Elektroauto Polestar 2 im Test: Gerüstet für Extrembedingungen?

Der Polestar 2 ist mit 300 kW und 660 Nm ein Kraftpaket. Bei extremen Minusgraden hat die Reichweite allerdings heftig gelitten, trotz 78 kWh Batteriekapazität.

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Polestar 2

Bewährungsprobe in kalter Polarluft: Der Polestar 2 büßte dabei reichlich Reichweite ein.

(Bild: Christoph M. Schwarzer)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Christoph M. Schwarzer
Inhaltsverzeichnis

Eigentlich werden Testwagen vor der Übergabe an Journalisten frisch gewaschen. Keine Chance bei herben Minusgraden und Ostwind. So steht der Polestar 2 mit Eiszapfen und dem feinen weißen Überzug da, den das Streusalz hinterlässt. Authentisch skandinavisch. Mit weit außen stehenden 20-Zoll-Rädern, honiggoldenen Bremssätteln und einer Seitenlinie, die durch das abfallende Schrägheck Assoziationen an den Saab 900 weckt. Einige Passanten identifizieren ihn dagegen sofort als Volvo. Die Scheinwerfer und die Frontmaske, die sei eindeutig, heißt es.

Polestar aber will sich als eigene Marke etablieren: batterieelektrisch, nordisch, hochwertig. Der Polestar 2 ist zurzeit der einzige direkte Konkurrent zum Tesla Model 3 (Test). Bevor im Jahresverlauf weniger kräftige Versionen auf den Markt kommen, gibt es nur das Topmodell mit 300 kW Motorleistung, 660 Nm Drehmoment und Allradantrieb. Dieses Paket ist unter Berücksichtigung staatlicher Förderung sowie inklusive der Überführungskosten ab 50.825 Euro zu haben.

Beim Fahren bestätigt der Polestar 2 den optischen Eindruck. Er hat reichlich Power, die Kraftverteilung ist dezent heckbetont abgestimmt, und die Verarbeitung ist solide und präzise. Außerdem ist die Verwindungssteifigkeit hoch, die Karosserie klapperfrei und das Geräuschniveau sehr niedrig. Das dürfen die Kunden bei nicht weniger als 2123 kg Leergewicht allerdings auch erwarten.

Wer am Steuer sitzt, kann ähnlich wie bei Tesla diverse Parameter im Zentraldisplay einstellen: So lässt sich die Kriechfunktion an- und abschalten. Die Rekuperation ist verstellbar und die Lenkung ist es in mehreren Stufen auch. Der Tempomat lässt die Wahl zwischen der adaptiven Abstandsregelung auf dem stumpfen Standard zu.

Überhaupt, die Software. Sie ist wie bei Tesla updatefähig (over the air, abgekürzt OTA). Polestar avisiert in den nächsten Wochen diverse Verbesserungen: Diese reichen von der Ankündigung einer App zur Überarbeitung der harman/kardon-Soundanlage und der 360-Grad-Kamera bis zur Erhöhung von Reichweite und Ladegeschwindigkeit. Und die braucht er auch. Zuvor aber noch ein Wort zu Googles Betriebssystem Android im Polestar 2. Kollege Clemens hatte hierzu bereits geschrieben. Jetzt folgt der winterliche Praxistest.

Ausgesprochen positiv funktionierte zum Beispiel die Sprachsteuerung. Okay Google, fahr mich ans Ziel. Auch Genuschel wird korrekt verstanden und die Route inklusive der Fahrzeit per Maps sauber berechnet. Die Bedienbarkeit ist simpel und flüssig. Wer mit einem Smartphone umgehen kann, wird sich sofort zu Hause fühlen. Leider beginnt an dieser Stelle die Kritik.

Polestar 2 Teil 1 (8 Bilder)

Autowäsche ausgeschlossen: Bei bis zu minus 17 Grad und winterlichen Straßenverhältnissen musste der Polestar 2 seine skandinavische Herkunft beweisen. Grundpreis für 300 kW Motorleistung, 660 Nm Drehmoment und Allradantrieb: Ab 50.825 Euro inklusive Überführungskosten (Förderung bereits abgezogen).
(Bild: Christoph M. Schwarzer)

So hat zum Beispiel die Integration von Ladestopps nicht funktioniert. Die für einen längeren Testtag geplante, erste Autobahnetappe aus der bitterkalten niedersächsischen Pampa ins gut 250 km entfernte Cuxhaven quittierte das System mit der Meldung: "Du kannst Dein Ziel nicht erreichen, weil es nicht genügend geeignete Ladestationen gibt." Der Autor dieses Beitrags kennt im Umkreis von 200 km rund um Hamburg fast alle schnellen Gleichstrom-Ladesäulen, die 150 kW oder mehr bereitstellen, und fuhr trotzdem los.

Zugegeben, bei minus 17 (!) Grad war das erste Teilstück ins 164 km entfernte Bremen ein Härtetest. Aber die Schonzeit für Elektroautos – zumal in diesem Preissegment – ist vorbei. Dass die Reichweitenanzeige im Cockpit bei einem Ladestand von 94 Prozent 410 km prognostizierte, werden Menschen ohne Erfahrung mit batterieelektrischen Fahrzeugen vielleicht auf 300 km korrigieren. Was hilft, ist der Blick auf die Projektion durch Google Maps, die mit errechneten 27 Restprozent bei Ankunft der Realität schon näherkam.

Tatsächlich waren es vor Ort lediglich 20 verbleibende Prozent Ladestand. Von 94 auf 20 Prozent nach nur 164 km und mit dem Tempomat auf 120 km/h? Ja. Das ist die Wirklichkeit unter diesen extremen Bedingungen. Hochgerechnet ergibt sich damit eine Reichweite von gut 220 km. Alle elektrischen Verbraucher wie die Klimaautomatik (20 Grad Wunschtemperatur) oder die hervorragenden Pixel-LED-Scheinwerfer waren dabei durchgehend eingeschaltet.