Braunschweig testet batterie-elektrische Linienbusse mit Induktionsladung

Emil und das Induktive

Um die 150 Busse der Braunschweiger Verkehrs-GmbH zu elektrifizieren, startet mit dem Projekt „Emil – Elektromobilität mittels induktiver Ladung“ die Energiewende. Noch vor Weihnachten werden auf der Ringlinie M19 fünf batterieelektrisch angetriebene Busse und mit einem 240 kW-Motor rollen

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  • Christoph M. Schwarzer
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Braunschweig, 12 Dezember 2014 – „Wir sind dem Kunden gegenüber verpflichtet, den Betrieb auch 2050 aufrecht zu erhalten“, sagt Frank Brandt. Gemeint ist die Personenbeförderung im öffentlichen Nahverkehr. Weg vom Öl ist das Ziel. Um die 150 Busse der Braunschweiger Verkehrs-GmbH in Zukunft mit einem anderen Antrieb als dem Selbstzünder bewegen zu können, startet mit dem Projekt „Emil – Elektromobilität mittels induktiver Ladung“ in der Löwenstadt die Energiewende. Frank Brandt ist der Projektleiter. Noch vor Weihnachten werden auf der Ringlinie M19 neben einem seit März getesteten 12 Meter langen Exemplar vier weitere mit 18 Meter Länge, Gelenk und Platz für bis zu 120 Passagieren in den Alltagsbetrieb gehen. Batterie-elektrisch und mit einem 240 Kilowatt starken Motor.

Die Initiative der Braunschweiger Verkehrs-GmbH verdient eine genaue Betrachtung, weil der öffentliche Nahverkehr unter einem ständigen Rechtfertigungsdruck in Gelddingen steht. Hier kann sich niemand teure Späße leisten, weil über Ticketverkauf und Werbung nur rund 70 Prozent der Kosten gedeckt werden können und die Kommune den Rest aus Steuermitteln dazu geben muss. Freudlos geht es hier trotzdem nicht zu. Man spürt die Neugierde und die Lust, mit der alle Beteiligten ans Werk gehen. Der spitze Bleistift regiert trotzdem immer mit, und es dürfte kein Zufall sein, dass Projektleiter Brandt eigentlich kaufmännischer Prokurist im Unternehmen ist.

200 Kilowattstunden Strom statt 55 Liter Dieselkraftstoff

Die Daten: Auf der Ringlinie M19 müssen auf zwölf Kilometern Strecke 25 Haltestellen bedient werden. Die Fahrtzeit beträgt nach Plan 39 Minuten. Um täglich circa 6000 Menschen transportieren zu können, sind hier bis zu sechs Gelenkbusse im Einsatz – bisher mit Dieselmotor, bald meistens mit Elektromaschine. Start und Ziel der Route ist der Hauptbahnhof.

Verkehrsbetriebe wissen aus jahrzehntelanger Erfahrung, wie sich die Nachfrage innerhalb eines Tages, einer Woche und eines Jahres verändert. Alles ist leicht zu prognostizieren und darum planbar. Das erleichtert die Skalierung der Batterie in den vom polnischen Hersteller Solaris gefertigten Prototypen.

Der elektrochemische Speicher ist mit 90 Kilowattstunden (kWh) großzügig auf der sicheren Seite. Das heißt: Auch bei voller Beladung, wenn der Innenraum geheizt oder gekühlt werden muss und selbst dann, wenn die Batterie über kalendarischen und zyklischen Verschleiß ihre Kapazität teilweise einbüßt.

Ein 18-Meter-Bus verbraucht 50 bis 55 Liter Dieselkraftstoff pro 100 Kilometer. Vier Millionen Liter nimmt die Braunschweiger Verkehrs-GmbH pro Jahr ab. Genaue Zahlen für den Batterie-elektrischen Bus liegen noch nicht vor. Im Probebetrieb lag der Stromkonsum bei gut 150 Kilowattstunden pro 100 Kilometer; weil die Tests ohne Gäste gefahren werden, rechnet man im Alltag eher mit 200 Kilowattstunden. Die Kapazität der Batterie und damit die Reichweite sind also konservativ und vorsichtig ausgelegt – tendenziell lassen sich die Größe und damit die Kosten reduzieren.

Einfachheit in Aufbau, Betrieb und Bedienung

Der eigentliche Clou aber ist die Schnellladung am Hauptbahnhof. Die Leistung des berührungslosen Systems „Primove“ von Bombardier beträgt 200 Kilowatt (kW). Die Standzeit von elf Minuten ist also mehr als ausreichend, um Strom für die nächste Runde in den Bus zu schaffen. Dazu hält der Fahrer über einer kaum sichtbar im Boden eingelassen Ladeplatte. Über einen Touchscreen im Cockpit gibt er den Befehl ein, die Sekundärspule an der Unterseite des Busses einige Zentimeter abzusenken, um den Abstand zur Ladespule zu verringern. Weil hier mit hohen Frequenzen gearbeitet wird, sind die Verluste niedrig: Eine kabelgebundene Lösung kommt auf 92 bis 94 Prozent Wirkungsgrad, beim induktiven Laden sind es gut 90 Prozent.

