DC-Ladeinfrastruktur im Alltagstest

Locker durchgehangelt

Batterieelektrische Autos sollen immer schneller laden können – und damit das Manko der mangelnden Reichweite ausgleichen. Wie gut das heute klappt, haben wir mit einem Volkswagen e-Golf ausprobiert und stellen die Fragen: Welche Entwicklungsperspektive gibt es bis 2020? Und wo lauern Fallstricke?

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 38 Kommentare lesen
Elektroautos, alternative Antriebe 12 Bilder
Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Christoph Schwarzer
Inhaltsverzeichnis

Hamburg, 5. Oktober 2015 – Die Geduld während der Zwangspause schwindet: Batterieelektrische Autos sollen immer schneller laden können – und damit das Manko der mangelnden Reichweite ausgleichen. Wie gut das heute klappt, haben wir mit einem Volkswagen e-Golf ausprobiert. Sind auch längere Strecken wegen der wachsenden DC (für direct current oder Gleichstrom)-Ladeinfrastruktur in akzeptabler Zeit zu bewältigen? Welche gesicherte Entwicklungsperspektive gibt es bis 2020? Und wo lauern Fallstricke, die das Konzept gefährden?

Ausgangspunkt des Alltagstests war ein Problem des Autors: Bisher endete die Ausfahrt mit batterieelektrischen Autos irgendwo im Hamburger Umland. Denn egal, in welche Himmelsrichtung man Deutschlands zweitgrößte Stadt verlässt – man kommt in ländliche Gebiete. Also hieß es: umkehren, bevor die ultralangsame Schukosteckdose droht, zurück in die Elbmetropole, wo es immerhin eine Grundversorgung mit Schnellladesäulen gab. Die Situation hat sich mittlerweile aber deutlich zum Positiven geändert, und sie wird sich weiter verbessern. Anlass genug um zu prüfen, wo wir stehen, was funktioniert und was nicht.

DC so schnell wie möglich, AC so zügig wie nötig

Um zu verstehen, was das Vorbild der meisten Autohersteller ist, genügt ein Wort: Tesla. Das Model S ist so ausgelegt, dass es zu Hause mit Wechselstrom (AC für alternating current) auch in der Grundausstattung ohne Doppellader über Nacht an einer Wallbox komplett geladen ist. Unterwegs dagegen versorgen DC-Schnellladesäulen (Tesla Motors: „Supercharger“) das Auto mit Strom. Der Vorteil einer „in der Garage so zügig wie nötig, auf der Reise so schnell wie möglich“-Strategie: Die teure DC-Technik wird auf die Infrastrukturseite verlegt und geteilt, so dass die Kosten von vielen Nutzern getragen werden. Und im Fahrzeug wird so wenig Leistungselektronik mitgeschleppt, wie es vertretbar ist.

Diesem Prinzip folgen batterieelektrische Autos wie BMW i3, Nissan Leaf, Kia Soul EV oder VW e-Golf. Der entscheidende Unterschied zum Tesla Model S ist der Kaufpreis. Ein Wirklichkeitstest der DC-Infrastruktur bedeutet in diesem Fall die Prüfung diesseits der kalifornischen Luxusmarke, also in der Mitte der elektromobilen Gesellschaft.

Vor drei Monaten, als dieser Beitrag organisiert wurde, fiel die Wahl auf den Volkswagen e-Golf. Dass der Testwagen eine Woche nach Bekanntwerden des Abgas-Manipulationsskandals ins Redaktionsbüro kam, ist ein Zufall. Für den e-Golf jedenfalls sprechen die Argumente: Der japanische Chademo-Standard erfordert beim Batterieladestand (abgekürzt SOC oder state of charge) von 80 Prozent einen Wechsel aufs AC-Kabel, dann geht es langsam mit Wechselstrom weiter. Das von den deutschen Herstellern favorisierte Combined Charging System (CCS) überzeugt durch die höhere Verbreitung von Ladesäulen, und ein Kabelwechsel ist nicht notwendig. Und weil der BMW i3 beim SOC von 80 Prozent die Leistung auf 3,7 Kilowatt radikal reduziert, während der e-Golf mit so viel Geschwindigkeit weitermacht, wie es die Batterie zulässt, bekam der Wolfsburger den Zuschlag. Er ist im Wettbewerbsfeld schlicht am schnellsten voll.

