FAQ zum Verbrenner-Aus: Wie gehts weiter mit Flottengrenzwert und E-Fuels?

Das weitreichende Aus von Verbrennungsmotoren hat Auswirkungen auf den EU-Flottengrenzwert. Wie funktioniert der und was haben E-Fuels mit all dem zu tun?

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 99 Kommentare lesen
Renault Twingo

Der Bestand ist vom Verbot des Verbrennungsmotors in der EU nicht betroffen. Noch viele Jahre wird man Autos mit Benzin und Diesel betreiben können. Auch die Regelungen des Flottengrenzwertes betreffen nur Neuwagen.

(Bild: Renault)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Christoph M. Schwarzer

Die Europäische Union hat beschlossen, dass Neuwagen ab dem Erstzulassungsdatum 1. Januar 2035 lokal CO₂-frei sein müssen. Das ist eine logische Fortführung des Mechanismus der Flottengrenzwerte. Zusätzlich wird eine neue Fahrzeugkategorie eingeführt, die ausschließlich mit E-Fuels funktioniert. Was aber haben die Mitgliedsstaaten der EU eigentlich im Detail genau entschieden, und was bedeutet das für die Antriebe? Wir klären die wichtigsten Fragen.

Was ist der Flottengrenzwert?

Jedem in der EU zugelassenen Pkw ist ein CO₂-Wert zugeordnet. In Deutschland können Halter diese Zahl unter der Position V.7 in der Zulassungsbescheinigung Teil I (früher: Fahrzeugschein) finden. Dieser CO₂-Wert bezieht sich auf die konkrete Motor-Getriebe-Version und die individuelle Ausstattung des einzelnen Fahrzeugs. So können sich zum Beispiel ein Aerodynamikpaket oder Breitreifen negativ auswirken.

Der Mechanismus der EU-Flottengrenzwerte gilt für Pkw (M1) und leichte Nutzfahrzeuge (N1): Ab dem 1. Januar 2035 dürfen keine Fahrzeuge mit direkten CO₂-Emissionen mehr neu zugelassen werden. Erlaubt sind batterie- und brennstoffzellen-elektrische Fahrzeuge sowie mit Wasserstoff betriebene Verbrennungsmotoren. Das Bundesumweltministerium (BMUV, Grüne) hat sich bei dieser Grafik offenbar von einem Toyota Auris (links) und einem Toyota Hiace (rechts) inspirieren lassen. Die Zahlenwerte sind die vom NEFZ in den WLTP umgerechneten und gewichtsbasierten Zwischenziele: Es gelten minus 55 Prozent für Pkw und minus 50 Prozent für leichte Nutzfahrzeuge bis 2030 im Vergleich zu 2021.

(Bild: BMUV)

Sämtliche in einem Jahr im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) – also den 27 EU-Staaten plus Island, Lichtenstein und Norwegen – zugelassenen Pkw gehen in die Flottenbilanz ein. Es zählt der CO₂-Durchschnittswert aller verkauften Fahrzeuge eines Herstellers, wobei das Pooling erlaubt ist: Jeder darf sich mit jedem gemeinsam bilanzieren, natürlich nur, sofern beide zugestimmt haben. Liegt ein Unternehmen mit seiner Flotte über dem individuellen Grenzwert, ein anderes darunter, erfüllen sie unter Umständen zusammen die jeweiligen Vorgaben. Wenn Ausgleichszahlungen vereinbart werden, ist das Sache der kooperierenden Autohersteller.

Wie wird gemessen?

Nur die direkten CO₂-Emissionen auf dem Laborprüfstand zählen. Bei batterieelektrischen Autos (abgekürzt BEV für Battery Electric Vehicle) werden nach dieser Logik null Gramm CO₂ angerechnet. Die bei der Stromproduktion anfallenden Emissionen bleiben bei den Flottengrenzwerten der EU unberücksichtigt. Plug-in-Hybride (abgekürzt PHEV für Plug-in Hybrid Electric Vehicle) durchfahren den Messzyklus einmal mit voller und einmal mit leerer Traktionsbatterie; die Ergebnisse werden auf Basis der elektrischen Reichweite gewichtet.

Plug-in-Hybride im Test

Welches Messverfahren wird angewandt?

Maßgeblich ist das aktuelle Verfahren WLTP (für Worldwide Harmonized Light vehicle Test Procedure). In der öffentlichen Debatte wird aber meistens mit den ursprünglichen Zahlenwerten aus dem 2017 abgeschafften NEFZ (für Neuer Europäischer Fahrzyklus) argumentiert.

Wie hoch ist der Flottengrenzwert zu welchem Zeitpunkt?

