Ist die elektrische Reichweite eine physikalisch universale Konstante? Nein.

Relativitätstheorie und -praxis

Das Thema "Reichweite" ist offenbar das emotionalste überhaupt. Denn wie KANN jemand nur X Liter messen, wenn ich doch Y verbrauche?!

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An der Steckdose. Immer gleich lang. 7 Bilder
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Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Woche 2 auf dem BMW C Evolution. Da meine Meinung oft erschreckend weit vom breitesten Konsens abweicht, unterhielt ich mich mit einer Reihe von Kollegen aus der Motorradpresse und Fahrschulen über den C Evolution. Das ergab interessante Daten. Die Bremsen, die ich super finde, werden anderswo als zu bissig empfunden, und die mir so gefallenden krass schiebenden 48 PS, die man irgendwie mit dem A1-Führerschein fahren darf, als unverantwortlich.

"Wenn das ein alter Mann in die Hand kriegt, der denkt, das fährt jetzt wie sein 125gerle, dann macht es 'Buff!' und er liegt in der Hecke", mahnte ein BMW-naher Kollege. In seltener Einigkeit stimmte ihm später ein anderer Kollege zu: "Das ist zu arg, das ist nicht im Sinn des Gesetzgebers." Ins selbe Horn stößt der Fahrlehrer: "Sorry, das ist kein A1-Fahrzeug, keine 125er. Wenn das eine Tochter mit A1-Schein vom Vater ausleiht, fährt die sich tot." Soweit die anderen Meinungen, die im Idealfall dazu führen, dass sich Umsteiger vom Auto oder einer 125er langsam an dieses Drehmomentviech herantasten. Jugendliche werden diese Warnungen eh wie immer als Werbung wahrnehmen, wie die das Zeug, das hinten auf Energy Drinks steht. Sie stehen schon seit drei Sätzen beim Händler, um den Ampelsprint mit dem eigenen Popometer zu vermessen.

Wie weit soll das noch gehen?

Ebenso relativ sind die Wahrnehmungen der Reichweite. In Barcelona bei Hitze sah es schon so aus, jetzt habe ich es im Ballungsraum Stuttgart nachvollziehen können: 100 km Reichweite gehen im Ballungsraum ohne besondere Sparmaßnahmen auf dem C Evolution. Es waren sogar 20 km auf der Umgehungsautobahn bei Topspeed 120 km/h dabei. Bei 100,4 km zeigte der Akku noch 5 Prozent Restkapazität an. Im Stadtalltag kann der Fahrer also mit der einfachen Faustregel 1 Prozent = 1 Kilometer rechnen und das wild springende Reichweitenschätzeisen komplett aus der Wahrnehmung verdrängen. Doch auch hier gab es ganz andere Meinungen.

"Wie hast du nur 100 km geschafft?", fragte der Eine, der irgendwie immer nur gerade so auf 80 kommt. Indem ich nicht ausschließlich digital über die Landstraße knalle, wie du das tust auf dem Weg zur Arbeit. Ist doch ganz einfach. Ein anderer bezweifelt, dass die Reichweite im C je unter 100 km sinken könnte, Fahrstil egal. Seine Datenbasis: eine Probefahrt von 75 km. Die Reichweitendiskussionen entflammen mit dem Elektrozeug ganz neu, kaum dass wir die Tourenfahrer sediert haben.

Wenn wir vor langer Zeit ein Tourenmotorrad mit sechs Litern Landstraßenverbrauch maßen, war eine solche Leserbriefantwort sicher: "Ihr Arschlöcher! Was gebt ihr da für einen Verbrauch an? sechs Liter?! Das ist Leserverarsche! Ich verbrauche nämlich fünf Liter." Irgendwann hörte das plötzlich auf, vielleicht glichen sich die Verbräuche von Testern und Touris über die Zeit an, vielleicht fanden sich die Tourenfahrer mit derselben Realität ab, die Fahrer von Sportmaschinen schon immer kennen: Ein Verbrauch und damit eine Tankreichweite kann um mehrere hundert Prozent springen und hängt größtenteils vom Fahrstil ab. Deshalb sind Verbrauchsangaben nur mit Hinweisen zum Fahrprofil aussagekräftig.