Über die Qualität des Volkswagen e-Golf ist alles gesagt. Er ist ausgefeilt und wirklich gut gemacht, eine echte Empfehlung und eine gute Aussicht für Volkswagen. Im Mischbetrieb von Autobahn, Stadtverkehr und Bundesstraße lag der Verbrauch bei 14 Kilowattstunden Strom auf 100 Kilometer. Dabei war Schleichfahrt mit 91 km/h im Lkw-Windschatten auf der rechten Spur tabu; der Fahrstil sollte einen Durchschnittsfahrer widerspiegeln und keinen Idealisten. Mit der Batteriekapazität von 24 Kilowattstunden lag die Reichweite also bei 171 Kilometern. Theoretisch und im Display angezeigt sollten es bis zu 200 km sein. In der Realität kommt ab 150 zurückgelegten Kilometern das Bedürfnis nach einer Ladesäule auf. Ja, jede längere Ausfahrt will darum gut geplant sein.

Zuerst die gute Nachricht: mit der verbesserten DC-Ladeinfrastruktur ist es endlich möglich, die Großstadt zu verlassen und sich falls nötig locker durch die ganze Republik zu hangeln. Die dafür nötige Zeit ist merklich gesunken. Allerdings dauert es immer noch zu lange – und es ist fraglich, ob das Konzept des Batterieelektrischen Autos in absehbarer Zeit ein vollwertiger Ersatz für alle 44 Millionen Pkw mit Verbrennungsmotor in Deutschland ist.

Planung ist (noch) Voraussetzung

Voraussetzung ist wie erwähnt die Routenplanung. Eins der Ziele: Braunschweig. Normalerweise führt die Fahrt in die rund 200 Kilometer entfernte Löwenstadt über die Autobahnen A7 und A2. Das dauert etwa zwei Stunden. Weil der Stromverbrauch des e-Golf bei Richtgeschwindigkeit aber zwischen 22 und 24 Kilowattstunden liegt und entlang dieser Strecke DC-Säulen schmerzlich vermisst werden, bleibt nur die Tour über die Bundesstraße. Die ist ebenfalls 200 Kilometer lang, dauert aber per se länger. Inklusive Zwischenladung – ohne geht es noch nicht – sind mehr als vier Stunden fällig.

Im Test waren es sogar fünf: An der CCS-Säule in Lüneburg, dem zwingend notwendigen Zwischenhalt, parkte schon ein anderer e-Golf. Dessen Batterie war, das war an der Säule des Anbieters e8energy ablesbar, längst voll. Der Besitzer war auch durch polizeiliche Nachforschung nicht kontaktierbar, kam aber glücklicherweise nach einer guten halben Stunde, um den Platz zu räumen. Überhaupt ist es eine wiederholte Erfahrung aus der zweiwöchigen Ausfahrt, dass Säulen neuerdings nicht durch unbekümmert falsch parkende Autos mit Verbrennungsmotor, sondern durch andere E-Autos blockiert wurden. Besonders ärgerlich waren in diesem Zusammenhang mehrere Plug-In-Hybride, die a) mit Ausnahme des Mitsubishi Outlander PHEV nicht DC-schnellladefähig sind (Kommentar eines E-Fans über einen Volkswagen Passat GTE: „Schnarchlader de luxe“) und b) nicht zwingend auf Ladesäulen angewiesen sind. Hier muss bald eine Regelung gefunden werden, denn die Zahl der Batterieelektrischen Autos wächst.

Am Zielpunkt in Braunschweig, direkt auf dem Gelände von Volkswagen Financial Services, herrschte ebenfalls Andrang. Zwei von drei Säulen waren durch andere Stromer belegt – Glück gehabt. Hier gaben die Säulen der Firma efacec 50 kW Ladeleistung ab, also mithin mehr als das Doppelte der meisten anderen Punkte, an denen lediglich 20 kW geliefert wurden.

20 kW, 50 kW, 150 kW?

Nun könnte man meinen, dass es angesichts der beschränkten Batteriekapazität der aktuellen Elektroautos einen nur geringen Unterschied macht, ob mit 20 oder 50 kW geladen wird. Und in der Tat kann man mit einem e-Golf kaum mehr als zehn Minuten sparen. Gefühlt ist das aber schon eine Erleichterung. Jede Verkürzung der Wartezeit ist willkommen.

