. Andere Varianten wären Kompromisslösungen, die Banden in Europa Tür und Tor öffnen würden. Zastrow bezweifelte, ob eine im Vergleich zu SIS II "abgespeckte" Version die Voraussetzungen eines sicher funktionierenden Schengener Informationssystems genüge.

Die Schweiz will ferner erst prüfen, ob sie bei "SIS I für alle" mitmacht. Man werde definitiv das eigene Grenzkontrollregime bis nach der Fussball-EM 2008 behalten, kündigte der Schweizer Justizminister Christoph Blocher an: "Wir haben uns so entschieden, weil es vorteilhafter ist, wir müssen für unsere Sicherheit sorgen." Prinzipiell wollen die Eidgenossen aber an den Schengenraum spätestens mit SIS 2 angeschlossen werden.

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(Stefan Krempl) / (jk)