Klartext: Positiv umgepolt

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Ich möchte aber das Thema Laternenladen nicht negativ schließen, nur weil die EnBW nervt. Es hat Fortschritte gegeben in den vergangenen Jahren, die für Interessenten von Elektroautos Erleichterungen bringen. Mein Rat für Stuttgart bisher war immer: „Wenn du nicht daheim oder auf Arbeit laden kannst, kauf dir kein Elektroauto.“ Dieser Rat hängt damit zusammen, dass Pendler in frühen Generationen von Leaf, i3, C-Zero und wie sie alle heißen, jeden Tag auf zuverlässige, regelmäßige Stromversorgung angewiesen sind und niemand jeden Tag über die EnBW fluchen will. Jetzt gibt es aber die Modelle mit großen Batterien, auf die wir zwar bis zu zwölf Monate - wie im Fall des Kia e-Niro - warten müssen aufgrund der Produktionsengpässe bei Batterien, mit denen das Thema E-Auto aber endlich auch für uns städtische Laternenparker interessant wird.

Missverständnis Reichweitenangst

Denn wer sich über „Reichweitenangst“ lustig machte mit dem Hinweis, wie wenige Kilometer man doch täglich fahre, der hat sich nie die Situation des Städters verdeutlicht, sondern nur die Statistik betrachtet, in der die Wahrheit verschmiert verschwindet. Mit 60 km Pendelverkehr am Tag will ein früher Leaf mindestens alle zwei Tage voll geladen werden. Mehr, wenn der Fahrer außer zur Arbeit auch noch anderswo hin will – zum Einkaufen etwa oder ins Kino. Wenn es daheim keinen zuverlässigen Strom gab, stand man da bisher zu oft blöd da. Eine größere Batterie lädt nicht nur schneller, sie gibt Autofahrern außerdem Spielraum.

Mit 40 oder gar über 60 kWh in neueren Modellen laden Städter nämlich entspannt etwa einmal die Woche. Sie können ihren Spielraum nutzen, die EnBW-Unzuverlässigkeiten auszugleichen. Ladestation am Restaurant geht nicht? Dann lade ich eben heute Abend beim Sport. Im Speckgürtel hat Aldi Süd Ladestationen aufgestellt, an denen Einkäufer bis zu eine Stunde kostenlos laden können. So bringen sie zwei Dinge unter einen Hut. Deshalb stehen auch bei vielen Ikea-Filialen kostenlose Lader für Kunden, genauso wie bei vielen kleineren Geschäften oder Ketten. Niemand will auf Technik warten. Niemand will sich auf einem Ladeplatz ewig die Beine in den Bauch stehen. Man kann mittlerweile als Laternenparker ein E-Auto betreiben, ohne dass das Ding ein geliebtes Hobby sein muss.

I got Soul

Deshalb werden wir ab Ende April drei Monate lang im Kessel Stuttgart ausprobieren, wie es sich mit einer 64-kWh-Batterie ohne eigene Stromversorgung am Stellplatz lebt. Kia leiht uns für dieses Experiment freundlicherweise einen 2019er-e-Soul. Der Antrieb ist der gleiche wie im e-Niro. Die WLTP-Reichweiten von E-Autos unterscheiden sich minimal, weil der kastenförmige Soul überland oder auf der Autobahn ein Fitzelchen mehr Strom verbraucht. Im Betrieb Stadt-wenig-Land-viel-Fluss werden die Verbräuche fast gleich hoch liegen. Die Batterie speichert also mehr als genug Energie. Ich freue mich auf mein Experiment und ich glaube tatsächlich, dass sich in der aktuellen Generation der Rat „nur für Daheimlader“ ändert.

Mehr noch: Ich glaube, jetzt ist ein idealer Zeitpunkt, ein E-Auto zu kaufen, wenn man eins kriegt und es sich leisten kann. Die Lader werden nicht ewig so leer dastehen. Die Strom-Subventionen werden versiegen. „Ach, ich kann ja kostenlos am Lader parken“ wird Geschichte. Besser als jetzt wird es nimmer. Dennoch bin ich nicht traurig, dass wir nach diesem Test umziehen und ich das deprimierende Schaufenster von EnBW und Landesregierung nur noch von außen sehen muss statt von innen als Teil des Exponats. (cgl)