Wer bremst, gewinnt

Bremsenergierückgewinnung und ihr Wirkungsgrad

Bergab, bis die Batterie voll ist: Es gehört zu den Inszenierungen der Industrie, ein Elektroauto Energie einsammeln zu lassen. Bisher gab es kaum Daten zum Wirkungsgrad der Bremsenergierückgewinnung. Das ändert BMW jetzt und beantwortet damit die Frage: Was bringt Rekuperation wirklich?

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Rekuperation und ihr Wirkungsgrad 4 Bilder
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  • Christoph M. Schwarzer
Inhaltsverzeichnis

Bergab, bis die Batterie voll ist: Es gehört zu den beliebten Inszenierungen der Industrie, ein Elektroauto plakativ Energie einsammeln zu lassen. Bei der Bremsenergierückgewinnung funktioniert der Motor als Generator. Er produziert Strom, der in der Batterie gespeichert und beim Wiederbeschleunigen eingesetzt wird.

Ein Prinzip, das zuerst durch Hybridfahrzeuge massenwirksam wurde und die Effizienz steigert. Das Ergebnis ist ein niedrigerer Fahrenergieverbrauch sowie ein geringerer Bremsverschleiß mit entsprechend weniger Partikelemissionen. Bisher gab es aber kaum konkrete Daten zum Wirkungsgrad der Rekuperation. Das ändert BMW jetzt und beantwortet damit die Frage: Was bringt die Technologie tatsächlich?

Viel, aber nicht alles. Oder in Zahlen: Zwischen 62,5 und 64,2 Prozent. Mit diesen Werten ist gemeint, welcher Anteil der zum Beschleunigen eines BMW i3 (Modelljahr 2018) notwendigen elektrischen Energie vorher durch Rekuperation gewonnen werden konnte.

So verbraucht ein BMW i3 (Test) bei 100 km/h-Konstantfahrt 13,9 Kilowattstunden auf 100 Kilometer. Um das mit 1345 Kilogramm nach EU-Norm vergleichsweise leichte batterieelektrische Auto aus dem Stand auf dieses Tempo zu beschleunigen, sind 204 Wh nötig. Bremst man den Wagen mit der gleichen Vorgabe (negative gleich positive Beschleunigung g 0,16) ab, werden 129 Wh oder 62,5 Prozent generiert.

Bei 60 km/h liegt der Stromkonsum des i3 bei 8 kWh/100 km. Während des Bremsens auf null Stundenkilometer können 47 Wh zurückgewonnen werden, was 62,8 Prozent der zum Wiederbeschleunigen gebrauchten 74 Wh entspricht. Als dritten Wert gibt BMW den Verbrauch bei 80 km/h an (10,5 kWh/100 km), das Rekuperationsergebnis (83 Wh), die Wiederbeschleunigungsenergie (129 Wh) sowie den daraus resultierenden Wirkungsgrad von 64,2 Prozent an.

Zum Vergleich: Ein konventioneller BMW 118d mit intelligent gesteuerter Lichtmaschine rekuperiert beim Bremsen von 60 km/h bis zum Stillstand lediglich rund zwei Wattstunden.

Leichtbau ist auch in Zukunft wichtig

Aus diesen Daten leiten sich zwei simple Rückschlüsse ab. Erstens: Beim Bremsen verschwenden nicht elektrifizierte Autos die kinetische Energie durch Umwandlung in Wärme so gut wie vollständig. Beim Beispielfahrzeug BMW i3 dagegen geht nur ein gutes Drittel verloren. Besonders deutlich wird dieser Vorteil bei häufig wechselnden Geschwindigkeiten, also zum Beispiel in der Stadt. Und zweitens: Weil die Energie beim Bremsen eben nicht komplett zurückgewonnen werden kann, ist die Masse eines Fahrzeugs nicht gleichgültig. Leichtbau hat auch in Zukunft eine Bedeutung.

In manchen Autos wie zum Beispiel dem Hyundai Kona EV (Test) lässt sich die Leistung der Bremsenergierückgewinnung ablesen. Hier sind es in der Spitze bis zu 60 kW. Grundsätzlich gibt es für diesen Parameter zwei begrenzende Faktoren: Zum einen die Auslegung der Leistungselektronik und zum anderen die Batterie selbst – ihr Ladestrom ist in Abhängigkeit der Kapazität limitiert (C-Rate der einzelnen Zelle), und wenn die Batterie voll oder sehr kalt ist, kann sie nichts oder wenig aufnehmen.

Bewusst nur über die Rekuperation bremsen

Dass nicht nur batterieelektrische Autos wie der BMW i3 von der Rekuperation profitieren, beweist Toyota seit über 20 Jahren in mehr als zehn Millionen Hybridautos wie dem Toyota Prius (Test). Auch hier ist die Bremsenergierückgewinnung neben der Lastpunktverschiebung des Verbrennungsmotors ein wichtiger Sparfaktor. Die Halter und die Taxifahrer wissen das. Toyota hat außerdem das typische Display mit der Charge-Anzeige eingeführt: Die Fahrer können bewusst bis an die Grenze der Rekuperation bremsen, wenn es der Verkehr zulässt. Scheiben und Bremsbeläge werden geschont, was an der Vorderachse zu geringem Verschleiß und an der Hinterachse manchmal zum Verrosten führt. Sollten die hinteren Bremsen dann revidiert werden müssen, ist der Spareffekt natürlich mehr als dahin. Ideen zu Bremsenkonzepten für elektrifizierte Autos sind daher bereits in Arbeit.

Bei elektrifizierten Autos jeder Art sollte der Übergangspunkt vom Bremsen in den Elektromotor zum Bremsen in die Scheibe nicht spürbar sein. Die dafür nötige Anpassung der Steuerung gelingt den Herstellern mittlerweile in den meisten Fällen gut. Dennoch gilt: Ohne traditionelle Bremsanlage geht es nicht. Während die Leistung der Rekuperation im Regelfall im zweistelligen kW-Bereich liegt, kann diese für Scheibenbremsen vierstellig sein. Im Notfall ist das lebenswichtig.

Voreinstellung durch Software

Viel diskutiert wird die Voreinstellung der Bremsenergierückgewinnung. Beim BMW i3 (Test) etwa ist sie betont stark ausgelegt. Das ermöglicht das sogenannte Einpedalfahren über weite Strecken – also ohne, dass der Fahrer das Bremspedal überhaupt betätigt. Das Gegenteil dieser Auslegung findet man im Hyundai Ioniq electric (Test) oder im VW e-Golf (Test). Die Rekuperation kann manuell auf Null gestellt werden. Das ist so, als würde man bei einem konventionellen Auto den Gang rausnehmen und rollen. Ein einzigartiges Gefühl, das seinen Reiz hat. Am Ende ist das eine Geschmacksfrage, denn beim Verzögern wird so oder so immer zuerst über den Elektromotor gebremst.

Eine wachsende Bedeutung kommt der Rekuperation wegen der geringen Partikelemissionen zu. Anders als bei jenen, die beim Auto mit Verbrennungsantrieb ausschließlich aus dem Auspuff kommen, gibt es für den Feinstaub mit dem Abrieb von Reifen und Bremsbelägen weitere relevante Quellen. Die Rekuperation ist also auch hier ein Beitrag zur Emissionsminimierung.