Zurzeit gelten durchschnittlich 95 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer als Flottengrenzwert ab 2021. Aber: Dieser Wert muss von NEFZ in WLTP umgerechnet werden. Das Plus liegt bei ungefähr 20 Prozent. Dieser Wert bezieht sich außerdem auf ein bestimmtes, früher angenommenes Durchschnittsgewicht aller Autos. Weil die Pkw in der Realität schwerer sind, als prognostiziert, gibt es einen zusätzlichen Nachlass. Der exakte Grenzwert kann also erst im Nachhinein berechnet werden, wenn neben den CO₂-Werten auch das mittlere Leergewicht der neu zugelassenen Pkw eines Jahres bekannt ist.

Das Bundesumweltministerium (BMUV) spricht darum von geschätzten Flottengrenzwerten. In WLTP umgerechnet gelten für den Zeitraum 2021 bis 2024 nach BMUV etwa 115 g CO₂/km nach WLTP statt 95 g CO₂/km im NEFZ. Das Zwischenziel von minus 55 Prozent (EU-Programm Fit-for-55) für das Jahr 2030 übersetzt sich in rund 49 g CO₂/km. Für das Jahr 2035 beträgt die Vorgabe null Gramm.

Ein kurzer Exkurs zu den leichten Nutzfahrzeugen bis 3,5 Tonnen Leergewicht, den Ducatos, Sprintern und VW-Transportern: Auch diese Fahrzeugklasse (N1) muss Flottengrenzwerte erfüllen. Wie bei den Pkw (M1) muss die Autoindustrie 2035 null Gramm erreichen. Das Zwischenziel für 2030 liegt 50 statt 55 Prozent unter dem aktuellen Wert. Konkret schätzt das BMUV den derzeitigen Flottengrenzwert für leichte Nutzfahrzeuge N1 auf 180 g CO₂/km. 2030 müssen es entsprechend 90 g CO₂/km sein.

Leichte Nutzfahrzeuge für Kurzstrecken sind schon jetzt manchmal mit Batterie-elektrischem Antrieb unterwegs. Offen ist, was auf langen Touren die optimale Lösung ist. Eine Option innerhalb des bekannten CO₂-Flottenmechanismus sind mit Wasserstoff betriebene Brennstoffzellen, um den Elektromotor anzutreiben. Abt e-Line entwickelt solche Transporter (Foto oben).

(Bild: Abt)

Was passiert, wenn ein Hersteller die Grenzwerte verfehlt?

Pro verkauftem Pkw und pro Gramm Überschreitung sind 95 Euro Strafzahlung fällig. Bei Großserienherstellern kann also schon eine nominal leichte Abweichung zu vielen Millionen Euro führen. Allerdings ist die Autoindustrie derzeit weit davon entfernt: Nach Berechnungen des International Council on Clean Transportation (ICCT) wurden 2022 107 g CO₂/km erreicht. Der gewichtsbereinigte, durchschnittliche Grenzwert liegt nach den Daten des ICCT bei 119 g CO₂/km – also nochmals höher als bei den Schätzungen des BMUV von 115 g CO₂/km.

Neben dem Nachlass für ein höheres Durchschnittsgewicht haben die Supercredits – das ist die Mehrfachanrechnung von BEV – sowie die Eco Innovations zu einer Entlastung für die Autoindustrie geführt. Eco Innovations sind technische Maßnahmen, die nachweisbar zu einer CO₂-Reduktion führen, aber im Messverfahren nicht erfasst werden.

Welche Antriebe sind ab 2035 noch zulassungsfähig?

Zu den lokal CO₂-freien Antrieben zählen neben batterie- und brennstoffzellen-elektrischen (abgekürzt FCEV für Fuel Cell Electric Vehicles) auch mit Wasserstoff betriebene Pkw mit Verbrennungsmotor (abgekürzt ICE für Internal Combustion Engine). Bei der Verbrennung von Wasserstoff wird kein CO₂ emittiert. Bereits der ursprüngliche Mechanismus der Flottengrenzwerte war und ist also bedingt technologieoffen. Neue Pkw und Nfz, die mit Kraftstoffen aus fossilen Ressourcen betrieben werden können, sind dagegen ab 2035 nicht mehr zulassungsfähig.

Was passiert mit dem Bestand?

Nach heutiger Lesart darf der Bestand bis zur Verschrottung oder dem Export weitergenutzt werden. Ob er aber real in allen Staaten und Regionen des EWR geschützt ist, bleibt eine politische Entscheidung. Es wäre leichtgläubig anzunehmen, dass Fahrverbote undenkbar sind. Was sich absehen lässt: Der Betrieb eines Autos mit fossilem Kraftstoff wird perspektivisch allein schon durch die steigende CO₂-Steuer teurer.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Umfrage (Opinary GmbH) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Opinary GmbH) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Was ist mit den E-Fuels?

