Elektroauto Polestar 2 im Test: Gerüstet für Extrembedingungen?

Seite 2: Reduzierte Ladeleistung bei kalter Batterie

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Weil die Routenführung keine Ladestopps integriert, ist die Hoffnung auf ein Vorheizen der Batterie, wie es bei Porsche oder Tesla üblich ist, vorerst obsolet. Wegen der tiefen Temperaturen und des Draußenparkens war dem Speicher offensichtlich noch nicht warm genug: An der bis zu 300 kW starken ersten DC-Ladesäule nahm der Polestar zu Beginn lediglich 47 kW, um sich vorübergehend auf knapp 90 kW hochzuackern und dann zügig wieder abzufallen. In einer halben Stunde waren so frische 35 kWh geladen. Setzt man das ins Verhältnis zu einer Messung mit Richtgeschwindigkeit von 28,4 kWh/100 km an einem anderen Testtag, resultieren daraus ernüchternde weitere 124 km Reichweite in 30 Minuten Zwangspause.

Das Phänomen der radikalen reduzierten Ladeleistung und damit der Ladegeschwindigkeit ist kein Einzelfall bei Kälte. Im Gegenteil. Keiner der zuletzt gefahrenen Testwagen konnte die theoretischen und unter guten Bedingungen erreichbaren Werte realisieren. Beim Polestar 2 wären das immerhin 150 kW. Wie unter solchen Voraussetzungen ein 2022 vielleicht wieder möglicher Skiurlaub von Hamburg nach Österreich (je nach Zielgebiet rund 1000 km) mit Kindern, Gepäck oder gar einer Dachbox stressarm durchgeführt werden soll, ist rätselhaft.

Der nächste Verbesserungssprung bei der Nutzbarkeit von batterieelektrischen Autos wird mit der Umstellung von 400 auf 800 Volt-Bordnetze erfolgen. Der Porsche Taycan (Test) hat das bereits, der Hyundai Ioniq 5 und der Kia CV bekommen es, und auch der kommende Porsche Macan wird die höhere Spannungsebene nutzen. Eine höhere Ladegeschwindigkeit ist die Folge. Die gezielte Heizung der Batterie bei niedrigen sowie die Kühlung bei hohen Temperaturen aber bleiben eine Entwicklungsherausforderung für die Ingenieure. Ein Auto soll schließlich ganzjährig und für möglichst viele Szenarien nutzbar sein.

Zurück zum Polestar 2: Der Durchschnittsverbrauch über 703 km lag bei genau 28 kWh/100 nach Verbrauchsanzeige. Und auf kurzen Strecken muss mit über 40 kWh/100 km laut Bordcomputer gerechnet werden. Ein Wert inklusive Ladeverlusten kann wegen mehrerer Softwaredefekte an den Säulen nicht angegeben werden. Dass der Polestar 2 kein Effizienzmeister ist, hat sich längst herumgesprochen. Die Werksangabe von 78 kWh Batteriekapazität ist ein Bruttowert, netto dürften es rund 72 kWh sein, was 257 km entspricht. Vielleicht bringt das OTA-Update etwas.

Polestar 2 Teil 2 (8 Bilder)

Die gelben Gurtbänder bilden einen lebendigen Kontrast zum Industriegrau.
(Bild: Christoph M. Schwarzer)

Ein Update würde auch der Fahrautomatisierung guttun. Hier ist der Polestar nicht auf dem Stand etwa eines VW ID.4 oder eines 3er BMWs (Test). Dort sind zum Beispiel die automatische Übernahme von Tempolimits, ein kapazitives Lenkrad oder eine gute Mittelspurführung enthalten. Alles Punkte, die der Polestar 2 nicht oder nicht in dieser Qualität zu bieten hat.

Der Polestar 2 überzeugt einerseits durch ein stimmiges und komfortables Gesamtkonzept. Die solide Karosserie mit der großen Heckklappe ist durchdacht. Und das Design kommt einfach gut an. Die Integration von Google Android Auto ist zumindest auf dem richtigen Weg. Andererseits bestätigt der Polestar 2 einmal mehr die Führungsrolle des Tesla Model 3 beim batterieelektrischen Antriebsstrang an sich. Die Defizite, die das schwedische Elektroauto aus chinesischer Produktion bei Reichweite und Routenplanung zeigt, finden sich abseits von Tesla leider zu häufig.

Ja, die äußeren Bedingungen waren so extrem wie nur denkbar. Insofern dürfen alle Fahrwerte als Worst Case gelten. Vielfahrer werden sich trotzdem woanders umschauen – zum Beispiel bei den Plug-in-Hybriden von Volvo. Seine Freunde wird der Polestar 2 bei jenen finden, die eine attraktive Kombination aus Kraft und Ästhetik wünschen. Dass der Bruttolistenpreis unter der für Selbstständige und Dienstwagenberechtige magischen Steuergrenze von 60.000 Euro liegen kann, ist eine weitere Kaufmotivation.

Der Hersteller hat den Testwagen kostenfrei zur Verfügung gestellt, die Überführung sowie den Strom bezahlt.