Für einen Verkehrsbetrieb hat die unauffällige Ladeplatte viele Vorteile: „Wir haben sehr wenig Schwierigkeiten bei der Genehmigung, müssen keinen Vandalismus fürchten, und die Lösung ist für die Busfahrer komfortabel und sauber“, sagt Projektleiter Brandt. Alternative Schnellladesysteme, zum Beispiel mit einem Pantografen als Stromabnehmer an einer Haltestelle, haben neben der Problematik der Stadtgestaltung einen höheren Verwaltungs- und Wartungsaufwand. Die Induktion überzeugt dagegen durch die Einfachheit in Aufbau, Betrieb und Bedienung.

Weil man die Batterie schonen möchte, gibt es an der Haltestelle Hamburger Straße eine weitere Ladeplatte für ein rund 60-sekündiges Zwischentanken, und eine dritte ist in Planung. Das Ladefenster der Batterie soll durch hähfigere Zwischenladungen nur zu einem Teil ausgenutzt werden, um die Lebensdauer zu verlängern. Man hofft auf mindestens sechs Jahre.

„Ein Dieselbus im Stadtverkehr wird nach zwölf Jahren ausgemustert“, berichtet Frank Brandt aus der Praxis. Dann, nach mehr als 800.000 Kilometern, lohne sich der Reparaturaufwand nicht mehr. Und er lässt durchblicken, dass man auch für die Batterie-elektrischen Busse 18 Jahre erwartet, selbst wenn in der Zwischenzeit neue Akkus eingebaut werden müssen. Schließlich weiß man bei der Braunschweiger Verkehrs-GmbH durch die 50 Straßenbahnen, dass ein Elektromotor fast verschleißfrei ist und locker 30 Jahre durchhält.

Zurück zu den Kosten. Ein 18 Meter langer Dieselbus von M.A.N. – in Braunschweig wegen der lokalen Tradition des Büssing-Löwens gern genommen – oder Mercedes kostet rund 300.000 Euro. Eine Vergleichssumme des Batterie-elektrischen Solaris-Busses gibt es mangels Serienproduktion noch nicht. Für die Prototypen hüllt man sich in Schweigen, es darf aber von einem sechsstelligen Preis ausgegangen werden. Bei alternativ im Versuch eingesetzten Brennstoffzellen-Fahrzeugen, wie sie zum Beispiel bei der Hochbahn in Hamburg laufen, wird die eine Million-Euro-Hürde gerissen.

Geringere Kilometerkosten summieren sich

Unklar sind auch die Investitionskosten für die induktive Ladeinfrastruktur; ein Teil davon wird durch die Bundesförderung von insgesamt 2,4 Millionen Euro getragen. Die Energiewende ist zu Beginn nicht umsonst zu haben.

Das Leuchten in den Augen der Beteiligten ergibt sich aus der Kalkulation der Fahrenergiekosten. Allerdings ist die Rechnung auf die Interessenten für Batterie-elektrische Autos nicht übertragbar, weil ein Verkehrsbetrieb nicht nur grundsätzlich netto rechnet, sondern auch andere Preise bezahlt. So kostet der Liter Diesel einen guten Euro, und die Kilowattstunde Strom liegt bei elf bis 13 Cent. Klar ist, dass über die Jahre eine große Ersparnis zu erwarten ist. Man hofft auf sechsstellige Summen.

Profiteur der Entwicklung könnte nicht nur die Braunschweiger Verkehrs-GmbH sein. Auch die Stadtbewohner werden entlastet. So weisen erste Geräuschmessungen darauf hin, dass die Emil-Busse nicht lauter als ein Pkw, aber sieben Dezibel leiser als die mit Verbrennungsmotor sind.

Lokal abgasfrei und leise

Außerdem ist aus etlichen Untersuchungen wie zum Beispiel des Instituts für Energie und Umweltforschung in Heidelberg IFEU bekannt, dass die hohe Stickoxidbelastung an viel befahrenen Straßen eindeutig auf die Auspuffrohre von Autos und Nutzfahrzeugen zurückgeht. Zur Gesundheitsgefährdung kommt die Geruchsbelästigung: Wer atmet schon gerne ein, wenn er mit dem Fahrrad an einem haltenden oder gar anfahrenden Linienbus vorbeifährt?

Die Anhänger der „und dann entstehen die Abgase woanders“-These werden auf Dauer verstummen. Denn der Strommix wird kontinuierlich sauberer. Die Ölindustrie nicht.