Schauen wir nun auf die Perspektive: Unabhängig vom Autohersteller werden für die Kompaktklasse im Jahr 2020 ungefähr 50 kWh Kapazität versprochen. Das entspricht gegenüber dem e-Golf der Jetztzeit einer Verdoppelung mit entsprechendem Aktionsradius. Zugleich werden viele der aktuell geplanten oder im Bau befindlichen CCS-Säulen für eine Ladeleistung von 150 kW vorbereitet. Bis Ende 2017 sollen mindestens 100 dieser Schnellstromsäulen aufgebaut sein; infrastrukturseitig wäre man also ungefähr auf einem Level mit Tesla Motors. Oder, rein rechnerisch: In einer Viertelstunde wäre der Akku eines E-Autos der Kompaktklasse zu 75 Prozent gefüllt.

Die Investitionen in Gleichstrom-Säulen mit 150 kW sind deutlich höher als bei denen mit 20 oder 50 kW. Aber wenn Tesla das kann, wieso sollte es dann ausgerechnet mit Mutterland von BMW, Mercedes, Porsche, Audi und Volkswagen nicht möglich sein, das notwendige Geld in die Hand zu nehmen?

Die realistische Entwicklungsperspektive von 50 kWh Batteriekapazität würde auch diese Testtour aus dem Oktober 2015 zur Makulatur werden lassen: Damit wäre es möglich, ohne Zwischenstopp von Hamburg nach Braunschweig zu fahren. Und falls sich der Saft doch dem Ende zuneigt, zum Beispiel weil Berlin das nächste Ziel ist, sollten bald einige German Supercharger an Raststätten verfügbar sein.

Bezahlproblem ungelöst

Im Hier und Heute allerdings gibt es noch andere Kämpfe auszufechten, Stichwort Bezahlsysteme. So versagten die Ladekarten: Volkswagen hatte dem e-Golf eine „Fuel & Charge-Card“ beigelegt, und der Autor hat eine Ladenetz.de-Karte besorgt. Wegen des Verkaufs der Stromnetze von Vattenfall zurück in die öffentliche Hand der Hansestadt war eine vorübergehende Identifikationslücke entstanden: Die Investition in die genannten Ladekarten war vergebens; ein Mangel, der mittlerweile behoben sein soll, für den konkreten Test aber ein Problem darstellte.

Alternativ hätte das SMS-Payment das Problem lösen können – wenn nicht das Bessere des guten Feind gewesen wäre: In Hamburg-Harburg steht neuerdings eine 50 kW-Säule, die von Allego, der Tochter des holländischen Netzbetreibers Alliander, organisiert wird. Zwar spricht der Apparat vorerst nur niederländisch, aber das stellte kein ernsthaftes Problem dar: Der Strom ist noch kostenlos und eine Identifikation als Zwischenlösung durch jede Ladekarte möglich.

Wasserstoff als Energieträger bleibt im Rennen

Wohin geht die Reise für die Batterieelektrischen Autos? Zu mehr Kapazität und mehr Ladeleistung, so viel darf als gesichert gelten. Ungelöst bleiben die Schwierigkeiten beim Bezahlsystem und der betriebswirtschaftlichen Refinanzierung der DC-Säulen. Und klar ist auch, dass die Zahl erheblich ansteigen muss. Laut ADAC gibt es in Deutschland über 14.000 Tankstellen für Diesel und Benzin, von denen jede mehrere Zapfsäulen hat, an denen kein Auto länger als fünf Minuten stehen muss. Sollte es einen Boom des Batterieelektrischen Autos geben, es müsste wohl über 100.000 Schnellladesäulen geben – oder es schlägt doch die Stunde des Wasserstoffs. Brennstoffzellenelektrische Fahrzeuge könnten eine sinnvolle Ergänzung zu den Batterie-Stromern werden.

Ein Dankeschön geht an alle, die die Standfrist an der Säule durch anregende und freundliche Gespräche verkürzt haben! An den stolzen Besitzer eines Tesla Model S P70D, der mal schauen wollte, was die anderen so machen. An den Wissenschaftler der Universität Hildesheim, der daran forscht, wie sich Elektroautos durch den Einsatz im Carsharing amortisieren können. Oder an den Mitarbeiter des Volkswagen Zentrums Lübeck, der eine hohe Fachkompetenz und Begeisterung fürs Thema hatte. Bis zum nächsten Mal.

Volkswagen hat den e-Golf kostenfrei zur Verfügung gestellt. Der Strom wurde entweder vom Autor oder in einigen Fällen von den jeweiligen Ladesäulenbetreibern bezahlt – oft gibt es elektrische Energie hier noch umsonst.