Die Mitgliedsstaaten der EU haben vereinbart, dass eine neue Fahrzeugkategorie eingeführt wird: Außerhalb des bisherigen Flottenmechanismus (!) sind Pkw zulassungsfähig, die nachweisbar mit aus Ökostrom produzierten Kraftstoffen betrieben werden. Das funktioniert so: Mit regenerativ erzeugtem Strom wird per Elektrolyse Wasserstoff hergestellt. Dieser Wasserstoff reagiert mit CO₂ aus der Luft oder anderen Quellen zu Methan (Sabatier-Prozess). Aus Methan können in unterschiedlichen Verfahren alle gängigen Kohlenwasserstoffverbindungen synthetisiert werden. Welche Antriebe hiermit versorgt werden, gibt die EU nicht vor.

Beispiel Methanol: Mit diesem extrem klopffesten Kraftstoff könnten einerseits Pkw wie ein Porsche 911 betrieben werden. Aber auch elektrische Pkw mit einer indirekten Methanol-Brennstoffzelle dürften diesen Sprit nutzen. Der Sportwagen Gumpert Nathalie funktioniert auf diese Weise. Der Vorteil dieses FCEV: e-Methanol kann in einen preisgünstigen Kunststoffbehälter mit wenig Volumen statt in Druckgastanks transportiert werden. Diese Bauart eines FCEV wäre eigentlich ab 2035 verboten gewesen, weil lokal CO₂ freigesetzt wird. Das ändert sich jetzt.

Außerhalb des CO₂-Flottenmechanismus führt die EU eine neue Fahrzeugkategorie für E-Fuels ein. Solche Pkw und leichte Nfz dürfen ausschließlich mit E-Fuels betrieben werden, die mit Strom aus Sonne und Wind produziert werden. Das geht weit über synthetischen Dieselkraftstoff oder Superbenzin hinaus: Mit e-Methanol können nicht nur Verbrennungsmotoren wie in einem Porsche 911 mit Boxermotor klimaneutral betrieben werden. Auch die Methanol-Brennstoffzelle wie in diesem Gumpert Nathalie ist zulassungsfähig. Der Vorteil von Methanol gegenüber Wasserstoff ist die Möglichkeit, es in konventionellen und preisgünstigen Plastik- statt in teuren Druckgastanks zu transportieren.

(Bild: Gumpert)

Äußerst unwahrscheinlich ist, dass E-Fuels im großen Maßstab in Deutschland produziert werden, weil der Strom und die Steuern darauf viel zu teuer sind. In anderen Ländern wie etwa den Maghreb-Staaten Nordafrikas, in Chile oder in Saudi-Arabien ist die Situation völlig anders: Hier kann Strom aus Fotovoltaikanlagen nach heutigem Stand für wenig Geld hergestellt werden. Das ändert allerdings nichts daran, dass E-Fuels einen enormen Energiebedarf in der Herstellung haben. Die Schätzungen liegen bei rund 27 kWh Strom für einen Liter E-Fuels.

Hinzu kommen der Wasserbedarf, hohe Kosten für die Produktionsanlagen und der meist unterschätzte Transportweg. Zudem dürfte es für das knappe E-Fuels-Angebot eine enorme Nachfrage abseits des Pkw-Verkehrs geben, schließlich lässt sich beispielsweise der Flugverkehr weit weniger einfach dekarbonisieren. Knappes Angebot, hohe Nachfrage von verschiedenen Seiten: Wohin das in einer Marktwirtschaft führt, ist nicht schwer auszumalen.

Sind E-Fuels eine Konkurrenz für Elektroautos?

Nein. Der Flottenmechanismus der EU erzwingt eindeutig das Aus von mit fossilen Kraftstoffen betriebenen Pkw mit Verbrennungsmotor. Die Industrie muss die Grenzwerte erfüllen, selbst wenn es keine nationalen Subventionen mehr gibt. Fahrzeuge mit E-Fuels werden nicht innerhalb dieses Mechanismus berechnet und bilden eine eigene Kategorie. Wie schnell Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor von jenen mit Elektromotor verdrängt werden, hängt aber nicht nur vom Flottengrenzwert ab. Je leistungsfähiger, preisgünstiger und verfügbarer die Traktionsbatterien sind, desto mehr Elektroautos werden anteilig verkauft.

Elektroautos werden in Zukunft die Neuzulassungen dominieren. Ob Pkw und leichte Nfz mit Verbrennungsmotor und fossilen Kraftstoffen noch schneller als vom CO₂-Flottenmechanismus vorgegeben verdrängt werden, hängt von der Leistungsfähigkeit und der Preisentwicklung bei Traktionsbatterien ab. Volkswagen verspricht für diesen ID.2 einen Basispreis von 25.000 Euro. Die anderen Elektroautos des MEB entry von Seat, Skoda und VW werden teurer, weil es entweder Mini-SUVs sind oder wie beim Cupra Urban Rebel eine Marktpositionierung nach oben geplant ist.

(Bild: Christoph M. Schwarzer))

(mfz)