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Ballmer sagt fünfte, sechste Computerrevolution voraus

Heute Abend wurde unter Mitwirkung von Microsoft-Chef Steve Ballmer die CeBIT eröffnet. Dabei schlüpfte er in eine Rolle, die sonst Bill Gates ausgefüllt hat.

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Steve Ballmer eroberte die Herzen der Anwesenden während der Eröffnungsfeier der CeBIT am Montagabend in Hannover gleich zu Anfang, indem der Microsoft-Chef die Computermesse als wichtigstes IT-Ereignis der Welt bezeichnete. Doch umgehend verlegte er sich in seiner Rede auf eine Rolle, für die sonst sein Kompagnon Bill Gates bekannt war, nämlich als Visionär. In einer stakkatoartig vorgetragenen Reihe präsentierte er Perspektiven für die kommenden Jahre. So stellte er umwälzende Veränderungen in der Nutzung von Computern in Aussicht, und zwar ganz auf der Linie, die Gates früher schon entlangschritt: Software als ultimative Lösung für globale Probleme. Auf Alltagsgeschäfte ging er nicht ein, nicht auf die Übernahmebestrebungen seines Konzerns gegenüber Yahoo und auch nicht auf die kürzlich von der EU-Kommission verhängte erneute hohe Geldstrafe.

Die "fünfte Computerrevolution" werde geprägt von enormen Rechenkapazitäten und einem quasi unendlichen Speicherplatz. "Hochgeschwindigkeitsverbindungen sind allgegenwärtig und die Systeme können natürlich mit Sprache und Gesten bedient werden", beschrieb Ballmer seine Zukunftsvision. Die Veränderungen würden dabei helfen, auf die globale Klimaveränderung zu reagieren sowie die Gesundheitsversorgung und die Bildung von Milliarden Menschen zu verbessern. "Sie werden die menschliche, soziale Interaktion verändern und Computer viel nützlicher und persönlicher machen."

Schon heute seien Auswirkungen der neuen Technik auf die soziale Interaktion klar absehbar, sagte Ballmer. Einer aktuellen MTV-Studie zufolge hätten Teenager und junge Erwachsene im Durchschnitt 53 Freunde. "Zwanzig davon haben sie noch nie persönlich getroffen, sondern nur über E-Mail, Chatten oder soziale Websites wie MySpace oder Facebook." In Zukunft werde es möglich sein, sich mit diesen Freunden mit Hilfe dreidimensionaler Hologramme in einem virtuellen Raum so zu treffen, als befände man sich tatsächlich in einem Zimmer.

"Ich habe während meiner 28 Jahre in der Computerindustrie vier Computer-Revolutionen erlebt", betonte Ballmer. Mit der ersten Revolution hätten sich erstmals die Massen einen PC leisten können. Die weiteren Meilensteine seien die Entwicklung von grafischen Benutzeroberflächen, der Aufstieg des Internets und zuletzt das interaktive "Web 2.0" gewesen. Die vierte, die "Web 2.0"-Revolution, habe im Jahr 2002 begonnen, als er zuletzt zur Eröffnung der CeBIT in Hannover gewesen sei.

"Wenn es bei dem Sieben-Jahres-Rhythmus bleibt, dann stehen wir heute am Ende der vierten und am dem Beginn der fünften Revolution." Intelligente Displays, die das Papier überflüssig machten, würden, wenn nicht in der fünften, dann eben in der sechsten Revolution ihren Durchbruch erleben, sagte Ballmer lapidar zur Belustigung der Zuhörer.

Nicolas Sarkozy, Präsident des diesjährigen CeBIT-Partnerlands Frankreich, erwies der CeBIT ebenso seine Aufwartung wie der Präsident der EU-Kommission José Manuel Barroso. Während Barroso naturgemäß auf die wichtige Bedeutung der Informationstechnologie für die EU einging, hob Sarkozy die Beziehungen zwischen seinem Land und Deutschland hervor. Er wies darauf hin, dass rund 2700 deutsche Unternehmen mit 300.000 Beschäftigten in Frankreich präsent seien. Deutsches Kapital sei in Frankreich willkommen, genauso, wie mehr Deutsche in Frankreich leben sollten und umgekehrt. "Wir warten auf Sie." Auch bei der Entwicklung neuer Technologieprojekte warb Sarkozy für eine stärkere deutsch-französische Zusammenarbeit, beispielsweise bei neuen Hochleistungsrechnern. "Alleine schaffen wir das nicht", sagte der Präsident. "Hier müssen Deutschland und Frankreich im Schulterschluss gemeinsam etwas tun."

