Dröhnende Leere

Kommentar: Scheuer und sein Bahn-Krisentreffen

Die Deutsche Bahn hat viele Baustellen, im direkten wie im übertragenen Sinne. Verkehrsminister Scheuer will diese nun kraftvoll angehen und hat den Bahnvorstand zu einem Krisentreffen einbestellt. Das Ergebnis zeugt aber nicht von Kraft, sondern Aktionismus. Ein Kommentar

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Von
  • Martin Franz
Inhaltsverzeichnis

Kaum etwas scheint so einfach wie ein kräftiges Treten gegen die Deutsche Bahn. Verspätungen, schlechte Informationspolitik gegenüber den Kunden, verdreckte und überfüllte Züge, intransparente Ticketpreise, unfreundliches Personal – die Liste der Klagen ist ebenso lang wie teilweise berechtigt und so wundert es nicht, dass Kritiker der Bahn wahrlich nicht schwer zu finden sind. Ein Politiker, der dies alles und noch viel mehr anprangert, kann sich also auf breite Zustimmung der Wähler ziemlich sicher verlassen. Doch schon bei geringfügig näherer Betrachtung bekommt das große Krisentreffen von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und dem Bahnvorstand mehr als nur einen faden Beigeschmack.

Prima!

Für eine maximale, mediale Wirkung muss ein zünftiger Theaterdonner natürlich mehrere Akte haben. Darauf ist Verlass, und so donnerte es schon vor Wochen: Der Verkehrsminister bestellt den Bahnvorstand ein, um ihm angesichts der Verhältnisse bei der Bahn die Leviten zu lesen. Man erwarte konkrete Vorschläge, wie die aktuelle Situation zu verbessern sei. „Prima“, hallt es aus dem Bierzelt, „endlich ein Minister, der sich kümmert.“ Wessen Aufmerksamkeitsspanne nicht weiter reicht, kann sich nun entspannt zurücklehnen. Vermeiden sollte er jedoch tunlichst, sich die Ergebnisse der gestrigen Vorladung und die Vorgeschichte dazu einmal etwas näher anzusehen.

Der Beginn des Dramas

Der Beginn des Dramas ist keineswegs geheim, sondern liegt offen für jeden, der es betrachten mag. Anfang der 1990er-Jahre sah sich die Politik zu einer Reaktion auf sinkende Fahrgastzahlen bei der Bahn genötigt. Der Staatsbetrieb sei nicht effizient genug, und ganz im Trend der Zeit wurde gemäß eines möglichst schlanken Staates der Plan gefasst, die Deutsche Bahn langfristig zumindest teilweise zu privatisieren. Um die gar nicht so attraktive Braut geschickt zu schminken, sollte vor einem Börsengang gespart werden. Und zwar kräftig, denn eine hübsche Bilanz ist Garant für willige Aktienkäufer.

Auswringen

Es mangelte nicht an Kritikern, die schon damals darauf hinwiesen, dass sich aus keineswegs üppigen Budgets nicht einfach ein paar 100 Millionen DM – oder gar noch mehr – per Spardekret wringen lassen, um die Angelegenheit für Anleger erstrebenswert zu gestalten. Doch der Glaube daran, dass ein gewinnorientierter Unternehmergeist grundsätzlich besser wirtschaftet als der Staat, ist ebenso falsch wie umgedreht. Es gibt in dieser Hinsicht keinen Königsweg, und wenn es einen geben sollte, hat die Bahn zuverlässig eine andere Route gewählt. Gespart wurde bei Personal, Infrastruktur und was sich sonst noch finden ließ. Gut bezahlte Gutachter bescheinigten dann immer wieder, was die Verantwortlichen hören wollten: „Die Bahn ist auf einem erfolgversprechendem Weg.“ Wohin der führen sollte, ließen sie geschickt offen.

Langfristige Folgen dieses Sparkurses sind nicht so schrecklich schwer abzusehen, zumal dann nicht, wenn man einerseits die Altlasten der Deutschen Reichsbahn abzuwickeln und gleichzeitig mit Gewalt einige Leuchtturmprojekte forcieren möchte. Denn in einem so komplexen Gebilde wie der Bahn hat es dramatische Folgen, wenn an einer Stelle die Schrauben übermäßig angezogen werden. Anders ausgedrückt: Wenn ich einige Stellen übermäßig beleuchte, bleiben andere eben dunkel. Das Geld reicht nicht, um alles gleichmäßig zu beleuchten. Es reicht systembedingt ohnehin nie, die Frage ist vielmehr, wie der Mangel geschickt zu verwalten ist. Projekte wie der Berliner Hauptbahnhof oder der umstrittene Bahnhof in Stuttgart verschlingen Unsummen, die anderswo eingespart werden müssen.