Elektrogeschockte Touristen

Vielleicht sind die Tourenfahrer heute auch alle Elektrofahrer, und ihre Folklore mit "in meinem Universum ist meine Reichweite eine Konstante wie die Lichtgeschwindigkeit" haben sie mitgenommen. Leserreaktionen auf einen Artikel der AMS legen das nahe. Die Redaktion hat sich ein paar Elektroautos genommen und bei unterschiedlichen Fahrzuständen und Temperaturen vermessen. Sie hat dabei ein paar Daten zu Umwelt und Fahrprofil veröffentlicht, damit die Messungen einsortierbar sind. Ich habe diesen Artikel gelesen und kann nichts Besonderes daran finden. Höchstens vermisse ich die wirklich alltagsrelevante Messung "eine Akkuladung Ballungsraumeinsatz", wobei die wahrscheinlich weggelassen wurde, weil sie für einen Vergleich zu viele Variablen enthält. Zwei Dutzend Mal mehr Rot, schon ist der erste Platz verloren!

Besitzer dieser Wagen waren geschockt: "Aber ich komme doch X km weit! Wie KANN der Bloch nur schreiben, dass er Y km kam?! Die dumme Sau! Der wird doch von den Saudis geschmiert." Ich habe Alexander Bloch einmal zufällig getroffen, und würde ihm beim Thema Elektro eher die Adjektive "übertrieben hoffnungsfroh" als ein "feindselig" zuweisen. Wahrscheinlich saß er in seinem Büro und verstand die Welt nicht mehr, als die Hassbriefe auf ihn einhagelten. Leute trafen sich, maßen bessere Reichweiten, triumphierten, das Fernsehen war da, das Sommerloch für einen Tag vergessen.

Schließlich riss die AMS-Redaktion das Thema neu auf mit Privat-Teslas und deren Fahrern sowie einem i3, der wohl noch irgendwie vom Test über rumstand. Statt der im Ursprungsartikel verwendeten Hochrechnungen (immer schwierig) wurden die Autos diesmal leergefahren. Bei konstant 120 km/h, 13° C und Regen kam der Tesla Model S 258 km weit, der i3 66 km. Redaktionsinterner Rekord für den Tesla: 444 km. Wen das wundert, der kann ja mal ein Physikbuch öffnen. Da stehen lauter solche wunderliche Sachen drin. Würde der C-Roller 100 km weit kommen bei konstant 120 km/h, seiner Endgeschwindigkeit? Ich glaube nicht. Fährt jemand damit konstant 120? Selbe Antwort.

Verbraucher triumphieren

Was die Alltagsfahrer gezeigt haben, ist das, was ich auch immer sage: Wer seinen Aktionsradius planen kann, wird keine Reichweitenprobleme haben, denn man verwendet E-KFZ in der Praxis wie ein Smartphone: tagsüber so lange, wie der Akku reicht, nachts ans Ladekabel, fertig. Das geht ja meistens auch im Hotel, wenn man vorher fragt wie der Mann im ZDF. Das scheußliche Reichweitengerechne und Herumgespare dieser E-Rallyes, es hat nichts mit der Realität zu tun. Genauso ist das, was der Herr Bloch zwecks Vergleichbarkeit gemessen hat, vollkommen uninteressant. Interessant ist nur der eigene Praxisradius im eigenen Fahrzeug beim eigenen Fahrstil mit den Verbrauchern, deren Verbrauch durch ihre Funktion mehr als gerechtfertigt wird.

Gestern überfiel mich im Stuttgartstau zum Training der Herbst so lange, dass ich die Heizgriffe des C einschaltete. Das Messgerät hat dann in der Garage 0,4 kWh mehr angezeigt auf 100 km. Möchte ich kalte Finger, um ein paar Cent Strom zu sparen? Ich glaube nicht. Außerdem kann das Messgerät sowieso nicht recht haben, denn in meinem Universum ist mein eigener Verbrauch so konstant wie meine persönliche Lichtgeschwindigkeit. Das schreib ich jetzt dem blöden Bloch mal.