Bundeskanzlerin Angela Merkel, die anders als im vorigen Jahr die Kulissen der CeBIT-Eröffnungsbühne weniger rot vorfand, warf den Ball zurück und bedankte sich bei dem französischen Präsidenten für seine Anwesenheit. Durch sie habe er gezeigt, dass ihm das Verhältnis zu Deutschland am Herzen liege. Sie stimmt mit Sarkozy überein, dass Europa immer komplizierter werde. Wenn sich Deutschland und Frankreich nicht einig würden, dann werde der Rest der EU sich auch nicht einigen können.

Merkel hat den Eindruck, die fünfte Revolution müsse länger dauern als die bisherigen, also mehr als siebenJahre, ging sie kurz auf Ballmers Visionen ein. Die Bundeskanzlerin fragte sich ironisch, wenn der Mensch durch den Computer schon alles weiß, wie sie dann mit ihrer Politik an die Wechselwähler herankommen könne.

Die Bundesregierung habe sich bewusst entschlossen, mehr für die Informations- und Kommunikationstechnologie zu tun, sie sei ein wichtiger Bestandteil der Hightech-Strategie. Da das föderale deutsche System nicht sehr wendig sei, könnten – anders als in Frankreich – nicht alle Pläne umgesetzt umgesetzt werden. Daran werde man arbeiten. Merkel betonte, dass man bei der elektronischen Gesundheitskarte gut vorankomme, sie könne nächstes Jahr starten.

Die Weltführerschaft Deutschlands könne darin liegen, nicht nur in der Informationstechnologie, sondern beispielsweise in der chemischen Industrie und in der Automobilbranche, also in der Industrie insgesamt den gegebenen Anforderungen entsprechende Produkte neu zu entwerfen. In einer Welt des offenen Handels müsse es faire Bedingungen geben: gemeinsame Standards und die Durchsetzung von Urheberrechten. Informationstechnologie könne dazu beitragen, Unfreiheiten in der Welt zu beseitigen, so in diktatorischen Ländern.

Merkel fragt sich aber auch, wie eine gewachsene kulturelle Gemeinschaft auf die technologische Entwicklung reagieren muss. So schön auch die Errungenschaften mit dem Computer seien, das Bedürfnis nach Gemeinsamkeit werde nicht schwinden. "Seid begeistert über Technik und Technologie, aber sie muss den Menschen dienen", sagte Merkel, bevor sie die Messe für eröffnet erklärte. Kurz darauf wurde kein rotes Band zerschnitten, stattdessen drückten die Ehrengäste auf Microsofts Neuentwicklung Surface einen virtuellen Startknopf, nachdem Ballmer ganz nach Art eines Marketing-Mannes, der er eigentlich ist, etwas fahrig die Fähigkeiten des Displays demonstriert hatte.

Bitkom-Präsident August Wilhelm Scheer bedankte sich bei Merkel für die vor zwei Jahren auf der CeBIT angekündigten IT-Gipfel, die ein wichtiger Aspekt der Zusammenarbeit zwischen Politik und IT-Branche seien. Seines Erachtens müssten Wirtschafts- und Forschungspolitik enger zusammenkommen, so zum Beispiel in Technologieparks. Es sollten "Exzellenzcluster" eingerichtet werden, nicht unbedingt so groß wie im Silcon Valley oder in Bangalore, aber dabei seien weniger große wichtiger als viele unbedeutende. Bei der Wirschaftsförderung gehe es auch darum, junge Ideenträger international zu Erfolg zu bringen. Dazu müsse auch an der Absenkung der Abbrecherquote in relevanten Studiengängen gearbeitet werden. (anw)