In der Folge gibt es dann Züge, die schlecht gewartet werden und Bahnhöfe abseits der Blitzlichter, die schon seit geraumer Zeit saniert werden müssten – und es auf absehbare Zeit nicht werden. Ein Schienennetz, das teilweise zurückgebaut wurde, befreit man von Strecken, die sich nicht rentieren. Eine feine Sache – für die Bilanz, nicht für die Kunden, die darauf angewiesen sind. Um auch nur die Spitzen des Wahnsinns zu überblicken, sei ein kleiner Seitenschwenk gestattet. Es wird ganz ernstlich darüber nachgedacht, Stromleitungen über Autobahnen zu spannen, um Lkw elektrisch fahren zu lassen. Es erscheint also sinnvoller, eine zweite elektrische Infrastruktur aufzubauen, statt die vorhandene zu pflegen. Gedankengänge dahinter erfreuen vielleicht Zyniker oder Menschen, die daraus Satire formen wollen. Letztere stößt jedoch bekanntermaßen an Grenzen, wenn sie von der Realität überholt wird.

Alles schon beschlossen

Der aktuelle Bundesverkehrsminister, erst seit knapp einem Jahr im Amt, kennt die Verhältnisse bei der Bahn natürlich sehr genau. Er weiß, dass es der Bund und damit seine Vorgänger waren, die die Bahn über Jahrzehnte kaputtgespart haben. Er ist über den Investitionsstau präzise informiert und sich vollkommen bewusst darüber, dass auch noch so schöne PR-Termine wie der gestrige kurz- und mittelfristig nichts ändern, was nicht ohnehin schon beschlossen wurde. Ein schwerer Tanker wie die Deutsche Bahn lässt sich nicht allein mit forschem Auftreten sanieren, nachdem man lange Zeit die Dinge schleifen ließ. Und so wurde nach dem Krisentreffen kraftvoll und stolz verkündet, was zu tun sei. Überraschungen gab es keine.

Die Bahn will 2019 neues Personal einstellen, und zwar kräftig. Bahnchef Richard Lutz möchte 22.000 Stellen besetzen, vor allem mit Lokführern und Instandhaltern. Fast möchte man ihm „Waidmanns Heil“ zurufen, angesichts des leergefegten Arbeitsmarktes. Nun könnte man argumentieren, dass in einer Marktwirtschaft sich Angebot und Nachfrage über den Preis regeln. Die Bahn müsste sich als Arbeitgeber also in Konkurrenz zu anderen Unternehmen begeben und schlicht mehr zahlen.

Schlampiger Umgang

Doch ausgerechnet am Tag des lang vorbereiteten Krisentreffens hat der Bundesrechnungshof der Deutschen Bahn und dem Bund vorgeworfen, schlampig mit den Finanzen umzugehen. Dieser Hinweis sollte besser nicht folgenlos bleiben, denn er bringt die Verantwortlichen andernfalls mittelfristig unter Umständen in Erklärungsnot. Kein Wort dazu gestern von den Krisentreffen-Initiatoren, solche Fehltöne können schließlich ein ganzes Theaterdonnern übertönen, wenn man nicht aufpasst. Und deshalb nur so viel: Es gibt Pläne, Pläne vorzulegen, wie man all die schönen Dinge finanzieren möchte.

Neue Fahrzeuge werden angeschafft, darunter ICE4 und zahlreiche Nahverkehrszüge, um zusätzliche Kapazitäten zu schaffen. Das klingt toll und macht sich immer gut, vor allem vor dem Hintergrund, dass immer mehr Menschen die Bahn nutzen, trotz der aller Schwächen. Die neuen Fahrzeuge sind natürlich vor langer Zeit bestellt worden und nicht etwa ein Ergebnis eines plötzlich energisch eingreifenden Ministers. Auch wenn der genau dieses Bild von sich gezeichnet sehen wollte.

Zufrieden

Der Bundesverkehrsminister war mit den nach dem Krisentreffen verkündeten Maßnahmen, die alle lange davor bekannt waren, zufrieden. Warum es, wenn ohnehin nichts Neues verkündet wird, ein solches Krisentreffen brauchte? Es lohnt sich, Andreas Scheuer wortwörtlich zu zitieren: „Wer jetzt erwartet, jetzt kommen 300 neue Maßnahmen, die einfach vom Himmel fallen, der versteht das System Bahn nicht.“ Was zu beweisen er eben angetreten ist. Wollte er nachhaltig etwas ändern, müsste er mehr Geld in diesem Bereich investieren und dieses dann geschickter als seine Vorgänger verteilen. Nach seinem Agieren beim Thema Abgas-Betrug hoffen aber wohl nur die wirklich ganz hartgesottenen Optimisten, dass es Scheuer um Nachhaltigkeit geht. Aber wer weiß: Am 30. Januar ist das nächste Treffen geplant.